Erzähl mir von Ladakh. Adi Traar

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Название Erzähl mir von Ladakh
Автор произведения Adi Traar
Жанр Книги о Путешествиях
Серия
Издательство Книги о Путешествиях
Год выпуска 0
isbn 9783945961520



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nach oben, es folgte eine kurze Unterbrechung, deren Ursache nicht eruierbar war, daran anschließend blickte eine Schlange in die entgegengesetzte Richtung nach unten. Die Straße war vollends verstopft, die Schlange regte sich nicht. Es würde bis in die Nacht hinein andauern, ehe sich die letzten Fahrzeuge entwirrt haben sollten. Anhaltendes Gehupe vermeinte man bald schon der Gebirgs-Arena zugehörig, als sei es ein Teil von ihr wie das befreite, selbstverliebte Plätschern des Baches, welcher dem ewigen Eis und ewigen Stein der Gipfelregionen glimpflich entronnen war.

      In einer Talsohle unterhalb der Paßstraße, dem Blechpulk zu Füßen, stand nun auf einem schmalen Wiesenstrich mein Zelt. Der Boden war besonders begehrt bei Kühen und Pferden, sie hatten es sich hier auf 3200 Meter Seehöhe ganz gut eingerichtet – wäre ich nicht gewesen und hätte ihnen ihr Menü verstellt. Es entflammten kleine Grenzstreitigkeiten. Die Tiere entschieden sie vorübergehend für sich, indem ein Pferd auf den Zelteingang zutrottete, eine abstehende Spannleine cuttete, begleitet von einem hellen Pinngg und einem kränklichen Neiiin. Reparaturarbeiten bereits am ersten Tourentag – ganz oben auf jeder Reisewunschliste. Schach beginnt man ja auch nicht gleich mit »Schach!« Ich verschob die Reparatur auf einen späteren Zeitpunkt.

      Ich hätte es nicht tun sollen. Aber das Ölbad auf meinem Teller, in dem mein Frühstücksomelette geschwabbelt war, hätte mir womöglich noch die Verdauung verunglimpft, da musste was Blasses, Fettloses ran, Toastbrot zum Beispiel, ob ich eins haben könne, Mensch, der versteht mich nicht, Toast, ja, Toast, okay, ich wollte es ihm zeigen, ging mit ihm in die Kochnische und – oh Gott!

      Nun gut, womit sonst als mit den Händen sollte man Käse reiben? … Vielleicht aber mit sauberen? Und ohne glimmende Zigarette in jener Hand, welche mit dem Halten des Reibeisens vollends ausgelastet wäre. Nicht auszudenken, wo die Kippe überall landen konnte – hoffentlich nicht im Käse und in den Nahrungsmittelvorräten, die in altgedienten, angeschimmelten Holzsteigen am erdigen Boden gelagert waren. Leicht benommen ging ich mit zwei mühsam erbeuteten Scheiben Toastbrot zurück an meinen Tisch. Und das Omelette war nicht mehr das gleiche.

      Der Masala-Tee wiederum ging in Ordnung, er hatte eine Schärfe, die die Vernichtung der Lebendbestandteile im Essen verhieß. Mit seiner Hilfe vermutlich kam ich glimpflich davon, er war mein Magenfreund, mein Jägermeister. Die Gewürzmischung Masala, deren Zusammensetzung örtlich stark differiert und prinzipiell aus Kardamom, Minze, Koriander, Kurkuma, Muskatnuss, Knoblauch, Chili besteht, wird als Basis für diverse Currys verwendet, als Tee schmeckt sie ebenso vielfältig.

      Die indischen Sirenen, die wieder undercover in Gestalt von neugierigen Touristen auftraten, bewirkten einen Zappelfaktor, den sonst nur Kuhfliegen mit mir machen. (Ob solche in Indien auch Heiligenstatus genießen?) Dergestalt dauergeprüft griff ich zu einer gewagten List odysseeischen Einschlags. Nämlich, Neugierde erweckend war ich lediglich im Verbund mit meinem riesenhaft bepackten Fahrrad; also stellte ich dieses weit von meinem Sitzplatz entfernt ab und platzierte mich hinter den mit Tierfellmänteln behangenen Verkaufsständen im Freibereich des Dhabas, versteckte mich gleichsam hinter den Schafen, bewältigte die auferlegte Prüfung und hatte meine Ruhe vor den lästigen Fliegen – Argusaugen vorausgesetzt, diebstahlsicherheitstechnisch nämlich war die Idee Mist, aber Mist war mir allemal lieber als Fliegen.

      Ich lieferte mich dem Verkehr aus, der zu einer geballten, nach oben fokussierten Saugkraft gediehen war, man entkam ihm nicht, er wurde zum alleinbestimmenden Motto der nächsten Stunden. Bald schon kam er zum Erliegen. Das war mein Auftritt. Ich zwängte mich an den Autos vorbei, bis zur Straßensperre in Form eines Kastens von einem Mann und dessen eindringlicher Empfehlung, ich solle dringend Stooooop! Get stoooooop! machen. Wieder einmal war es zu einem Erdrutsch gekommen. Der Straßenabschnitt besonders südlich des Rohtang-Passes ist berüchtigt für Steinschlag und Murenabgänge, naturgewaltige Bewegungen, die der Zivilisation den vorübergehenden Zustand des Stillstandes abnötigen. Nicht von ungefähr heißt der Pass übersetzt »Leichenberg«. Der Übergang ist eine rigorose Wetterscheide, der sogar ein waschechter Grobian wie der Monsun Respekt zollt, der läuft erst einmal an dem Pass auf, ehe er ihn zu überwältigen vermag. Darum regnet es hier oft ordentlich ab, während es weiter nördlich größtenteils trocken bleibt, erkennbar am üppigen Grün diesseits und kargen Grau jenseits. Des Weiteren ist ungefähr hier endgültig Schluss mit Himalaja. Gen Westen setzen sich Berggemeinschaften mit Abklatsch-Höhenknoten fort (kaum ein Gipfel bringt es im Zanskar-Range auf 7000 Meter), ehe sie vom Karakorum-Gebirge wieder eindrucksvoll auf Weltklasse frisiert werden.

      Eine Kehre oberhalb, beinahe in Falllinie, warf ein Caterpillar zyklopenhaft Steine und Erdreich zu uns herab. Sicherheitshalber schob ich das Rad ein wenig zurück und versteckte mich in Ermangelung von Schafen hinter dem erstbesten Auto.

      Die Kolonne nahm wieder Fahrt auf. Der Zustand der Straße wurde immer schlimmer. Im Zuge von Gebietsstreitigkeiten um oft nur wenige Dezimeter schmale Asphaltstreifen hatte ich den Autos gegenüber zumeist das Nachsehen. Ständig wurde ich in knöcheltiefen Schlamm oder Sand auszuweichen genötigt, musste anhalten und vom Rad springen. Ich entschied mich jedenfalls, unabhängig von der Position der Straße zum Hang, die Abgrundseite zu wählen, denn das waren die unbeliebtesten Plätze, gemieden von den Autofahrern. Deren Entschlossenheit Verkehrsgegner zu beseitigen, die ihnen in den Gesichtsfurchen geschrieben stand, nahm hier merklich ab. Sie wirkten konzentriert, und die Gesichtsfurchen spiegelten bloß den Straßenzustand wieder. Immerhin hatten die durch zahlreiche Unterbrechungen entstehenden Staus zur Folge, dass der Verkehrsfluss berechenbar wurde, da er sich ausschließlich in eine Richtung bewegte, in Fahrt- oder Gegenrichtung.

      Die Bergflanke wurde immer steiler, mit Mühe hangelte sich die Straße hoch und ich mich mit ihr. Dabei scheuerte sie sich andauernd wund und wurde nun von Straßenarbeitern – allesamt dunkelgegerbt und gewissermaßen auch so dreinblickend – notdürftig verarztet, teilweise sogar frisch geteert. Als es zu regnen begann, entstanden Bilder, an deren Echtheit man zweifeln konnte. Der Regen pingte auf den heißen Teerbelag, verwandelte sich zischend in Wasserdampf, dazu der Staub, durch die Fahrzeuge aufgewirbelt – eine eingetrübte Szenerie, den Sehsinn verstörend. Schemenhaft und fatal hoben sich die mit Spitzhacken und Schaufeln gerüsteten Arbeiter von einem Nebeltor ab, als schritten sie durch das in himalajische Regionen emporgehievte Tor zur Unterwelt, hielten kurz inne, lösten sich wie gespenstische Schattenrisse aus der Nebelwand. Ihnen näherzukommen kostete mich Überwindung, der allgegenwärtige Abgrund drohte mit ewiger Verdammnis, quasi endgültiger Ausschluss, zumindest Bein-, Hals- oder bloß Rahmenbruch. Der Himmel lichtete sein Gewölbe und goss eine gigantische Wasserfontäne auf mich herab, schickte darauf den Hagel nach. Selbst diese Wetterwidrigkeiten hielten so manchen Autofahrer nicht davon ab, mich als heldenhafte, den Naturgewalten trotzende Figur zu indigitalisieren. Wieder sprang einer aus dem Auto heraus und in eine Pfütze hinein, kippte sich seine Bärenfellkapuze über, ich – Sir – sei aber mutig, wie es mir – Sir – gehe, was mein mother country sei, ob er von mir – Sir – ein Foto machen dürfe, mit seiner Familie, by the way, hätte ich – Sir – so eine überhaupt?, nein?, mache nichts, ein Foto, bitte?, wartete auf meine Antwort, und die war abschlägig, nooo, wolle ich keinesfalls. Herzlichen Glückwunsch, erstmals hatte ich – Sir – mich verweigert. Ein Riesenschritt, dem Olymp der Selbstbestimmung entgegen, war getan.

      Endlich, eine Kerbe in Fels und Schnee öffnete eine Tür zur Passhöhe, der Türflügel gähnte verwegen über dem feucht-nebligen Abgrund. Alle Passtouristen traten durch sie, so auch zwei Radfahrer. Der eine erteilte mir Lektionen in Verkehrssicherheit. Warum ich denn ohne Helm unterwegs sei? Der sei im Rucksack verpackt. Ob das solchermaßen gelöst sinnvoll sei? Nein, sei es nicht, das ganze Leben sei nicht ausschließlich sinnvoll, zum Beispiel das, was wir hier taten – war das sinnvoll? Interessante Lektion in Verkehrssicherheit mit angehängten Lebensfragen. Eigenartiger Radgeselle.

      Hinter der Türschwelle klärten sich unlängst gestellte Fragen. Menschen, nicht gerade zum Schifahren geboren und auch später anscheinend keine Berührungspunkte damit, stakten in flatterigen Pelzmänteln oder in knappen Schianzügen gefesselt über den flachen Auslauf eines Schneefeldes; das schlängelte sich in bedenklich unruhiger Bahn von hinter Wolken schlafenden Berggipfeln herab, als könne