Froststurm. Jan-Tobias Kitzel

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Название Froststurm
Автор произведения Jan-Tobias Kitzel
Жанр Научная фантастика
Серия
Издательство Научная фантастика
Год выпуска 0
isbn 9783957770615



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Teppiche mit gestickten Tigermotiven an den Wänden, bronzene Skulpturen von freundlich lächelnden Gottheiten – oder was auch immer die Fantasiefiguren darstellen sollten – in Nischen an den Wänden. Er zählte zehn Tische. So ein kleines Restaurant konnte nur als Familienbetrieb gutgehen, sonst würden die Lohnkosten alles auffressen. Er schüttelte den Kopf. Hör endlich auf zu analysieren und genieß den Abend.

      Bis auf einen älteren Mann, der in eine Zeitung vertieft war, vor sich einen leergegessenen Teller und eine volle Tasse eines dampfenden Getränks und den Kellner hinter der Bar war der Raum leer. Aus der Küchendurchreiche hinter der Theke hörte man es klappern, die übrige Geräuschkulisse wurde durch leise, orientalische Musik ohne Gesang gebildet. Sebastian entspannte sich, nur um kurz darauf das Geräusch der Türschelle hinter sich zu hören. Weiche Schritte, ein leichter süßlicher Geruch nach Kirschen und Sommer, dann stand Frau Griesinger auch schon neben ihm, woraufhin er sich erhob und ihr lächelnd die Hand schüttelte.

      »Entschuldigen Sie die Verspätung. Wurde Ihnen mein Anruf ausgerichtet? Die Ausfallstraße war heute wieder die Hölle.«

      Er bemühte sich, nicht auf die Uhr zu sehen, auch wenn er sicher war, dass sie Punkt acht durch die Tür gekommen war. Noch ein Mensch, der »exakt pünktlich« eigentlich schon als »zu spät« einstufte. Das Lächeln grub sich noch tiefer in sein Gesicht.

      »Ich bitte Sie, ich habe zu danken, dass ich Sie schon so bald wiedersehen darf.«

      Ein kurzes, keckes Lachen. Dann setzte sie sich ihm gegenüber.

      »Ich kann mich nur wiederholen: Sie sind durch und durch ein Charmeur.«

      Wärme breitete sich in Sebastians Magengegend aus. Ihre feuerroten Haare hatte sie zu einer netten Hochsteckfrisur geformt, die angenehm mit ihrem schwarzen Blazer über dem Hosenanzug harmonierten. Etwas förmlich für ein Essen, aber es stand ihr. Manche Menschen sahen in Business-Kleidung einfach am besten aus. Und mit ihrer niedlichen Stupsnase im zierlichen Gesicht nahm sie dem seriösen Outfit die Schärfe.

      Dann stand der Kellner auch schon neben ihnen und reichte die Karte, die Frau Griesinger merkwürdigerweise direkt zurückgab.

      »Nicht nötig, Apu. Ich nehme wie immer das Menü B3.«

      Sebastian hob eine Augenbraue und schloss die Karte ebenfalls.

      »Empfehlenswert?«, fragte er in Richtung der Dame.

      »Absolut.«

      Daraufhin gab er ebenfalls die Karte zurück.

      »Dann nehme ich das Gleiche.«

      Der Inder grinste. »Eine gute Wahl, die Dame, der Herr.«

      Als der Kellner ging, um die ebenfalls bestellten Getränke zu machen, fragte Sebastian: »Auf was habe ich mich da eigentlich gerade eingelassen?«

      »Oh, nur auf ein höllisch scharfes Ofengericht mit Hühnchen, Kartoffeln und Gemüse. Davor etwas indisches Fladenbrot und nachher gebackene Mango mit Honig und Sesam.« Ihr Gesicht zeigte, dass ihr die Situation Spaß machte.

      »Scharf?«

      »Indisch scharf. Also: Ja. Aber nicht sehr lange, wenn Sie Fladenbrot dazu essen.«

      Wie aus dem Nichts tauchte der Kellner wieder neben ihnen auf und brachte das jeweils bestellte Mineralwasser.

      Frau Griesinger hob ihr Glas an.

      »Auch wenn das nicht ganz stilecht ist, mit Wasser anzustoßen, so möchte ich doch sagen, dass ich mich auf diesen Abend sehr gefreut habe.«

      Die Wärme in Sebastians Bauchgegend zeigte sich in einem seligen Lächeln.

      »Vielen Dank. Ich ebenfalls.«

      Der Abend begann.

      »Das ist nicht ihr Ernst«, fragte Frau Griesinger mit gespielter Empörung und wedelte mit ihrem Zeigefinger vor Sebastians Gesicht herum.

      »Mein vollster! Er hatte meinen Witz derart lustig gefunden, dass er sich beim Lachen an der Milch verschluckt hat und die Reste auf die frisch ausgedruckten Forschungsunterlagen ausgehustet hat. Den Blick des wissenschaftlichen Leiters können Sie sich sicherlich vorstellen.« Er grinste.

      »Was müssen Sie ihm auch mitten in einem Experiment einen Witz erzählen?«

      Sebastian grinste weiter und zuckte mit den Achseln.

      Frau Griesinger nahm einen Schluck ihres Weins, auf den sie nach dem Wasser gewechselt war.

      Dann zwinkerte sie ihm zu. »Also gut, dann wollen wir mal. Ich habe Sie – neben Ihrem Charme – ja auch eingeladen, um über Ihre Forschungen zu sprechen.«

      Seine Mundwinkel waren wohl etwas zu schnell nach unten gerutscht, denn sie hob überrascht die Augenbrauen. »Das hatte ich Ihnen am Telefon doch gesagt, oder nicht?«

      Sebastian beeilte sich, ein »Natürlich!« zu entgegnen und das Lächeln auf sein Gesicht zurück zu bringen, aber es wollte ihm nicht wirklich gelingen. Er war derart in der perfekten Atmosphäre des Abends aufgegangen, dass er den Charakter des Treffens im Geiste in Richtung eines Rendezvous verändert hatte. Sie offensichtlich nicht.

      Frau Griesinger zögerte einen Moment, dann erschien ein schelmisches Lächeln in ihrem Gesicht.

      »Machen wir einen Deal! Sie lassen mich an ihren wissenschaftlichen Gedanken teilhaben, dafür gehen wir zum Du über.« Sie nahm einen Schluck Wein und schaute ihn fragend an. »Einverstanden?«

      Nun war es an Sebastian, das Lächeln zu erwidern und das warme Gefühl in der Magengegend verstärkte sich erneut und es kam nicht nur vom schweren Rotwein.

      »Sehr gerne. Sebastian.«

      »Melanie.«

      Sie hoben ihre Gläser und stießen an.

      Nach einem kurzen Moment des Schweigens holte Melanie übertrieben deutlich Luft.

      »Also.« Sie zog das Wort in die Länge. »In deinen Unterlagen behauptest du, dass der Klimawandel zwar vom Menschen gemacht, aber auch von diesem aufhaltbar ist. Glaubst du wirklich, dass er ›aufgehalten‹ werden kann? Nicht nur ›verlangsamt‹ wie die meisten Wissenschaftler glauben? Also das 2-Grad-Ziel durch die üblichen Programme, wie bessere Filter in den Fabriken, sparsamere PKW und so weiter?«

      Sebastian nickte und war in seinem Element.

      »Ja, absolut. Meine Forschungen haben gezeigt, dass diverse Einflussfaktoren – die ich ja auch in den Unterlagen genannt habe – dazu genutzt werden könnten, eine Gegenbewegung in der klimatischen Entwicklungsrichtung auszuformen. Oder, um es simpler auszudrücken: Der Erwärmung eine Abkühlung gleicher Intensität entgegenzusetzen, damit beide sich aufheben und der Status Quo gewahrt wird.« Er blickte hinter sich zur Tür, durch die Scheibe auf die Straße, wo zu dieser Zeit die Passanten nur leicht bekleidet schlenderten. »Oder, wenn es nach mir geht, das Wetter von vor zehn Jahren zurückgebracht wird. Wer nicht völlig blind ist, wird zugeben müssen, dass es in den letzten Jahren unentwegt zu warm war. Und die Daten zeigen, dass das erst der Anfang ist. Wenn nicht schleunigst gehandelt wird, ist es bald zu spät und die Erwärmung hat einen kritischen Moment erreicht, so dass so viel Eis an den Polkappen geschmolzen ist, dass wir zumindest diesen Punkt nicht mehr aufhalten können. Dabei ist es mir gleich, ob das auf der Basis meiner Empfehlungen oder der von anderen Wissenschaftlern passiert, die wie ich nicht nur die Hände in den Schoss legen und ›Empfehlungen‹ aussprechen wollen.« Sebastian grinste. »Wobei ich einen Aktionsplan auf der Basis meiner Daten natürlich vorziehen würde.«

      Die Lachfalten in Melanies Gesicht vertieften sich.

      »Natürlich.« Dann setzte sie hinzu: »Man merkt, dass diese Idee dein Ding ist. Mit welchem Nachdruck du von deinen Vorstellungen sprichst, ehrt dich. Ein Wissenschaftler mit Herz. Und Verstand. Die Fächerkombination aus Biologie und Meteorologie hebt dich eh aus der Masse ab. Jemand, der ebenso Ahnung vom Wetter hat als auch davon, was dies letztlich für alle lebenden Wesen bedeutet. Respekt!«

      Das Blut schoss in Sebastians