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4. Das Zelt

      Ladana schlief. Norton deckte sie mit dem nachtblauen Laken zu, das sie von der Oberseite des Futons gelöst hatten, eine dünne, thermoaktive Decke, die dem Material nach der sensoriellen Unterkleidung glich, die man unter den Anzügen trug. Die Wäsche selbst war malerisch in der Kuppel des Zeltes verteilt, das in dieser anarchischen Unordnung beinahe wohnlich wirkte. Norton genoss das Gefühl von Freiheit. Es war nicht nur die Stunde mit Ladana – auch wenn es eine verdammt gute Stunde gewesen war –, sondern auch das Gefühl, einmal nicht unter Beobachtung zu stehen. Erst jetzt, da sie die Überwachung für eine Weile abgeschüttelt hatten, merkten sie, wie diese ihr Leben während der letzten Tage geprägt und beeinträchtigt hatte. Sie waren nie wirklich frei gewesen. Keines ihrer Worte, keine ihrer Bewegungen, die nicht von der Tatsache determiniert waren, dass ihnen die INSTRUCTOR über die Schulter schaute. Das hatte er in dieser Schärfe bei früheren Einsätzen nie so empfunden, und auch jetzt stellte er erst im Nachhinein fest, wie es ihn belastet hatte. Es erdrosselte das ganze Selbstgefühl!

      Sie durften es nicht übertreiben. Das Mutterschiff war weit weg. Es stand nicht zu befürchten, dass man ihnen jemand auf den Hals hetzte. Doch jede Minute, die sie offline verstreichen ließen, erhöhte nachher den Rechtfertigungsdruck.

      Er berührte Ladana an der Schulter, der nackten, olivfarbenen, unendlich zarten Schulter, und weckte sie. Den Finger auf dem Mund, tastete er nach der Holo-Steuerung. Nachdem sie durch ein schlaftrunkenes Nicken zu verstehen gegeben hatte, dass sie bereit für den nächsten Akt der Komödie war, ging er auf passiven Stream.

      Gähnend kroch Ladana vom Futon herunter und begann sich anzuziehen. Auch Norton streifte gedankenverloren das Unterzeug über, während er versuchte, aus der Kakophonie schlau zu werden, die plötzlich aus der Lokalen auf sie einbrandete.

      Ein Stimmengewirr, wie sie es selbst bei ihren ausgelassenen abendlichen Ringschaltungen nicht hinbekommen hatten. Da war Rogers, da war der Wachhabende, da waren Mitglieder anderer Teams. Schreie! Dann wieder in Kommandoton gebrüllte Anweisungen, die nur aus Standardbefehlen bestanden und in dem Durcheinander kaum zu verstehen waren.

      »Da ist was passiert«, entfuhr es Ladana.

      Sie hatte die graue Unterwäsche angezogen und mühte sich damit, wieder in den klobigen Exkursionsanzug hineinzukommen.

      »Scheiße!« Norton presste die Lippen aufeinander.

      »Team 10«, hörten sie immer wieder. »Team 10, sind Sie vor Ort!«

      »Positiv!« Das war die Stimme von Douglas Arch, dem Leiter der übernächsten Mannschaft.

      »Und wie sieht es aus?«

      »Beschissen, würde ich mal sagen!«

      »Verluste?«

      »Das Fahrzeug auf alle Fälle!«

      »Die Mannschaften«, dröhnte General Rogers dazwischen, dass Ladana und Norton zusammenzuckten. »Was ist mit den Leuten!«

      »Sind draußen«, war eine von Anstrengung verzerrte Durchsage zu vernehmen.

      »Was ist denn mit Team 12?«, schrie Rogers. »Die waren doch am nächsten dran!«

      »Immer noch offline«, sagte der Wachhabende. »Angeblich Probleme mit atmosphärischen Störungen.«

      Sie wechselten einen betroffenen Blick. Dann ließ Norton die Lokale auch auf aktivem Modus online kommen. Er holte tief Luft, ehe er sagte: »Hier Team 12, wir haben wieder Kontakt. Was ist denn da draußen los?«

      »Willkommen zurück«, knirschte der Wachhabende in triefendem Sarkasmus. »Ist Ihr – Sandsturm vorbei?«

      »Es sieht gut aus«, antwortete Norton flau, während er sich so schnell wie möglich anzog. »Wir können versuchen, wieder in den Stallion ...«

      »Schwätz kein dummes Zeug, Frank«, donnerte Rogers. Dann wandte er sich an den Wachhabenden: »Und Sie behalten Ihre Verdächtigungen zurück. Das klären wir später!«

      »Aye, Sir«, kam die zusammengefaltete Stimme des Offiziers.

      »Ich brauche jetzt jedes Team«, fuhr Rogers fort. »Frank, wo seid ihr?«

      »Die Koordinaten müssten kommen.« Norton pingte den Stallion an und gab dessen deutlich leistungsstärkeren Feed wieder frei, den er unterbunden hatte, als sie ins Zelt gegangen waren.

      »Kommt«, bestätigte Rogers. »Passt auf. Es hat einen Zwischenfall gegeben!«

      »Was ist passiert?«

      »Team 11.«

      »Scheiße. Kurtz?!«

      »Wer sonst.« Der Veteran gestattete sich ein trockenes Lachen. »Sie sind auf instabilen Untergrund geraten, im Umfeld einer Fumarole, hohles, heißes Gestein und giftige Dämpfe, und mit dem ganzen Fahrzeug eingebrochen.«

      »Wir sind unterwegs.«

      »Das möchte ich euch geraten haben!«

      Bis sie vor Ort waren, war die Situation unter Kontrolle. Team 10 war vor ihnen eingetroffen und hatte den Verunglückten geholfen. Allerdings konnten sie nur noch zusehen, wie der Stallion immer tiefer im Trichter der eingestürzten Fumarole versank, von den Explosionen seiner krepierenden Aggregate zerrissen wurde und dabei feierlich ausbrannte. Immerhin hatten Kurtz und sein Begleiter rechtzeitig aussteigen können. Jetzt standen sie betreten vor dem kathedralengroßen Hohlraum, an dessen Grund Ausrüstung im Wert mehrerer Millionen in Flammen aufging.

      »Was ist passiert?«, fragte Norton, als sie ausgestiegen waren.

      »Fumarole«, sagte Kurtz nur.

      »Hast du sie nicht gesehen?«

      »Gesehen schon, aber falsch eingeschätzt.«

      »Was kann man da falsch einschätzen?«

      Kurtz grinste sein verschmiertes Rabaukengrinsen. So hatte er an der Kompaniebar von Pensacola schon von mehr als einem Missgeschick berichtet. Aber nun waren sie hier auf einer einigermaßen abgelegenen Welt, wo man ohne Schutzanzug nicht überleben konnte und mit Anzug nur ein paar Tage.

      »Ich habe gedacht, ich kann das Feld am Rand schneiden. Die Luftreifen ..., wir waren ziemlich schnell.«

      »Aber auch ziemlich schwer«, warf Douglas Arch von Team 10 ein, der in Rekordzeit zur Stelle gewesen war. Ohne ihn hätten die Verunglückten es nicht mehr geschafft, rechtzeitig aus dem Trichter herauszukommen. Sie wären in ihrem Fahrzeug verbrannt.

      Ein sattsam bekanntes Knistern verriet ihnen, dass sie auch jetzt nicht allein waren.

      »Sie haben sich schon öfter verschätzt, Kurtz«, sagte Rogers auf der INSTRUCTOR. »Aber diesmal war es Ihr mit Abstand kostspieligster Schätzfehler.«

      »Das ist mir bewusst, Sir«, erwiderte Kurtz.

      Norton tauschte einen Blick mit Ladana, die neben ihnen im knöcheltiefen Sand stand. So kannten sie den Kameraden gar nicht, der in Pensacola den Ruf eines Draufgängers hatte und für gewöhnlich auch kein Blatt vor den Mund nahm.

      »Ich übernehme die volle Verantwortung für diesen Vorfall«, sagte er noch.

      »Etwas anderes wird Ihnen auch nicht übrig bleiben.« Rogers klang jetzt schon beinahe wieder so jovial, wie er bei seinen Vorlesungen war. »Okay. Ich vermute einfach mal, eine Bergung von Stallion 11 hat wenig Sinn.«

      »Sie würde umfangreiche Absicherungsmaßnahmen und schweres Gerät erfordern«, sagte Kurtz. »Und am Ende doch nur ein paar Tonnen Schr...«

      »Lassen Sie gut sein, Mann!«, fuhr Rogers ihm übers Wort. Er schien einen Moment zu überlegen und sich halblaut mit den anderen Offizieren zu besprechen. Dann war er wieder in der Leitung. »Kurtz, Sie werden einen Bericht aufsetzen. Arch, Sie werde ich für den Stern der Union vorschlagen. Sie haben beherzt und schnell reagiert. Frank, über euren Fall unterhalten wir uns, wenn ihr hier seid.«

      »Hier?« Norton sah die anderen