Froststurm. Jan-Tobias Kitzel

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Название Froststurm
Автор произведения Jan-Tobias Kitzel
Жанр Научная фантастика
Серия
Издательство Научная фантастика
Год выпуска 0
isbn 9783957770615



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wohlweislich hirnlose Beantragung hätte schröpfen können.« Er strich sich unterbewusst die Kleidung glatt.

      »Und dann haben wir erneut versagt. Als endlich die Mittel da waren, vor wenigen Jahren erst. Versagt darin, uns abzusprechen. Jeder forschte lieber für sich allein. Klar, die globale Erwärmung im nationalen Alleingang zu stoppen, verheißt ja auch mehr Ruhm. Und seien wir ehrlich: Vor allem mehr Geld.« Protestierendes Gemurmel aus dem Saal. Sebastian redete darüber hinweg.

      »Lieber bauen wir mit Milliardenmitteln ›gemeinsam‹ den großen Teilchenbeschleuniger oder schicken ein paar Auserwählte ins All, als uns darum zu kümmern, dass unsere nächste Generation die Niederlande nicht nur als nettes Ausflugsgebiet fürs Wochenende kennt. Zum Abenteuertauchen in den Ruinen der untergegangenen Städte.« Einzelnes Gekicher und laute Zwischenrufe in einer kehligen Sprache. »Wenn es überhaupt eine Plattform gibt, die gemeinsame Forschungen zum Stopp der globalen Erwärmung schultern könnte, dann doch Hier und Heute die UN. Wir sind die Forscher. Es ist unsere Aufgabe, zusammen zu arbeiten und unsere nationalen Geldgeber davon zu überzeugen, in den gemeinsamen UN-Forschungsfonds einzuzahlen, damit alle etwas von den Früchten der Arbeit haben. Und sie schneller erreicht werden. Unpopulär sagen Sie? Eine sichere Methode, bei der nächsten Beförderung übergangen zu werden? Ja. Möglicherweise. Aber auch gleichzeitig die einzige, damit wir uns auch morgen noch im Spiegel ins Gesicht schauen können.«

      Sebastian bemühte sich krampfhaft, sein Zittern zu unterdrücken. Erst jetzt merkte er, wie nassgeschwitzt er war. Aber es hatte gesagt werden müssen. Ungläubige Blicke aus dem Publikum, immer mehr Zuhörer verstanden, was er gesagt hatte. Die Simultanübersetzer waren nicht zu beneiden, der Text entsprach nicht gerade der vorher eingereichten Rede.

      Er wandte sich ein letztes Mal an die Teilnehmer, hob flehentlich die Hände: »Lassen Sie uns diese Chance heute nicht vergeuden. Lassen Sie uns konkrete Projekte gemeinsam auf den Weg bringen. Gemeinsam, damit auch die nächsten Generationen noch auf einer Erde leben können, die mehr ist als eine Schreckensvision. Die bewohnbar geblieben ist. Ja, es wird Milliarden über Milliarden erfordern. Wir müssen den Verkehr umkrempeln. Die Industrie. Unsere Lebensgewohnheiten. Aber dies ist ohne Alternative. Denn sonst gibt es bald keine Gewohnheiten mehr, an denen man festhalten kann. Gewohnheiten sterben, wenn das Wetter unsere Welt täglich tiefer ins Chaos reißt.«

      Sebastian wartete nicht auf Applaus oder fliegende Tomaten. Er machte kehrt und ging die Treppe hinunter, hinter die Bühne. Einzelne Klatschgeräusche, vor allem aber vielstimmiges Murmeln begleitete ihn. Und es erwartete ihn der Anblick seines Vorgesetzten, dessen Kopf hochrot angelaufen war.

      »Born!« Er spie den Namen aus wie einen Fluch. »Was haben Sie da gerade verzapft? Das ist nicht die Rede, die Sie halten sollten.«

      »Und dadurch kein Stück weniger wahr«. Sebastian ging einfach an seinem Chef vorbei, der hörbar nach Luft schnappte und zog die Tür zum Gang hinter sich zu. Ungläubige Blicke auf dem Flur. Also auch hier hatten sie seine Rede verfolgt.

      Langsam ging er den Weg zum Foyer hinunter, dann flaute das Adrenalin ab. Und ihm wurde speiübel. Danach erinnerte er sich nur noch daran, wie sein Kopf dumpf auf dem schweren Teppich aufschlug.

      Bio-Logisch

      Eine nichtssagende Seitengasse in der Innenstadt. Schlüsseldienst, Friseur, Asialädchen. Die Straßenlaterne war hier das einzige, was etwas Leben in die Straße brachte. Niemand auf den Straßen, kein Wunder bei dem Wetter. Regina hatte die Kapuze tief in die Stirn gezogen, um dem fiesen, warmen Nieselregen der Vorweihnachtszeit zu entkommen. Unter dem Wintermantel schwitzte sie, da sie ihn aus Gewohnheit angezogen hatte.

      Wo war Hausnummer 33? Ah, neben dem kleinen Asialädchen. Das unscheinbare Schaufenster mit den Sonnenblumen. Klischeehafter ging es wohl kaum. Erinnerte sie direkt an ihre Jugenderfahrungen mit Greenpeace. Idealistische Zeit. Und völlig wirkungslos. Sie blieb stehen. Sollte sie wirklich wieder mit dieser Organisation etwas anfangen? Sie atmete tief durch. Machte einen Schritt zurück. Ballte die Faust in der Tasche. Und drückte auf die Klingel.

      Es dauerte einen Moment, dann wurde der Laden erleuchtet. Eine ältere Frau im ökologisch korrekten Grobleinenoutfit kam an die Tür und lächelte fragend durch die Glasscheibe der Tür. Dann zuckte sie mit den Achseln und öffnete die Tür.

      »Ja?«

      »Ist heute keine Sitzung der Ortsgruppe?«

      »Oh, ein neues Gesicht.« Greenpeace-in-persona machte den Weg frei, legte wie selbstverständlich den Arm um Regina und geleitete sie durch das Dritte-Welt-Lädchen in das Hinterzimmer. Die Perlenkette sandte helle Töne durch den erstaunlich großen Raum. Ein gutes Dutzend Weltverbesserer saßen auf human hergestellten Rattanstühlen, natürlich im demokratisch korrekten Stuhlkreis. Das konnte ja lustig werden. Die Runde wurde komplettiert durch einen kleinen Tisch an der Seite mit einer Mini-Stereo-Anlage, Reissnacks und stillem Wasser. Sphärische Musik bemühte sich, den Raum zu erfassen, scheiterte aber bereits an den Billig-Lautsprechern aus dem Baumarkt und quäkte vor sich hin. Der Geruch nach grünem Tee und Minzplätzchen lag in der Luft.

      Regina nickte in die Runde, nahm sich einen Stuhl und reihte sich in den Stuhlkreis ein. Ein rundlicher Mittvierziger im dunkelbraunen Anzug mit hellgelber Krawatte stand auf und ging er zu Regina, schüttelte ihr die Hand. »Wir kennen uns noch nicht. Ich bin David, Leiter der Ortsgruppe. Und du bist?«

      »Regina. Wollte mal wieder reinschnuppern, meine letzte GP-Sitzung ist allerdings schon ein paar Jahre her.«

      »Um die Welt zu retten, ist es nie zu spät«, sagte David, lachte mit dunkler Stimme und schüttelte sich ein paar Schuppen von der Schulter. Dann setzte er sich auf einen der Stühle und eröffnete die Sitzung.

      »Es freut mich, mal wieder ein neues Gesicht begrüßen zu dürfen. Und nochmal einen Dank an alle, die ihr an diesem herrlich-verregneten Tag euren Weg zu unserer Wochenrunde gefunden habt. Thema heute, wie ich ja über unseren Newsletter schon bekannt gemacht hatte, ist der sechsstreifige Ausbau der A42, der vom Landesbauministerium vor gut zwei Wochen bekannt gegeben wurde.«

      Echt? Hatte sie offensichtlich verpasst. Gut, etwas mehr Staus in der Bauphase, aber danach käme sie wenigstens schneller zur Arbeit.

      »Ich brauche euch allen wohl nicht zu sagen, was mit dem herrlichen Wäldchen an der Strecke passieren soll.« Im Stil eines schlechten Komikers ahmte David eine Kettensäge nach. Als er auch noch brummte wie der dazugehörige Motor, wünschte sich Regina einen Schirm, der sie vor dem Speichelregen beschützt hätte.

      »Da müssen wir etwas tun.« Die Begrüßungsdame war aufgestanden und ballte die Faust.

      Zustimmendes Gemurmel.

      »Unterschriftenaktion in der Innenstadt? Vorbereitete Mails an die Landtagsabgeordneten?«, warf eine Studentin im viel zu weiten Norwegerpulli in die Runde.

      »Klingt gut«, meinte David.

      »Wie finanziert sich der Ausbau?«

      Die Köpfe drehten sich zu Regina.

      David schüttelte den Kopf. »Keine Ahnung. Ich denke mal Landesmittel. Ist das deiner Meinung nach wichtig?«

      Regina verdrehte innerlich die Augen.

      »Absolut! Das klingt nicht gerade nach Portokasse, sondern eher danach, dass die Landesregierung etwas aus dem Berliner Topf dazubekommt. Vielleicht etwas aus den Maßnahmen zur Ankurbelung der Wirtschaft, die nach dem Börsenvollcrash ins Leben gerufen wurden. Macht sich sicherlich gut, wenn man den Haushaltsausschuss des Bundestages mal mit ein paar Details belästigt, dass für Arbeitsplätze hier ein ganzer Wald sterben muss.«

      Anerkennendes Nicken aus der Runde.

      Ein Klingeln aus dem Verkaufsraum unterbrach die Runde und kurz darauf kam ein Mann in das Hinterzimmer. Regina schluckte. Nicht irgendein Mann. Der Mann. Wasser perlte von den lockigen, schulterlangen Haaren und dem kantig-markanten Gesicht. Die Züge wirkten wie gemeißelt, die Augen wach und eisblau. Eine Jeansjacke wanderte auf einen freien Stuhl. Enger, heller Pulli, ebenso körperbetonte Jeanshose. Regina nahm zügig einen Schluck Wasser.