Der Schatz der Kürassiere. Herbert Schoenenborn

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Название Der Schatz der Kürassiere
Автор произведения Herbert Schoenenborn
Жанр Историческая литература
Серия
Издательство Историческая литература
Год выпуска 0
isbn 9783960080138



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Sie sehen, ist der Tresor sogar begehbar. Ich hebe in ihm nur wenige private Dinge auf“, sagte Fréchencourt. Er entnahm einem Fach ein mehrseitiges Schreiben und reichte die ersten beiden Seiten seinen Besuchern.

      „Mein Vater hatte es hier für mich deponiert, aber lesen Sie bitte selbst, Messieurs.“ Die beiden Besucher rückten zusammen und lasen gemeinsam, was Gerard Fréchencourt seinem Sohn mitgeteilt hatte:

       Lieber Richard,

       wenn Du diesen Brief in Händen hältst, ist etwas eingetroffen, was für Mutter, Antoine und Dich sicher überraschend kam, für mich aber absehbar war, mein Tod.

       Wegen wiederkehrender Schmerzen in der Brust hatte ich Ende Juli Dr. Simon aufgesucht. Dieser sagte mir nach einer gründlichen Untersuchung, dass mein Herz sehr schwach sei, und ich nicht mehr viel Zeit habe, meine Dinge zu regeln. Meine Lebenserwartung liege zwischen wenigen Tagen und ein bis zwei Monaten. Ich hatte Dr. Simon an seine Schweigepflicht gebunden und ihn gebeten, seine Diagnose für sich zu behalten.

       Nachdem ich den Schock überwunden hatte, musste ich mich beeilen, in Metz einige Sachen abzuholen, um sie noch nach Paris zu bringen. Leider werde ich es nicht mehr schaffen, ich habe weniger Zeit als ich gehofft habe. Es geht mir nicht gut, denn heute habe ich wieder Schmerzen in der Brust. Jetzt musst Du für mich die Sache in die Hand nehmen. Hinten im Tresor steht eine unserer Holzkisten. Darin befinden sich ein wunderschönes und vermutlich sehr kostbares Bild, zwei Ikonen und einige Schmuckstücke, welche ich hier in Metz für Mutter habe anfertigen lassen. Es ist mir überaus wichtig, dass die Kiste umgehend nach Paris gebracht wird.

      Hier noch ein paar Bemerkungen zu dem Bild: Das Bild muss schon längere Zeit im Besitz des vorher hier ansässigen Kunsthändlers gewesen sein. Ich fand es erst vor kurzem durch Zufall. Es hing unscheinbar zwischen vielen anderen Bildern im Arbeitszimmer, so dass es mir vorher nicht aufgefallen war. Das Bild muss vor Jahren durch Feuchtigkeit etwas gelitten haben, denn der Rahmen ist leicht verzogen und auf der Rückseite befinden sich Reste von getrocknetem Schimmel. Wenn man genau hinschaut, sind an verschiedenen Stellen leichte Risse in der Farbschicht zu erkennen. Um weitere Beschädigungen zu verhindern habe ich mit viel Mühe auf der Rückseite einen Schutz angebracht, indem ich ein von der Größe her passendes, auf Holz gemaltes Tafelbild aus dem Salon in den Rahmen eingesetzt habe. Es stammt, entsprechend dem Vermerk auf seiner Rückseite, höchst wahrscheinlich aus dem Besitz eines Kölner Klosters. Es ist aber erheblich beschädigt und dürfte daher nicht viel wert sein. Ich bitte Dich, wenn das Bild in Paris ist, sofort den Schutz vorsichtig zu entfernen. Lass es irgendwann von den Kunstsachverständigen des Louvre begutachten und den Wert schätzen. Danach muss es unbedingt zu einem Restaurator. Du brauchst keine moralischen Bedenken zu haben, denn das Gemälde ist Eigentum unserer Familie, da ich es zusammen mit dem Haus rechtmäßig erworben habe.

       Den Schmuck gebe bitte Mutter, ich hätte es so gerne …

      Hier war die zweite Seite zu Ende. Grau gab Fréchencourt die Briefseiten zurück.

      „Die folgende Seite enthält nur noch ein paar sehr persönliche Worte an die Familienmitglieder“, sagte Fréchencourt.

      „Was haben Sie unternommen?“, fragte Grau.

      „Gefunden hatte ich den Brief erst gestern Morgen. Ich habe die Kiste sofort aus dem Tresor geholt. Es war eine unserer kleineren hölzernen Transportkisten, mit denen wir Ersatzteile, wie zum Beispiel Schrauben, Fahrwerkfedern oder sonstige Beschläge, an unsere Kunden liefern. Unsere Kisten sind außen mit einem Spezialöl behandelt und von innen mit Teer wasserdicht gemacht. Sie sind demnach geeignet, damit auch feuchtigkeitsempfindliche Sachen zu transportieren oder über längere Zeit darin zu lagern“, erklärte Fréchencourt. „Also für den Transport von empfindlichen Bildern genau das Richtige. Wenn man will, kann man unsere Kisten mit Vorhängeschlössern sichern.

      Ich habe mit Philippe zusammen die Kiste geöffnet. Obenauf befand sich eine Schmuckschatulle, die ein Collier, ein dazu passendes Armband und zwei Ringe enthielt. Darunter lagen zwei Christusikonen, ich vermute aus Russland. Zuunterst lag ein in mehrere Leinentücher eingeschlagenes goldgerahmtes Bild. Ich verstehe nicht viel von Kunst, aber von diesem Bild ging eine eigenartige Faszination aus. Es zeigt offenbar eine Mutter mit ihren beiden kleinen Kindern. Ungewöhnlich empfand ich die Signatur. Signiert war das Bild nicht mit einem Namen, sondern mit der Buchstabenkombination ‚R.U.S.M.’ oder so ähnlich. Ich habe absolut keine Ahnung, welche Personen das Gemälde darstellt und welcher Maler seine Bilder so signierte. Mein Vater wusste es scheinbar auch nicht, sonst hätte er es mir ja mitgeteilt. Wir haben alles ordnungsgemäß in die Kiste zurückgeräumt. Ich habe noch einen Lederbeutel mit Louisdoren und zwei Goldbarren aus dem Tresor dazugelegt und die Kiste dann mit einem robusten Vorhängeschloss gesichert.

      Jetzt galt es nur noch dafür zu sorgen, die Sachen aus der Stadt heraus und nach Paris zu schaffen. Ich hatte beschlossen nicht zu warten, sondern noch am gleichen Tag zu handeln, um das schlechte Wetter und die noch vorhandenen Lücken im Belagerungsring zu nutzen. Da ich meine Franctireurs wegen der gefährlichen militärischen Lage hier in Metz nicht im Stich lassen wollte, habe ich drei meiner besten und mir treu ergebene Männer beauftragt, die Unternehmung durchzuführen. Zu ihrer eigenen Sicherheit hatte ich ihnen nahe gelegt, sich als harmlose Bauern zu verkleiden und keine Waffen mitzuführen. Sie wissen ja, dass wir Franctireurs beim Gegner – gelinde gesagt – nicht sehr beliebt sind.“ Fréchencourt grinste.

      „Die drei sollten die Kiste in Paris meiner Mutter übergeben und dort auf mich warten. Bei Gefahr sollten sie die Operation sofort abbrechen und hierher zurückkehren, denn ich wollte wegen ein paar Kunstgegenständen nicht ihr Leben aufs Spiel setzten.

      Um zu vermeiden, dass meine Männer irrtümlich von unseren eigenen Leuten aufgehalten werden, hatte ich ihnen einen Marschbefehl ausgestellt und ihn von Marschall Bazaines Stab, zu dem ich übrigens gute Beziehungen pflege, unterzeichnen lassen. Ich habe dann nach Einbruch der Dunkelheit meine Männer bis zum Fort Queuleu im Südosten der Stadt begleitet. Von dort sind sie dann noch vor Mitternacht aufgebrochen. Die Route über Pouilly* in Richtung Nancy schien uns die ungefährlichste zu sein, weil ich gehört hatte, dass es im Süden und Osten nur einen dünnen, teilweise aus Kavallerie gebildeten Kordon feindlicher Truppen geben sollte. Da meine Leute nicht zurückgekehrt sind, muss ich davon ausgehen, dass sie durchgekommen sind.“ Fréchencourt sah zunächst zu Grau und dann zu Muller.

      „Sie sind ein hohes, aber wie ich meine, ein noch vertretbares Risiko eingegangen, Monsieur Fréchencourt“, sagte Grau.

      „Ich versichere Ihnen Messieurs, wenn ich auch nur die leiseste Ahnung gehabt hätte, was sich wirklich in der Kiste befand, hätte ich anders gehandelt. Wie gesagt Messieurs, Philippe und ich haben bei der Durchsicht der Kiste keine Pläne gesehen. Es kann eigentlich nur so sein, dass mein Vater sie in der Rahmung des Bildes versteckt hat und zwar zwischen der Leinwand und dem Tafelbild. Ich denke deshalb auch seine Anweisung, das Tafelbild in Paris sofort zu entfernen, um die Entdeckung der Pläne sicherzustellen. Den Grund, warum mein Vater in seiner Nachricht an mich keine Worte über die Pläne verloren hat, kann ich nur vermuten. Er war immer sehr vorsichtig und hatte offenbar Bedenken, der Brief könnte in falsche Hände gelangen.“ Grau und Muller hatten die Schilderung Fréchencourts aufmerksam verfolgt. Muller kratzte sich hinter dem rechten Ohr:

      „Ich meine, wir sollten wie geplant heute Nacht nach Paris aufbrechen, oder Pierre, was meinst du?“

      „Ja, das sollten wir. Es sind jetzt fast fünf Uhr, Monsieur Fréchencourt, wie lange benötigen Sie, sich reisefertig zu machen? Wenn Sie es für erforderlich halten, kann Philippe uns begleiten.“

      „Ja, er muss mit! Auf Philippe kann ich in Paris nicht verzichten und was die Reisevorbereitungen anbelangt, könnten wir in gut einer Stunde aufbrechen.“ Muller rieb sich gedankenverloren das Kinn:

      „Wir sind dann zu viert, was bedeutet, dass wir uns etwas einschränken müssen. Wir dürfen daher nur unsere Papiere und das, was wir am Körper tragen können, mitnehmen. Nähere Einzelheiten über unser Vorhaben, erfahren Sie von uns im Fort Plappeville. Von dort aus werden wir aufbrechen.“ Fréchencourt blickte Grau