Der Schatz der Kürassiere. Herbert Schoenenborn

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Название Der Schatz der Kürassiere
Автор произведения Herbert Schoenenborn
Жанр Историческая литература
Серия
Издательство Историческая литература
Год выпуска 0
isbn 9783960080138



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Das stärkte in der Bevölkerung das Vertrauen in ihre „Grande Armee“ und den Glauben, dass sich das Kriegsglück bald zu Gunsten Frankreichs wenden werde.

      Dass es auch anders kommen könnte, daran glaubten nur wenige überzeugungsresistente Pessimisten. Die aber sollten leider Recht behalten.

       Metz, Lothringen, 21. August 1870

      Die Glocken der nahen Kathedrale hatten gerade ihr Mittagsläuten beendet, als vier Männer vor dem Haus No. 12 in der Rue des Jardins stehen blieben und die Hausglocke läuteten. Zwei von ihnen trugen die Uniform der französischen Garde, die beiden anderen Zivil.

      Haus No. 12 war ein herrschaftliches Stadthaus vom Anfang des 19. Jahrhunderts, das eher in einen Villenvorort als in die Rue des Jardins gepasst hätte. Da es gut drei Meter zurückversetzt war, hatte man das Gefühl, dass sich seine gepflegte hellbeige Fassade nicht so recht in die graue Front der übrigen Häuser einfügen wollte. Das Gebäude war nicht nur erheblich breiter, sondern mit seinen drei Stockwerken auch eine Etage höher als die Nachbarhäuser. Eine vierstufige steinerne Treppe führte zu einer massiven breiten eichenen Eingangstür empor. Ein ausladendes Vordach, das von zwei klassizistischen Säulen gestützt wurde, überdachte Eingangstüre und Treppe und reichte fast bis zum Bürgersteig. Stabile schmiedeeiserne Ziergitter sicherten die Parterrefenster. Die rundbogige Hauseinfahrt konnte nicht mehr genutzt werden, denn sie war zur Straße hin mit einem, im Boden und in den Seitewänden fest verankerten, massiven Eisengitter dauerhaft verschlossen und glich entfernt einem mit einem Fallgitter verschlossenen Stadt- oder Burgtor. Am Ende der Einfahrt verwehrte eine graue Eisentüre den Blick in den Innenhof. Tor, Türe und Fenster waren mit dunkelgrauen, kunstvoll behauenen Steinelementen eingefasst und verliehen dem Haus ein vornehmes Aussehen.

      Die Männer hatten sich seitlich der Eingangstüre gestellt, so dass sie durch den Türspion nicht gesehen werden konnten. Die List gelang, denn nach kurzer Zeit wurde ein schwerer Riegel auf die Seite geschoben und die Türe einen Spalt weit geöffnet. Darauf hatten die Männer spekuliert. Mit Wucht stießen die Soldaten die Haustüre weit auf und drängten den Livrierten, der nachsehen wollte, wer die Unverfrorenheit besaß die Mittagsruhe zu stören, ins Innere des Hauses. Die beiden Zivilisten folgten den Soldaten auf dem Fuße. Die Gardisten verriegelten nun von innen die Tür und postierten sich rechts und links vom Hauseingang. Das alles ging sehr schnell. Keiner der wenigen Passanten auf der Straße hatte etwas bemerkt. Nur von einem Fenster gegenüber wurde der Vorfall zufällig beobachtet. Als die vier Männer im Haus verschwunden waren, zog sich der Beobachter zurück. Er beschloss, nichts gesehen zu haben, denn in diesen unruhigen Zeiten kümmerte man sich besser nur um sich selbst, insbesondere dann, wenn Militär mit im Spiel war.

      Es dauerte einige Zeit, bis sich der Überrumpelte von seinem Schrecken erholt hatte. Wut machte sich in ihm breit. Er näherte sich den beiden Männern in Zivil bis auf eine Armlänge, so dass die Uniformierten auf dem Sprung waren einzugreifen. Zum Glück hatte sich der Hausbewohner schnell wieder im Griff. Er trat einen Schritt zurück, so dass sich die Soldaten wieder entspannen konnten.

      „Messieurs, was wollen Sie?“, fragte er kalt, wütend über sich selbst, weil er auf einen uralten Trick hereingefallen war und damit den ungebetenen Besuchern ihr Eindringen ins Haus so leicht gemacht hatte. Unbeeindruckt von der Gemütslage seines Gegenübers erwiderte der größere der beiden Zivilisten beschwichtigend:

      „Entschuldigen Sie unser Eindringen, aber wir müssen dringend mit Monsieur Fréchencourt sprechen.“

      „Monsieur Fréchencourt hat sich in sein Arbeitszimmer zurückgezogen und möchte nicht gestört werden“, entgegnete der Angesprochene abweisend.

      „Schon gut Philippe“, sagte der Mann, der vom Treppenabsatz der ersten Etage aus das Geschehen unbemerkt beobachtet hatte und nun gemächlich die Stufen herunterkam. Die unten stehenden konnten zunächst nur seine Silhouette erkennen, die sich gegen das einfallende Licht des oberen Flurfensters abhob.

      „Monsieur Gerard Fréchencourt?“, fragte der kleinere der beiden Männer höflich.

      „Non Monsieur, ich bin Richard Fréchencourt. Mein Vater Gerard ist vor zwei Wochen verstorben, Sie müssen daher mit mir Vorlieb nehmen. Was kann ich für Sie tun, Messieurs?“, fragte er vorsichtig. Erst als er in das gedämpfte Sonnenlicht der Eingangshalle trat, wurde den Besuchern klar, dass der Mann schon altersmäßig nicht Gerard Fréchencourt sein konnte, denn derjenige, der ihnen gegenüberstand, war erst Anfang dreißig. Er trug den blauen Rock der französischen Freikorps, der Franctireurs. Den Abzeichen nach stand er im Range eines Captaine. Richard Fréchencourt war mittelgroß und athletisch. Sein dunkles Haar war kurz geschnitten und sein schmales Gesicht mit der geraden Nase und dem energischen Mund wurde von Backen- und Kinnbart umschlossen. Unter dichten Brauen musterten dunkle Augen abschätzend die Besucher. Was waren das für Männer, die ungebeten in sein Haus gestürmt waren und unbedingt seinen Vater sprechen wollten?

      Bei einer flüchtigen Begegnung, so vermutete Fréchencourt, würde man die beiden später sicherlich nur vage beschreiben können. Vielleicht könnte man sich noch an den Größenunterschied und eventuell noch an ihr gepflegtes Äußeres erinnern. Die Kleidung der beiden ungebetenen Gäste entsprach dem Zeitgeschmack und war eher unauffällig, denn die Sakkos und eng geschnittenen Hosen in gedeckten Farben hinterließen keinen bleibenden Eindruck, und das schien Absicht zu sein.

      Wenn man aber, wie Richard Fréchencourt, genauer hinsah, hatten seine Besucher einige Auffälligkeiten zu bieten. Fréchencourt entgingen weder die breiten Schultern noch die kräftigen Hände der beiden. Dem Sitz ihrer Kleidung nach waren sie bewaffnet. Ihr Alter schätzte er auf Anfang bis Mitte vierzig. Das waren auch schon die Gemeinsamkeiten. Da sie inzwischen ihre Kopfbedeckungen abgesetzt hatten, traten die Unterschiede deutlich zu Tage.

      Der kleinere Mann hatte bereits eine Glatze, die von einem Haarkranz umrahmt wurde. Als wolle er das Fehlen seiner Kopfhaare ausgleichen, verdeckte unterhalb seiner knubbeligen Nase ein sorgfältig gezwirbelter Schnurrbart die Oberlippe. Aus seinem rundlichen Gesicht blickten ihn ein Paar kluge Augen forschend an.

      Dichtes grau meliertes glattes, nach hinten gekämmtes Haar bedeckte hingegen den kantigen Schädel seines Begleiters. Die bereits vollständig ergrauten Augbrauen trafen sich fast über der ein wenig zu lang geratenen Nase. Ein Backenbart überwucherte die leicht hervorstehenden Wangenknochen und reichte ihm fast bis zu den Mundwinkeln. Er wirkte auf den Hausherrn leicht grimmig, aber nicht unsympathisch.

      Nach seiner Einschätzung hatte er von ihnen nichts zu befürchten. Sichtbar entspannt ging Fréchencourt auf die beiden Besucher zu und verbeugte sich leicht:

      „Bonjour Messieurs, willkommen in meinem Haus.“ Mit einem leicht spöttischen Unterton fügte er hinzu: „Es müssen wichtige Gründe vorliegen, dass Sie mich in diesen unruhigen Zeiten aufsuchen und dazu noch in Militärbegleitung.“ Der kleinere Besucher übernahm nun das Wort:

      „Ja, in der Tat“, sagte er ernst. „Aber dürfen wir uns Ihnen zunächst einmal vorstellen, Messieurs? Mein Name ist Grau, Pierre Grau, und das ist mein Kollege Jean Muller. Wir sind Angehörige des Kriegsministeriums.“ Er überreichte dem Hausherrn eine Legitimation des Kriegsministers.

      „Bevor wir Sie über den Grund unseres Besuchs in Kenntnis setzen, gibt es einen Raum, in dem wir uns ungestört unterhalten können?“

      „Ja selbstverständlich, folgen Sie mir bitte in die Bibliothek, Messieurs“, antwortete der Hausherr.

      „Philippe, bringen Sie uns bitte Tee, Baguette und Käse und versorgen Sie auch beiden Messieurs vom Gardecorps.“

      Als sich die beiden Soldaten unsicher ansahen, nickte ihnen Grau kurz zu.

      „Die Vorsichtsmaßnahmen sind nicht notwendig“, sagte er und bedeutete ihnen, ihre Posten neben der Eingangstür zu verlassen. Fréchencourt zeigte auf eine Sitzgruppe, die aus drei gepolsterten Stühlen und einem kleinen runden Eichentisch bestand.

      „Wenn Sie möchten, können Sie sich gerne dort hinsetzen“, sagte er. Dankbar