Auf Wiedersehen, Bastard! (Proshchay, ublyudok!) 1 - Die Schlacht in Magnitogorsk. Tino Hemmann

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Название Auf Wiedersehen, Bastard! (Proshchay, ublyudok!) 1 - Die Schlacht in Magnitogorsk
Автор произведения Tino Hemmann
Жанр Триллеры
Серия
Издательство Триллеры
Год выпуска 0
isbn 9783954888559



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lächelte zwar, sagte jedoch nichts. Dumme Frage.

      Fast gleichzeitig ertönten zwei Klingelmelodien. Sowohl Fedors Handy als auch Sorokins Freisprechanlage meldeten eingehende Anrufe.

      »Ist sie das?«, fragte der Fahrer und startete, denn die Ampellampen sprangen auf Grün.

      »Nur eine SMS.«

      »Dafür, dass ihr keinen Kontakt habt, hat sie dir verdammt schnell geschrieben.« Wieder lächelte Sorokin. Dann berührte er einen Knopf und sagte laut: »Privet!«, während Fedor die Nachricht auf dem eigenen Handy von einer monotonen Frauenstimme vorlesen ließ und dabei lauschte.

      Eine raue, alte Stimme erklang aus den Bordlautsprechern. »Hallo Ameise, hier ist der alte Schnüffler.«

      »Ameise« war das geläufige Pseudonym für Anatolij Sorokin in Kreisen des SEK, was sich bis zur Kripo herumgesprochen hatte. Der Anrufer war kein Geringerer als Hans Rattner, ein ewig stoppliger, alter, erfahrener Hauptkommissar, der nach jedem Mord in der Stadt zugegen war, denn er leitete seit Jahren die Mordkommission. Sorokin war übrigens die seltene Ausnahme, die bei der Aussprache des Namens »Rattner« das »e« betonte.

      »Kommissar Rattner. Was gibt es?«, fragte Sorokin erstaunt. »Um diese Uhrzeit habe ich keinen Anruf mehr erwartet.«

      »Ich brauche Ihre Hilfe. Tut mir leid, wenn ich störe. Es ist dringend.«

      »Kein Problem. Nur ... der Kleine ist dabei.«

      »Ich bin kein Problem, Papa«, flüsterte Fedor dazwischen.

      »Südallee 17. Lass den Jungen im Wagen. Er muss das hier nicht sehen.« Rattner erkannte sofort die Dummheit in seinem eben geäußerten Satz. »‘tschuldigung. Mit ›nicht sehen‹ meine ich selbstverständlich ›nicht mitkriegen‹.«

      Der rechte Zeigefinger Sorokins wollte bereits die Adresse ins Navi eingeben, doch dann zögerte er und ließ es bleiben.

      »Sagten Sie wirklich Südallee 17? In sechs Minuten bin ich da«, sprach er und brach die Verbindung ab.

      *

      »Ich beeile mich. Okay?« Sorokin fuhr dem Jungen über das Haupt. »Alles klar bei dir?«

      »Geht schon.«

      »›Geht schon‹ heißt, dass du mich etwas fragen willst.«

      »Ihre Eltern haben Laura erlaubt, mich einzuladen. Morgen, am Samstag, zum Kaffee.«

      Einen Moment lang zögerte Sorokin. Dann sagte er: »Klar doch. Ich bring dich hin. Okay?«

      Fedor atmete erleichtert auf. »Beeil dich bitte, Papa. Ich bin müde.«

      »Versprochen.« Sorokin stieg aus dem Wagen, der zwischen zwei Polizeifahrzeugen parkte, deren schrecklich blendende Rundumleuchten nach amerikanischer Manier die erweiterte Umgebung in blaues Licht tauchten. Er sah sich flüchtig um und lief zum Portal der wie ein Fußballstadion beleuchteten Gründerzeit-Villa im Stadtteil Leutzsch. Am Eingang nickte ihm ein Polizist zu, ohne ein Wort zu verlieren. Das Untergeschoss hatte die Spurensicherung bereits für sich gepachtet und ganz oben, auf einer breiten Treppe, stand Rattner, wie gewohnt mit altem 20er-Jahre-Mantel und rundem Chicago-Hut bekleidet, und hob grüßend die rechte Hand.

      Mit zwei Stufen pro Schritt eilte Sorokin hinauf.

      »Und, wie hat er sich geschlagen?«, fragte Rattners tiefe, alte Stimme, nicht so, als wenn es ihn nicht interessieren würde. Rattner kannte Fedor seit Jahren und nahm an dessen Entwicklung einen regen und gut gemeinten Anteil.

      »Es hätte nicht besser laufen können. Bombastisch. Die meisten Leute im Publikum haben wahrscheinlich nicht einmal bemerkt, dass der Junge blind ist.« Sorokin schaute sich um. »Es gibt allerdings ein neues Problem.«

      Rattner schob einen Beamten zur Seite und zeigte auf eine offen stehende Zimmertür. »Ist es ernst?«

      »Ich glaube, ja. Mein kleiner Fedor ist zum ersten Mal richtig verliebt. Zum allerersten Mal in seinem Leben. – Was ist hier passiert?«

      Sie betraten den Raum, Rattner antwortete nicht auf Sorokins Frage. Vier in sterilen Anzügen steckende, auf dem Boden kniende Mitarbeiter der Spurensicherung schauten gleichzeitig auf.

      »Und, wie ist die Schwiegertochter so?«, fragte Rattner.

      »Süß. Nur ...«

      Einer der Männer von der Spurensicherung zog die weiße Abdeckung von einem der beiden menschlichen Körper, die vor einem Kamin lagen. Auf Boden, Kaminsteinen und der angrenzenden Wand waren Blut und Gewebefetzen zu sehen, als hätte hier ein Massaker stattgefunden.

      »Nur?«, raunte Rattner.

      »Sie kann sehen.« Sorokin ging wortlos in die Knie. Auf dem Boden lag der Körper eines toten Kindes. Ein schmächtiger Junge, etwa zehn Jahre. Sein Kopf ruhte seitlich in einer Blutlache. In der Stirn des wie im Schlaf wirkenden puppenhaften Gesichtes befand sich ein kleines Einschussloch, sein Hinterkopf war zerfetzt.

      »Mein Gott, Igor! Chto eto ...?«, hauchte Sorokin, dessen Gesicht augenblicklich blass wurde.

      »Zwei Hinrichtungen aus nächster Nähe«, sagte Rattner, der von oben herab auf das Kind starrte. »Der Junge und sein Kindermädchen.«

      Eine Beamtin in Weiß zog ein weiteres Laken zur Seite. Der regungslose Körper einer jungen Frau kam zum Vorschein, somit auch ihr Kopf, mit den gleichen Erschießungsmerkmalen wie bei dem des Kindes.

      »Der kleine Igor!« Mit einem geflüsterten »Bosche Moi ...« erhob sich Sorokin, der damit beschäftigt war, ein Erbrechen zu vermeiden. »Was ist das für eine verfluchte Sauerei?«

      »Sergei Michailowitsch Smirnow. Das hier war sein einziger Sohn Igor. Neun Jahre, besucht seit drei Jahren eine deutsche Schule hier in der Stadt. Das Kindermädchen, Anja Weiß, siebzehn Jahre, wurde von einer Agentur vermittelt und passt seit Monaten auf Smirnows Kronprinzen auf.«

      »Das sind keine Neuigkeiten für mich!« Mit der linken Hand öffnete Sorokin einen Fensterflügel. Unten sah er seinen BMW. Der Innerraum war dunkel. Fedor benötigte kein Licht. Die frische Nachtluft tat gut, Sorokin atmete tief durch. »Ich kenne dieses Haus. Ich weiß das alles. Aber warum ...? Wo hält sich Sergei momentan auf?«, fragte er.

      »Das wollen wir gerade herausbekommen. Der Wirtschaftsfunktionär Smirnow koordiniert Geschäfte zwischen Deutschland und Russland. Nicht die kleinen Dinge, sondern die ganz großen. Mehr weiß ich auch noch nicht. Smirnow ist einer Ihrer Landsmänner. Deshalb wollte ich, dass Sie sich das anschauen. – Sie kennen ihn tatsächlich?«

      Das Gesicht von Sorokin zerfiel mehr und mehr. »Sergei ist Russe, ich bin Russe. Natürlich kennen wir uns. Und Igor ...«

      »War ein Freund von Fedor?«

      Sorokin nickte. Dieses Nicken war Rattner vertraut. Es hieß: »Ich weiß nun Bescheid, brauche meine Ruhe und melde mich kurzfristig, wenn ich etwas erfahre.«

      »Tut mir leid. Bringen Sie es Fedor schonend bei.« Er reichte Sorokin die Hand, der den Gruß erwiderte, einen letzten Blick auf die Leiche des Jungen warf und gerade gehen wollte, als Katie den Raum betrat. Katie, die modelverdächtige, strohblonde, superschlanke, langbeinige, allerdings abseits des Bettes stets und ständig gefühllos auftretende Assistentin von Hauptkommissar Rattner, die Sorokin einen Blick zuwarf, ein ernstes Gesicht aufsetzte und sprach: »So etwas habe ich noch nie erlebt. Wie in einem schlechten Hollywoodfilm! So eine verfluchte Schweinerei. – Smirnow ist eine Woche in Moskau. Er sollte übermorgen zurückkehren.«

      »Fedor hat nicht sehr viele gute Freunde. Und Igor war einer der besseren.« Mit diesen Worten verließ Sorokin den Raum und schlich die Treppe hinunter.

      Unten, im Eingangsbereich, stand Fedor – der es im Wagen nicht ausgehalten hatte – neben einem Beamten. Seine Nasenflügel bebten, er saugte Gerüche in sich ein.

      Wortlos nahm Sorokin den Sohn an die Hand und verließ mit ihm die Villa. Nachdem sie in den BMW eingestiegen