Der Schatz der Kürassiere. Herbert Schoenenborn

Читать онлайн.
Название Der Schatz der Kürassiere
Автор произведения Herbert Schoenenborn
Жанр Историческая литература
Серия
Издательство Историческая литература
Год выпуска 0
isbn 9783960080138



Скачать книгу

Thionville und schließlich entlang der Mosel. Denn auch im Westen der Stadt standen bereits starke gegnerische Verbände. Seit gestern ist auch dieser letzte Weg versperrt, und damit sind alle Nachschubwege unterbrochen. Das ist die aktuelle Lage. Sieht verdammt übel aus.“ Dennoch schien Muller nicht sehr beunruhigt.

      „Wie sind Sie überhaupt in die Geschäfte Ihres Vaters eingebunden?“, wechselte Grau das Thema.

      „Diese Frage kann ich Ihnen gerne beantworten“, erwiderte Fréchencourt.

      „Ich bin, wie mein Vater, Ingenieur für Fahrzeug- und Waffentechnik. Wie Sie sicherlich wissen, besitzt unsere Familie im Pariser Quartier Saint-Georges eine Fabrik, die neben Kutschen, auch Fahrzeuge für die Armee herstellt, darunter auch Protzen* und Lafetten* für Kanonen.

      Vor gut zwei Jahren hatte mir mein Vater die kaufmännische Leitung der Fabrik übertragen. Er selbst kümmerte sich von nun an ausschließlich um die Fabrikation, wobei er fortwährend an technischen Verbesserungen unserer Fahrzeuge tüftelte. Zudem hatte er nun endlich die Zeit zur Verfügung, die er zur Verwirklichung seiner Ideen benötigte. Hierzu zog er sich hier nach Metz zurück. Er liebte diese Stadt über alles, denn hier war er geboren und aufgewachsen, Paris war ihm zu groß, zu hektisch. Hier glaubte er in Ruhe arbeiten zu können.“ Fréchencourt goss sich Tee nach und schloss an:

      „Wenn er sich in Metz aufhielt, übernahm ich auch die Produktionsleitung.“

      „Dann werden Sie ja jetzt die Geschäfte ihres Vaters fortführen“, stellte Grau fest.

      „Oui, ich glaube schon. Es ist ja sonst kein Familienmitglied da, das dazu in der Lage wäre. Obwohl das Testament noch nicht eröffnet ist, gehe ich davon aus, dass mein Vater mir die Fabrik übertragen hat. Meine Mutter hat sich nie um die Geschäfte gekümmert, und meine beiden Schwestern haben ebenfalls kein Interesse gezeigt. Die ältere ist in Carcassonne mit einem Arzt verheiratet, und meine jüngere Schwester besitzt am Pariser Seineufer ein Atelier und widmet sich hingebungsvoll der Malerei.“

      „Wer leitet denn die Fabrik momentan?“, fragte Grau interessiert.

      „Ich habe einen hervorragenden Prokuristen, selbst Ingenieur und äußerst loyal. Den hat mein Vater vor ungefähr zwanzig Jahren eingestellt. Ach ja, ich möchte noch erwähnen, dass ich noch einen Halbbruder habe. Ich glaube aber nicht, dass Sie weitere Einzelheiten interessieren“, Fréchencourt nahm einen Schluck Tee und ein Stück Käse.

      „Doch, Ihre Familiengeschichte interessiert uns schon“, sagte Muller.

      „Na gut, wenn Sie meinen. Meine Mutter war in erster Ehe mit dem Strasbourger Kaufmann Gabriel-Julien Ouvrard verheiratet, der bei einem Schiffszusammenstoß auf dem Rhein irgendwo zwischen Bonn und Köln ums Leben kam. Mit ihrem Sohn aus dieser Ehe, Louis-Antoine, bin ich zusammen groß geworden. Da meine Mutter Elsässerin ist, sind wir zweisprachig aufgewachsen. Antoine und ich sprechen daher fließend Deutsch. Antoine hat vor ungefähr acht Jahren das ‚Handelskontor Ouvrard’ übernommen, als auch sein Onkel Robert, der Bruder und Teilhaber seines leiblichen Vaters, verstarb.

      Onkel Rob, wie wir Jungen ihn nannten, war unverheiratet und hatte selbst keine Kinder. Wir mochten ihn sehr, alleine schon deshalb, weil mein Bruder und ich ihn während der Schulferien auf diversen Schiffsreisen auf dem Rhein begleiten durften. Wir kamen daher als Kinder schon weit herum.“ Fréchencourt räusperte sich und nahm erneut einen Schluck Tee.

      „Ich habe meinen Bruder auch später noch auf einigen Handelsreisen begleitet, die uns bis nach Holland führten. Während meines Ingenieurstudiums habe ich sogar hin und wieder im Kontor ausgeholfen. Dabei habe so ganz nebenbei das Verhandeln mit Geschäftspartnern gelernt. Diese Erfahrung nutze ich nun für mich selbst. Leider hatte ich in den letzten beiden Jahren keine Gelegenheit mehr mit meinem Bruder etwas gemeinsam zu unternehmen. Sie verstehen sicher, dass mein Verhältnis zu meinem drei Jahre älteren Halbbruder bis heute sehr eng geblieben ist.

      Antoine und ich haben uns hin und wieder in Paris oder Strasbourg gesehen. Zuletzt trafen wir uns nach dem Tod unseres Vaters hier in Metz, um die Formalitäten für die Beisetzung zu erledigen. Das Begräbnis fand am 11. August, und wie es mein Vater verfügt hatte, in aller Stille statt. Nur Antoine und ich haben unseren Vater auf seinem letzten Weg begleiten können, denn wegen der Kriegslage wäre es unverantwortlich gewesen, die übrigen Familienmitglieder hierher anreisen zu lassen.“ Die Anspannung war während der Schilderung nach und nach aus Fréchencourts Gesicht gewichen. Nach einer kurzen Pause sagte er:

      „Mein Bruder ist sofort nach der Beerdigung nach Strasbourg aufgebrochen. Er wollte über Nancy und Luneville von Süden her seine Heimatstadt erreichen, denn er hatte gehört, dass auch im Elsass die Lage unübersichtlich und gefährlich war. Noch ein paar Tage in Metz zu bleiben, erschien ihm zu riskant, denn er befürchtete, später die Stadt nicht mehr verlassen zu können – und leider sollte er Recht behalten. Das ist die ganze Geschichte, Messieurs.“

      „Nicht ganz. Wie wir sehen, tragen Sie den Waffenrock der Franctireurs“, erwiderte Grau.

      „Oui, Messieurs, das ist richtig. Ich hatte mich schon vor Jahren in Paris den Schützengesellschaften angeschlossen. Als das Dekret des Kaisers die Franctireurs zu den Waffen rief, konnte ich mich ja schließlich nicht drücken. Aufgrund meines Standes und der langen Zugehörigkeit zu den Freikorps bin ich zum Captaine* ernannt worden. Als ich hier ankam, habe ich das Haus kurzerhand zum Stützpunkt der Franctireurs erklärt. Von hier aus starten wir unsere Aktionen gegen die Deutschen.“

      „Monsieur Fréchencourt, ein interessanter Lebenslauf“, erwiderte Muller. Vorsichtig fügte er hinzu:

      „Um noch einmal auf Ihren Bruder zurückzukommen, ich befürchte, dass er nicht nach Strasbourg durchgekommen ist, denn nach unserer Kenntnis wird die Stadt schon seit dem 15. dieses Monats von deutschen Truppen belagert und unaufhörlich beschossen.“

      „Dann hat mein Bruder dies bestimmt unterwegs erfahren und ist entweder zu seinem zweiten Wohnsitz Basel ausgewichen oder, was wahrscheinlicher ist, nach Paris zu unserer Mutter gereist“, vermutete Fréchencourt. Grau nahm den Faden wieder auf:

      „Wir können es Ihnen nicht ersparen, uns nach Paris zu begleiten, Monsieur. Sie werden anstelle Ihres Vaters die Pläne unserem Militär erläutern müssen. Es setzt große Hoffnungen in die neue Kanone, denn die deutschen Stahlgeschütze verfügen mit mehr als vier Kilometern über die doppelte Reichweite als unsere veralteten Bronzekanonen. Das Stahlgeschütz nach den Plänen Ihres Vaters, würde die waffentechnische Wende bringen, denn seine Kanone soll wiederum den derzeitigen Geschützen der Deutschen erheblich in Reichweite und Feuerkraft überlegen sein. Wir werden es zwar aus Zeitgründen nicht mehr schaffen, die neuen Kanonen noch in diesem Krieg einzusetzen, aber erfahrungsgemäß ist ja nach dem Krieg vor dem Krieg“, fügte Muller ernst hinzu.

      „Selbstverständlich werde ich Sie begleiten, Messieurs, aber ich glaube, es gibt da ein Problem.“

      „Inwiefern, Monsieur Fréchencourt?“

      „Wenn ich den Brief meines Vaters an Ihr Ministerium im Zusammenhang mit seiner mir hinterlassenen Botschaft sehe, dürften sich die Konstruktionspläne entweder auf dem Weg nach Paris befinden oder bereits dort angekommen sein.“

      „Merde, wie das?“, entfuhr es Grau.

      „Wenn Sie den Brief gelesen haben, werden Sie zum gleichen Schluss kommen“, entgegnete Fréchencourt. Er erhob sich, ging zu der Bücherwand, griff unter ein Bücherbrett, zog dann ohne Anstrengung ein ungefähr zwei Meter breites Regalteil nach vorne und schob es anschließend geräuschlos seitlich links vor die Bücherwand. Es kam nun ein in der Wand eingelassener mannshoher Tresor zum Vorschein. Muller war verblüfft.

      „Eine solche Konstruktion habe ich bisher noch nicht gesehen, und die Größe des Tresors passt eher in eine Bank als in ein Privathaus.“

      „Da haben Sie vollkommen Recht“, entgegnete der Hausherr. „Der Tresor reicht bis weit ins Nachbarzimmer und ist dort als Kachelofen getarnt. Wie bereits gesagt, war der Vorbesitzer Kunsthändler. Er brauchte offenbar einen so großen Tresor, um darin auch wertvolle voluminöse Kunstgegenstände aufzubewahren.“