Erzähl mir von Ladakh. Adi Traar

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Название Erzähl mir von Ladakh
Автор произведения Adi Traar
Жанр Книги о Путешествиях
Серия
Издательство Книги о Путешествиях
Год выпуска 0
isbn 9783945961520



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nämlich sein Vorgesetzter; dass der jetzt seinen Turban abgegeben hätte, wäre pure Fiktion, vielleicht hatte er überhaupt noch nie einen getragen. Jedenfalls war er Träger eines angeschwitzten Anzugs westlicher Provenienz und Arroganz, kaum abgemildert durch das dampfende rosa Hemd mit vergilbten Knöpfen. In der aufsteigenden Personalhierarchie waren kaum nennenswerte Fortschritte auszumachen, seine Fragen glichen denen des Turbanträgers bis aufs Hemd. Wie viel das, was ich, warum ich, und so weiter. Das durch Augenbrauen und Vollbart beschattete Gesicht blähte sich auf, drohte das gesamte Schalterareal einzunehmen – und pluff, überfallsartig stieß er die Luft aus und erschlaffte. Jetzt konnte er mich eigentlich nur mehr gehen lassen. Und genauso so passierte es.

      Dann glorreicher Einzug als Radgladiator (mitnichten Radiator) in die Empfangshalle, erwartet von einer begierig lauernden Menschenanhäufung. Wie die Spinnen. Die Netze ausgeworfen, der Opfer harrend. Zum Glück entdeckte ich gleich meine persönliche Adjutanten-Spinne; sie war klein, wirkte kaum bedrohlich, hatte schlanke Arme – zum Fangen wenig geeignet –, eine harmlose Gestalt, sie erwiderte mein vorausgeschicktes Lächeln nicht, mutete dennoch bestürzend vertraut an, denn sie hatte ein Täfelchen in der Hand, und auf dem Täfelchen stand mein Name geschrieben. Sie war der vom Hotel vorbestellte Taxidriver. Selbstredend übernahm er das Pilotieren des Gepäckwagens, auf dem ich hurtig meine sechs Gepäckstücke verstaut hatte – das würde das letzte gewesen sein, was ich noch alleine machen durfte; ich zog dann nur mehr den Fahrradkarton vor mir her, was sogar für delhische Verhältnisse laut war und dementsprechend Aufsehen erregte.

      Gepäck war also viel, der Fahrradkarton groß, das Spinnenauto klein, dafür war die Anzahl der Helfer – weitere Spinnen – wiederum exorbitant hoch. Und die Trinkgeldforderungen. Zuerst checkten sie meine Durchlässigkeit, dann pressten sie unverschämtes Bakschisch aus mir heraus. 15 Euro für ein Hello-hello-sir-May-I-help-you-Excuseme-sir-I’ll-take-it, für Gesagt Getan und für das Ausleben ihrer Hilfsbereitschaft. Ausnahmslos schienen die Leute hier am Helfersyndrom zu leiden. Ich trat ihnen 100 Rupien ab und dazu ein tiefgekühltes Lächeln – ganz d’accord mit Mahatma Gandhi, der das vom Geldschein herunter tat. Wobei gerade die Gandhis als Politiker letzten Endes nichts zu lachen hatten; fast schon gewohnheitsmäßig wurden ihre Regierungsphasen durch Morde beendet, als hätten sie’s den Kennedys abgeschaut. Gleichwohl fühlte sich mein Beitrag zu ein bisschen Umschichtung von Reichtum samt Pseudosolidarität mit den Armen gut an, und meinem Tiefkühllächeln ging langsam der Strom aus.

      Die Spinne, die gar keine war, fuhr wie eine Sau, war aber auch das nicht wirklich. Es fuhrwerkten ohnedies nur Säue, die sie nicht wirklich waren, auf und neben der Fahrbahn herum. Straßen waren lediglich grobe, unverbindliche Hilfseinrichtungen zur Verkehrsbewältigung. Ob ich schon gehört hätte, dass Michael Jackson tot sei. Hätte ich.

      Das vorbestellte Hotel Ringo war eine einfache Absteige, begehrt bei kommunikativen Backpackern und Reisenden mit erhöhtem Informationsbedarf. Im ersten Augenblick erweckte es wegen der am Eingang herumlungernden Hunde den Eindruck eines Schuppens für ausgediente Haustiere auf Gnadenbrot. Im zweiten Augenblick, als ich das Zimmer bezog, auch. Löchrige Moskitonetze verhängten die Fenster, ein Bett mit durchhängender Matratze, ein Tisch, ein Sessel. Eine Klimaanlage. Bei 38 Grad mitten in der Nacht ein Segen, wenn nur nicht andauernd Dinge, die gleich leicht oder leichter als Papierzettel waren, durch das Hotelzimmer gewirbelt wären. Ständig musste man irgendwas suchen, das gleich schwer oder schwerer als Papierzettel war, um diese Gegenstände zu beschweren. Sogar das Kartenlesen gestaltete sich etwas mühsam, so sehr Straßen und Wege, Flüsse, Erhebungen, Vertiefungen und ganze Gebirgsketten in Form von bunten Linien, Farbflächen und Schattierungen in meinem Zimmerchen umherflatterten wie nichts. Mein schweißdurchtränktes Gewand wiederum trocknete im Gebläse ganz formidabel.

      Der Kaschmir sei unbestritten die schönste Gegend der Welt, und warum ich nicht dorthin wolle, fragte mich Samir. Samir reimt sich nicht zufällig auf Kaschmir. Es sei das am dichtesten von Muslimen besiedelte Indien, überhaupt nicht mehr gefährlich, die Kämpfe in den Grenzregionen zwischen Pakistan und Indien seien längst zum Erliegen gekommen. Die Anwesenheit von Zehntausenden indischen Soldaten mache das Gebiet zu einem der sichersten der Welt. – Das hatte Logik, indes, hochgerechnet auf die Straßenkilometer ergab das alle paar Meter einen bis an den Turban bewaffneten Soldaten, das war mir der Sicherheit denn doch zu viel und nahm mir womöglich auch noch die Aussicht. Außerdem war vor einiger Zeit von sporadisch aufflackernden Kämpfen zwischen muslimischen Rebellen und der indischen Armee zu hören.

      Indien und Pakistan lieferten sich seit 1947, dem Jahr der Unabhängigkeit Indiens, immer wieder ein kriegerisches Zereißspiel um Ladakh, bis schließlich 2002, als sich eine Million Soldaten an der pakistanisch-indischen Grenze gegenüberstanden, beinahe ein Atomkrieg daraus wurde. Gekämpft wurde in den Bergen bis über 5 000 Meter Höhe; niemand wusste, ob Gewehrkugeln in diesen Höhen noch so wollten, wie es ihre Schützen angedacht hatten, und vielleicht fand der Konflikt ja deswegen kein Ende.

      Samir könne einen Flug dorthin reservieren, mein bereits gekauftes Rückflugticket von Leh, dem Endziel meiner geplanten Radreise, nach Delhi sei problemlos umzubuchen. Ob ich das wolle? Nein, das wolle ich nicht. Leh sei aber gar nicht so schön, alles voller Touristen und Buddhisten. – Diese beiden Gruppierungen gemeinsam in einen Nebensatz gepfropft erschien mir kurz bemerkenswert. Anschließend an meine Rückkehr in Delhi könne er mir eine Reise zum Taj Mahal organisieren, dem selbstredend prachtvollsten Bauwerk Indiens, jenem islamischen Mausoleum, welches ein Mogul für seine Frau erbauen ließ – die mit Abstand schönste Tour von hier aus. Ich war verunsichert, ob ich Samir noch alles glauben konnte. Samir war Muslim. Wenigstens das konnte ich ihm glauben, er trug eine mit Stickereien verzierte, islamische Gebetsmütze als Ausweis. Und er war eine Ausgeburt an Freundlichkeit. Aber der erste vertrauenswürdige Eindruck, den er auf mich gemacht hatte, verwelkte schön langsam wie ein Blatt in einem Kranz aus Vorschusslorbeeren.

      Darüber hinaus wollte er mir alles ab dem Zeitpunkt meiner Rückankunft in Delhi organisieren. Ich überlegte. Telefonnummer und E-Mail-Adresse seiner Reiseagentur standen in einem großen deutschsprachigen Indien-Reiseführer, das sollte doch Vertrauen spenden. Eine weitere Sicherheit: In Srinagar, von wo er herstammte, schwamm angeblich ein Hausboot auf seinen Namen. Das imponierte mir für einen Augenblick, der Reiseführer Made In Germany jedoch gab den Ausschlag, und ich sagte zu. Diese Zusage beinhaltete nach meiner Rückankunft den Taxitransfer vom Flughafen Delhi zu einem Hotel seiner Wahl, die Buchung zweier Nächte, die Tour zum Tadj Mahal und den Transfer vom Hotel zum Flughafen zwecks Antritts der Heimreise. Das bisschen Reisekomfort stellte ich einfach meinem Alter in Rechnung, dem Nimbus des Wilden Burschen sollte ich ohnedies längst abgesprochen haben.

      Der Taj Mahal. Dort war ich nach meiner Rückkehr in Delhi tatsächlich. In einem monumentalen Bekenntnis zur Sitzfleischlichkeit ließ ich mich von einem Fahrer am krachledernern Beifahrersitz seines Mercedes in acht Stunden dorthin und wieder zurück führen. Jede Minute der Fahrt war anregend und aufregend zugleich. Beinahe alles, was ich sah, hatte ich niemals zuvor gesehen. De facto eine neue Kategorie des Wahrnehmens. Und die goethesche Hypothese, wonach man nur sieht, was man weiß oder kennt, pulverisiert wie von einem indischen Arbeitselefanten.

      Auf der Ladepritsche eines vor uns herfahrenden Kleinlasters ein abgestelltes Motorrad, besetzt von einem Mann und einer Frau; als seien sie einsatzbereite Agenten, die jeden Moment in spektakulärer James-Bond-Manier die Ladefläche verlassen und die Fortbewegungsart wechseln. Familienlimousinen allerorten, beladen mit zwei, drei Menschengenerationen, vom Gepäckträger bis zum Tank, dazwischen unzählige Lärm und Gestank verbreitende Mopeds. In den Straßen der Dörfer immer wieder körperlich unvollständige Menschen, in ihrer Behinderung in Zwischenwelten abgeschoben, dem Tod näher als dem Leben. Überhaupt schien sich alles Leben in den Straßen abzuspielen, hier wurde geteilt mit den Autos, es gewann, wer unter mehreren oder stärker war. Ich war zwar nur ein Einzelner, dafür war der Mercedes umso massiver und mein Fahrer umso rücksichtsloser im Anvisieren von Menschen- und Autogruppen. Zusätzlich wurde ich exklusiv bequatscht, konnte teilhaben an so mancher Schelte für seine Frau, die im Moment so fürchterlich nervös sei – wie alle Frauen, sobald sie ein Kind erwarteten. Dabei sei das doch die natürlichste Sache der Welt. Oben