Название | Unerhörte Erinnerungen eines Sonstigen |
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Автор произведения | Martin Löschmann |
Жанр | Биографии и Мемуары |
Серия | |
Издательство | Биографии и Мемуары |
Год выпуска | 0 |
isbn | 9783957446817 |
Auf einer Weihnachtsfeier des Instituts für Interkulturelle Kommunikation Berlin im Brecht-Keller in der Chaussee-Straße erzähle ich das fast 40 Jahre später meiner Nachbarin zur Linken, Frau Dr. Lilli Bock. Sie strahlt, als ich mich an ihren Vortrag im DDR-Kulturzentrum Helsinki erinnere: Das literarische Werk Anna Seghers von 1945 bis zur Gegenwart. „Über Ihr Praktikum am BE müssen Sie unbedingt schreiben. Dafür interessiert man sich heute.“ Das schmeichelt.
Und Corinna Harfouch, hat sie uns nicht kürzlich in die Kammerspiele des Deutschen Theaters eingeladen: Corinna Harfouch liest ‚BILLY THE KID’, Mi, 22.11.2006, 20:00 Uhr. Musik: KATDSE. Auf der Eintrittskarte steht nicht, dass Johannes Gwisdek, ihr Sohn, die Musik dazu gemacht hat. Ich möchte mal wissen, wer unter den rund 200 Zuschauern an jenem Abend das wusste. Corinna gehört zweifelsohne zu den großen deutschen Schauspielerinnen der Gegenwart. Na, bitte. Nach der Veranstaltung treffen wir ihre Schwester, sie ist gleichfalls Schauspielerin geworden und probt gerade die Rolle der Mutter Babette in Frischs Biedermann und die Brandstifter, das wieder einmal in Zürich aufgeführt werden soll, dort, wo die Uraufführung 1958 stattfand.
Ja, sie hat uns als Harras in der spektakulären Castorf-Inszenierung Des Teufels General in der Volksbühne, als Vera Brühne in dem gleichnamigen Fernseh-Zweiteiler, in der fast legendären Möwe-Inszenierung von Gosch am DT begeistert. Wie oft wurde in Gesprächen nicht die Zeit erinnert, als wir mit ihr und ihrem damaligen Mann, Nabil Harfouch, bis tief in die Nacht diskutierten, ob sie mit ihm, der nach Studium und erfolgreicher Promotion in Dresden, nach zehn Jahren in seine syrische Heimat zurückkehrte, gehen solle oder nicht. Sie wollte Schauspielerin werden und das hätte sie in Syrien nicht werden können. Am 21. April 2009 erlebt der Dokumentarfilm Corinna Harfouch. Was ich will, ist spielen seine Premiere in Berlin. Wo sie auftritt, gehen wir hin; fuhren im letzten Jahr sogar nach Zürich, wo 50 Jahre nach der Uraufführung Dürrenmatts Physiker wieder auf dem Spielplan stand, mit Corinna als Fräulein Doktor Mathilde von Zahnd.
Und dann ist da auf jeden Fall der Maler Tübke, Werner Tübke, der sog. Leipziger Schule zugerechnet, unser Gegenüber in der Springerstraße. Schließlich hatte er Marianne gelegentlich eines Festes in seinem Haus zum Tanz aufgefordert und sie als Tanzende in der Bewegung gemalt. Das Gartenfest zu des Meisters 51., zu dem wir geladen waren, ist in Geburtstagsfeier Springerstraße 5 verewigt, im Bild deutlich als SP5 hervorgehoben. Kostümierung und Maskierung verfremden die Szenerie, Personen aus dem Verwandten- und Bekanntenkreis sind dennoch erkennbar. Beide Gemälde und andere können in der Tübke Stiftung in eben der SP5 besichtigt werden. Mit einem sozusagen absoluten fotografischen Gedächtnis begnadet, malte er übrigens fast ausschließlich ohne Modell. Als Interesse und auch Geld für den Kauf der Tanzenden da waren, war es unverkäuflich. Immerhin eine Grafik, seine Frau, liegender Akt, zwischen seinem Vater und ihm selbst, vom Meister als Geschenk offeriert, als er sich einstmals die Ehre gab, uns zu besuchen, gehört zu den wenigen originalen Kunstwerken in unserer Wohnung.
Eine Zeitlang hing es neben einer Papiercollage Galeere von Reinhard Roy, Maler und Bildhauer, der 1983 die DDR verließ und sich dann vorwiegend der Rasterkunst verschrieb. Er stand eines Tages mit seinem damaligen Kompagnon vor unserer Tür in der SP4, als wir noch zur Messe unser Einzelzimmer auf dem Dachboden vermieteten. Mit Gamaschenstiefeln, Vollbart, Hühnergott-Kette, abgewetzter Lederjacke auf den ersten Blick nicht gerade vertrauenswürdig, wurde er uns zu einem guten kritischen Freund. Ihm ist es zu verdanken, dass ich auf seinem 50. Geburtstag höchst persönlich keinem Geringeren als dem späteren Bundespräsidenten von 2004 bis 2010, Hort Köhler, die Hand schütteln durfte. Reinhard, wie soll ich dir nur danken?
30 Jahre nach unserer ersten Begegnung wird Roy, der in Görlitz einst sein Atelier hatte und vom Chef der „Görlitzer Stasidienststelle“ bedrängt und gedrängt wurde, in seinen mittlerweile mehrbändigen Fragmenten schreiben:
„Ich hoffe, dass man Martin und Marianne nicht auch noch meiner Ausreise wegen in die Mangel genommen hat. Ihnen kommen sie nicht bei, denke ich gleich. An deren Klugheit perlt die Dummheit bereits ab, ehe sie formuliert ist, dessen bin ich mir sicher wie auch, dass Löschmanns eher mit dem faustschen Teufel im Bunde stehen als mit der Stasi.“
Tübke konnte übrigens mit meinem zuweilen leicht skurrilen Humor absolut nichts anfangen. Was für eine umwerfende Idee, Herr Tübke, in den Vorraum einen großen Schlitten zu stellen, einen Schlitten etwa in der Art – obschon farbenfroher – wie der, mit dem meine Eltern im Winter in die Kreisstadt gefahren sind. Beifälliges Nicken.
Irgendwann spielten wir mal Skat zusammen. Weder Marianne noch ich sind gut darin, um es für uns schmeichelhaft auszudrücken. Und da lud uns der große Maler, als leidenschaftlicher und versierter Skatspieler bekannt, eines Tages ein, mit ihm und seiner Frau dieses Männerspiel zu wagen. Wie es sich manchmal fügt, obwohl ich aus seiner Sicht schlechter als ein Anfänger spielte, musste Herr Professor Werner Tübke, der aufschrieb und die Abrechnung selbst vornahm, mich leicht unwillig, als Gewinner des Abends verkünden. Ob er wohl an die Volksweisheit von den dümmsten Bauern und den großen Kartoffeln gedacht hat. Ich schon. Es gab nie eine Revanche.
Viele seiner Bilder, wie sein Sizilianischer Großgrundbesitzer mit Marionetten, bei uns in der Springerstraße jahrelang als gerahmter Druck an der Wand, das vieldeutige Original in der Galerie Neue Meister in Dresden, bleiben uns wichtig. Sein Bauernkriegs-Panorama in Bad Frankenhausen, nach vielen Jahren letzthin noch einmal besucht, wie vordem, monströs und umwerfend beeindruckend.
Begreiflicherweise ist mir klar, dass meine Betrachtungen mehr Leser und Leserinnen finden würden, wenn ich Augenzeuge solcher künstlerischen Ereignisse geworden wäre, wie sie der damals unbekannte Galerist Judy Lybke in Leipzig kreierte. Zur Eröffnung seiner Galerie Eigen + Art begrüßte er 1983 die Gäste splitternackt. Die DDR – das bekannte FKK-Land.
Schließlich könnte ich wohl den Professor für Soziologie an der Freien Universität, Wolf Lepenies, erwähnen: Wissenschaftspolitiker und Publizist, Ostpreuße der Geburt nach, Alexander-von-Humboldt-Preis, Friedenspreis des Deutschen Buchhandels, um zwei seiner vielen Auszeichnungen zu nennen. Ihn traf ich, als er Rektor des Wissenschaftskollegs zu Berlin war, kurz nach dem Mauerfall auf einer Veranstaltung in Westberlin/Grunewald, zu der der Romanist und Inhaber des Lehrstuhls Deutsch als Fremdsprache an der Ludwig-Maximilians-Universität in München, Prof. Dr. Harald Weinrich, eingeladen hatte. Grundgedanken seiner Textgrammatik der deutschen Sprache sollten von einem interdisziplinär zusammengesetzten Gremium diskutiert werden. Als Didaktiker des Deutschen als Fremdsprache aus der DDR und durch die Wende verunsichert, fiel mir nicht allzu viel ein, in der Mittagspause aber entspann sich ein produktives Gespräch, ich dächte aus der ostdeutschen Provinz war ich der einzige, plus ein oder zwei Linguisten aus Ostberlin. Wir erörterten Chancen der Wiedervereinigung und formulierten Hoffnungen im Small-Talk-Format. Viele Jahre später lese ich zufällig sein klares Urteil, das in unserer Pausen-Diskussion bereits aufblitzte: Während Deutschland nach dem 2. Weltkrieg mit Frankreich eine erfolgreiche Lerngemeinschaft eingegangen sei, sind „nach 1989 große Chancen vertan worden, weil – nicht zuletzt in Deutschland – der Westen sich in eine Belehrungsorgie steigerte, statt sich angesichts der neuen unerhörten Herausforderungen auf ein gemeinsames Lernen mit dem Osten einzulassen.“
Auch Skandale ließen sich in meinem Leben finden, zumindest barg meine endgültige Entlassung als Professor für Deutsch als Fremdsprache am Herder-Institut der Leipziger Universität im Rahmen des Elite-Austausches im Osten Deutschlands 1993, meine zweite Lebenskatastrophe, skandalträchtige Züge. Ich könnte fernerhin über eine Gerichtsverhandlung berichten. Das mögen die Leute. Die Nachmittagsserie des ZDF Streit um Drei sahen einst über eine Million Zuschauer. Und wer sieht nachmittags fern? Mir würde ein winziger