Auf Wiedersehen, Bastard! (Proshchay, ublyudok!) 1 - Die Schlacht in Magnitogorsk. Tino Hemmann

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Название Auf Wiedersehen, Bastard! (Proshchay, ublyudok!) 1 - Die Schlacht in Magnitogorsk
Автор произведения Tino Hemmann
Жанр Триллеры
Серия
Издательство Триллеры
Год выпуска 0
isbn 9783954888559



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»Natürlich nicht«, sagte er. »Ich will nur nicht, dass wir zu spät kommen.«

      »Ich weiß, das wäre dir peinlich. Du bist eine richtige kleine Maus. Wir werden pünktlich sein. Versprochen!«

      Während Fedor selbstsicher das Haus durchquerte und im Bad verschwand, telefonierte Sorokin erneut mit Hauptkommissar Hans Rattner.

      »Es war definitiv kein Russe, der angerufen hat«, erklärte Sorokin. »Fedor würde das sofort hören.«

      »Anatolij, hör zu, so weit sind unsere Techniker auch gekommen. Sie sagen, es wäre ein Sachse ...«

      »Sie irren, er ist ein Schwabe!«, warf Sorokin ein.

      »... zirka fünfzig Jahre ...«

      »Nein. Um die vierzig!«

      »Das hat dein Junge alles gehört? Unsere Spezialisten haben die ganze Nacht dazu gebraucht.«

      »Habt ihr Smirnow ausfindig gemacht?«

      »Ja, die russischen Behörden sprechen mit ihm. Wir wissen nur, dass er sich morgen mit dem Moskauer Bürgermeister trifft und dann zurückfliegt.«

      »Er kommt nicht sofort?«

      »Scheint so. Vielleicht hat er seine Gründe. Vielleicht will er Stärke beweisen?«

      »›Vielleicht‹ ist weder ›Ja‹ noch ›Nein‹. – Gibt es neue Hinweise?«

      »Nichts. Wir haben absolut nichts. Wir wissen ja nicht mal, ob der Anrufer überhaupt etwas mit der Tötung zu tun hatte. Die Schlösser im Haus waren ganz, keine Spur rings um das Haus. Selbst die Patronen, die bei beiden Opfern ausgetreten waren, sind verschwunden.«

      »Er war es«, sagte Sorokin selbstsicher.

      »Woher ...?«

      »Der Anrufer war es. Ich fühle es. Und es war definitiv kein Russe, der angerufen hat. Das wissen wir jetzt.«

      »Hat Smirnow Feinde? Hier?«

      »Ich kenne Sergei, doch er ist keinesfalls mein Bruder. Das soll heißen, dass Sergei nicht all seine Geheimnisse mit mir teilen wird.« Zorn schwang in Sorokins Stimme mit. »Jedoch egal wer es war, der Junge und das Mädchen – sie haben nichts mit Sergeis beruflichen Aktivitäten zu tun. Wer immer das war, ich will ihn finden.« Eine kurze Pause entstand. »Warum nur gerade diese zwei jungen, wehrlosen und gutmütigen Menschen?«, brüllte er plötzlich.

      Fedor stand in der Badtür. Er zitterte am ganzen Körper.

      *

      »Ich will allein hochgehen.« Fedor drückte fest die Hand des Vaters und schüttelte sie dann ab.

      »Schick eine Nachricht, wann ich dich holen soll. Viel Spaß und bleib anständig.« Wie immer beim Abschied gab Sorokin seinem Sohn zwei Küsse auf die Wangen. Dann beobachtete er, dass der Junge den Blindenstock bis zur ersten Stufe einsetzte, das Geländer ergriff und von da an mit der Echoortung arbeitete. Auf dem ersten Treppenabsatz hielt Fedor inne und sagte: »Du kannst jetzt bitte gehen, Papa. Ich brauche keinen Babysitter.«

      »Okay. Bin schon weg.« Sorokin machte kehrt. An der gläsernen Haustür standen die Namen der Bewohner. Es waren nur drei, wahrscheinlich sehr große Etagenwohnungen in diesem recht neu und kalt wirkenden Haus. In der dritten Etage wohnte Laura. Am oberen Namensschild stand der Name »Frank Sonberg«.

      Auf dem Weg zum Wagen – Sorokin hatte sich gerade eine Zigarette angezündet – meldete sich sein Handy. Sergei!

      *

      Fedor stand unschlüssig vor der Wohnungstür. Er schnalzte so lange, bis er die Umrisse der Türzarge verinnerlicht hatte. Zeitig, in frühester Kindheit, hatte der Junge die aktive menschliche Echoortung, Klicksonar genannt, erlernt, wobei mit der Zunge ein dezenter Klicklaut einen Schall aussendete. Das von Gegenständen oder Hindernissen ausgehende Echo des Klicklautes wurde im visuellen Kortex seines Gehirns ausgewertet. Durch jahrelanges Training und aufgrund einer hohen Begabung war es Fedor gelungen, diese Echosignale von anderen akustischen Quellen zu unterscheiden. Sein Gehirn erzeugte durch die Echos einfache, jedoch brauchbare Bilder seiner Umgebung. Im Alter von neun Jahren hatte er dieses Verfahren bereits so verinnerlicht, dass er auch Echos fremder passiver Schallquellen intellektuell verarbeiten konnte. Diese vervollständigten das Gesamtbild seiner Umgebung. Mitunter sah der Junge eine ganze Straße bildlich vor sich, nur weil reichlich Lärm herrschte.

      Nun tastete er die Tür ab. Sie war glatt und kühl, die Türklinke war aus Guss und verziert. Direkt darunter befanden sich gleich zwei Schlösser für schmale Schlüssel. An der rechten Türzarge fand er den Klingelknopf, rund, mit einem Druckknopf in der Mitte, alles verhältnismäßig hoch angebracht. Darüber ein flaches glattes Schild, in das ein Name eingraviert war. Mit den Fingern las Fedor die Gravur einer geschwungenen Schrift: »Frank Sonberg«.

      Fedor zog die Hose zurecht und holte tief Luft, dann drückte er kurz auf den Klingelknopf. Ein sanftes Gong-Gong-Läuten erklang.

      An den Schritten hinter der Tür erkannte der Junge, dass sich die Mutter von Laura näherte, die Tür von innen zweimal aufschloss und diese anschließend erst ein Stückchen und dann ganz öffnete.

      »Ah, da ist ja unser kleiner Star!« Sie hielt Fedor die rechte Hand hin, der seine gleichsam anhob und nach der ersten Berührung zugriff.

      »Guten Tag, Frau Sonberg«, sagte Fedor mit einer leichten Verbeugung. »Vielen Dank für die Einladung.«

      »Komm doch rein. – Aber pass auf, da ist eine Stufe.«

      Lächelnd betrat Fedor den Flur. »Ich weiß, dass da eine flache Stufe ist.« Es machte fast den Eindruck, als würde sich Fedor umsehen. »Sie haben eine sehr schöne, große Wohnung.«

      Ein wenig staunte die Dame. »Woher weißt du das? Ich denke, du bist ...«

      »... blind. Natürlich bin ich blind. Wissen Sie, Fledermäuse sind auch ziemlich blind. Und trotzdem fliegen sie nie gegen eine Wand. Ich sehe so, wie es die Fledermäuse tun. Oder die Delfine, die machen das auch so. Soll ich es beweisen?« Fedors Zunge klickte einige Male. »Dort steht ein großer Schrank.« Er zeigte auf einen Kleiderschrank. »Da ist ein Kleiderständer. – Dort eine Tür, dort eine schmalere Tür und ... Hallo Laura, da bist du ja.« Zielgerichtet ging Fedor auf die Stelle zu, von der er glaubte, dass Laura dort stehen würde. Er hörte ihren Atem, kannte ihren dezenten Parfümgeruch und wusste, wie groß sie war.

      »He Fedor.« Laura warf der Mutter einen jener Teenie-Blicke zu, die Eltern verschwinden lassen konnten, ergriff Fedors Hand und zog ihn mit sich. »Soll ich dich in der Wohnung rumführen?« Bevor der Junge etwas sagen konnte, begann die Führung. »Also: Hier ist die erste Toilette mit dem einen Bad. Auf der anderen Seite die zweite. – Das ist unser Wohnzimmer. Wir haben einen riesigen Fernseher. Hier geht es zum Balkon, der um das ganze Haus führt. – Da ist mein Zimmer, da gehen wir gleich hin. Hier ist ein Gästezimmer für die bucklige Verwandtschaft. Und hier«, Laura öffnete eine Tür und schob Fedor in ein Zimmer, »ist das Arbeitszimmer meines Vaters. Eigentlich darf ich hier nicht rein. Er kommt gleich, hatte noch einen Termin.«

      Fedor wollte das Zimmer bereits verlassen, als er plötzlich innehielt. Er sog die Luft in sich ein. »Was riecht hier so?«, flüsterte er.

      »Riecht? Ich rieche nichts«, antwortete Laura. »Vielleicht meinst du seine Zigarren? Manchmal raucht er hier Zigarre.«

      »Ich rieche das. Vanille. Also Tabak und Vanille«, flüsterte Fedor. Ein Schaudern ging durch seinen Körper. »Welche Sorte raucht er denn?«

      »Es sind immer die gleichen Zigarren. Warte mal.« Laura ging zum Schreibtisch des Vaters. »Hier ist eine Schachtel. Die Dinger heißen ›Independence‹ und dann steht da noch ›Xtreme Vanilla‹.« Sie lief rasch zurück zur Tür und schnüffelte. »Stimmt. Vanille ist mit drin. Los, komm, wir gehen in mein Zimmer.«

      Artjom lauschte der Abhöranlage in Smirnows Zimmer. Doch die funktionierte