Was sich bewährt hat. Inge Friedl

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Название Was sich bewährt hat
Автор произведения Inge Friedl
Жанр Философия
Серия
Издательство Философия
Год выпуска 0
isbn 9783990403761



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Bauernfamilie lädt hastig den Heuwagen voll, aber der Bauer schickt seine Leute allein nach Hause. Er weiß, dass die Nachbarn noch nicht fertig sind, darum geht er zu ihnen, um zu helfen.

      Kaum daheim angekommen, beten seine Kinder und seine Frau für ihn um Schutz. Denn was der Bauer tut, ist äußerst gefährlich. Die Gefahr ist groß, dass ein Blitz in die Heugabeln einschlägt.

      Bei jedem lauten Kracher zuckt die Familie zusammen, denn die Nachbarn und somit auch der Vater halten sich in der Nähe von Stromleitungen auf. Es blitzt, kracht, blitzt, kracht und noch immer ist kein Tropfen Regen gefallen. Endlich kommt der Vater. Ihm ist nichts passiert. Die Kinder sind erleichtert – und werden diese Geschichte 50 Jahre später so erzählen, als wäre sie gestern passiert.

      ES BRAUCHT EIN GANZES DORF, UM EIN KIND ZU ERZIEHEN, sagt ein schönes afrikanisches Sprichwort. Dabei geht es um weit mehr als nur um Kinderbetreuung. Es geht darum, dass das Kind nicht nur in seine Kernfamilie eingebunden ist, sondern dass es Teil eines großen Ganzen, nämlich der Gemeinschaft ist.

      Umgewandelt auf unsere (früheren) Verhältnisse könnte man sagen: Es braucht ein ganzes Haus, um Kinder zu erziehen, Alte zu pflegen und sich mit allem zu versorgen, was man im Leben braucht. Hier ist die Rede von der alten Hausgemeinschaft, in der nicht nur Eltern und Kinder zusammen unter einem Dach lebten, sondern da waren auch die Großeltern, die Mägde und Knechte und eventuell noch unverheiratete Onkel und Tanten – alles in allem oft bis zu 15, 20 Personen.

      All diese Menschen lebten in einem Haus mit nur einer Küche und mit lediglich einem Aufenthaltsraum, der Stube. Damit so ein Zusammenleben überhaupt funktionieren konnte, gab es eine klare Hierarchie und klare Regeln. Vom Bauern, der Bäuerin über den Moarknecht (dem ersten Knecht) bis hinunter zum Stallbua und zur Saudirn hatte jeder im Haus seine exakt festgelegte Aufgabe, und man wusste immer ganz genau, wer wem was „anschaffen“ durfte.

      Diese Lebensordnung hatte sich über viele Jahrhunderte entwickelt. Von Generation zu Generation wurden die Verhaltensregeln weitergegeben, die notwendig waren, um als Großfamilie mit Dienstboten unter einem Dach leben zu können. Die Bäuerin wurden übrigens von allen als „Mutter“, der Bauer als „Vater“ angeredet. Das galt nicht nur für die Familienmitglieder, sondern für jeden, der auf den Hof kam. Das bedeutete sicher nicht, dass sich nun alle wie eine große Familie fühlten, sondern es war die korrekte Anrede für die Besitzer, unter deren Dach alle anderen lebten.

      Wir fragen uns heute, wie das nur gutgehen konnte. Gerieten nicht ständig alle aneinander? Dazu eine Innviertlerin: „Das Wichtigste war, Rücksicht zu nehmen. Das Geheimnis, dass es am Bauernhof klappt ist, dass du nachgeben kannst und dass du auch einmal zurückstehst.“ Gleichzeitig pflegte man die Dinge sehr direkt, manchmal fast grob anzusprechen. Man sagte dem anderen die Meinung, trug die Sache kurz aus, und damit war sie erledigt. Mehrere Gesprächspartner versicherten mir, dass es „Beleidigtsein“ nicht gab und dass tagelanges „Nicht-miteinander-Reden“ nicht toleriert wurde. Im Normalfall war nach fünf Minuten alles wieder gut, sonst hätte eine Lebensform wie diese niemals funktioniert.

      Miteinander auszukommen war allerdings eine Sache, die man lernen musste. Die Kleinen lernten es von den Großen, die Jungen von den Alten, wobei auch hier die Hierarchie klar war. Die Jüngeren respektierten die Alten und waren selbstverständlich „stad“ (ruhig), wenn der Bauer und die Bäuerin miteinander redeten. So zusammenzuleben war kein Paradies, aber es war auch nicht die Hölle – bis auf wenige Ausnahmen vielleicht. Glaubt man jenen, die es noch erlebt haben, dann war das Schönste daran, dass man nie allein und einsam war. Man war eingebettet in die Sicherheit der Hausgemeinschaft und hatte oft „eine Gaudi“. Das Wort „Spaß“ wäre hier falsch, es ging eher um eine Art Unterhaltung, die leicht und schnell zustande kam, wenn zwei oder mehrere beieinander waren. Es war eine Kultur des Humors, der klug und manchmal derb war und vielleicht am ehesten mit dem Wort „Schmäh“ zu beschreiben ist.

      Die Hausgemeinschaft war ein kleiner Kosmos, in dem sich der ganze Kreislauf des Lebens von der Geburt bis zum Tod abspielte. Es war auch ein Ort, an dem Wissen ganz selbstverständlich weitergegeben wurde. Säuglingspflege, Kinderbetreuung, handwerkliche Fähigkeiten, Kochen, Gärtnern und alle Arbeiten in Haus und Hof wurden allmählich, einfach durch Zuschauen und Mithelfen erlernt. Auch das „G’hörtsi“, das gute Benehmen, worunter man früher vor allem Grüßen und Danken verstand, bekam man von zu Hause mit. Es war, wenn man so will, der Kitt, der die alten Gemeinschaften zusammengehalten hat.

      HEINI STAUDINGER, DER UNKONVENTIONELLE WALDVIERTLER SCHUHPRODUZENT, erzählte bei einem Vortrag in Berlin zum Thema Gemeinschaft eine Geschichte. Es ging dabei um Wirtschaftsethik: Der Chef einer großen Steuerberatungskanzlei war sich anlässlich einer Tagung in Wien ausgiebig im Jammern über die Absolventen der Wirtschaftsuniversität ergangen, die als Mitarbeiter in seine Kanzlei kommen. Sie seien immer schlechter qualifiziert und er müsse sie noch extra ausbilden, bevor er sie zu Kunden schicken könne. Schließlich platzte einem Wirtschaftsprofessor der Kragen, und er schrie beinah: „Sagen Sie uns endlich, was können sie denn nicht, unsere Absolventen?“ Die Antwort des Steuerberaters: „Zum Beispiel grüßen!“

      Pfiat di! Griaß di! So wurde früher jeder auf der Straße gegrüßt. Das Grüßen war einer der Pfeiler des „G’hörtsi“, des richtigen Benehmens. Sah man auf den Feldern Leute stehen, wurden sie schon von Weitem gegrüßt. Ging man an einem Haus vorbei, grüßte man selbstverständlich jeden, den man sah. Kinder wurden angehalten: „Dass ihr mir ja alle grüßt’s! Macht’s mir keine Schande!“

      Diese Grußpflicht wird heute oft missverstanden und belächelt. Man grüßte nämlich nicht, um irgendwie vor den Leuten gut dazustehen. Der Grund liegt viel tiefer. Solche Formen wurden gewahrt, um die Gemeinschaft zu erhalten! Hätte man sich verfeindet oder es sich mit den anderen verscherzt, hätte man im Notfall nicht mehr mit Hilfe der Nachbarn rechnen können.

      Heini Staudinger sagt, dass seine „University of Economics“ das kleine Kaufmannsgeschäft seiner Eltern gewesen ist. Denn dort hätte er schon mit zwei Jahren grüßen gelernt. Die kleinen Kramerläden waren übrigens auch Treffpunkte der Dorfgemeinschaft. Einkaufen und miteinander Reden waren eins – eine Sitte, die heute kaum noch gepflegt wird. Die Verkäuferin an der Supermarktkassa hat weder Zeit noch Lust auf ein längeres Gespräch.

      Ein Zeichen des guten Benehmens war auch die stets unversperrte Tür in den alten Bauernhäusern. Sie war ein Willkommenszeichen an die Nachbarn. Jeder, der wollte, konnte eintreten, auch ohne vorher anzuklopfen. Oft war es ein Kind aus der Nachbarschaft, das einen Botengang verrichtete oder ein Nachbar, eine Nachbarin, die sich etwas ausborgte. Keiner verließ das Haus ohne ein kurzes Gespräch und jeder bekam etwas „aufgewartet“. Die Kinder einen Saft oder eine kleine Nascherei, die Männer ein Schnapserl und jeder, der wollte, eine Jause.

      Wie fern ist uns ein solches Leben? Die Autorin Greta Taubert lebte ein Jahr lang so, als wäre die Wirtschaft schon zusammengebrochen. Sie baute Gemüse an, tauschte Kleidung und machte dabei eine völlig neue Erfahrung: „Ich musste anfangen, andere Leute um Hilfe zu bitten. Der Mangel brachte ein neues Gemeinschaftsgefühl.“ Ihr Experiment war ein Ausflug in eine andere, ihr bis dahin unbekannte Welt, in der Teilen, Tauschen und Schenken zählen. Taubert war angewiesen auf andere und sagt dennoch: „Ich habe mich noch nie in meinem Leben so reich gefühlt.“

      Ein erster Schritt zur Gelassenheit

      ZUFRIEDENHEIT IST EINE ENTSCHEIDUNG. Das klingt einfach und ist es vielleicht auch. Man sagt „Danke, das genügt!“, und ist zufrieden. Man beschließt, dass das, was man hat und was man ist, gut genug ist. Man ist nicht unentwegt getrieben von der Idee, etwas Besseres, etwas Anderes oder eine größere Auswahl zu finden. Man hat sich entschieden, zufrieden zu sein und bleibt dabei. Die Wissenschaft nennt solche Menschen Satisficer. Das Wort setzt sich aus den englischen Wörtern satisfying (zufriedenstellend) und suffice (genügen) zusammen. Ein Satisficer begnügt sich mit der ersten besten Möglichkeit, die seinen Zielen entspricht. Er entscheidet sich: