Название | Explorer ENTHYMESIS |
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Автор произведения | Matthias Falke |
Жанр | Научная фантастика |
Серия | |
Издательство | Научная фантастика |
Год выпуска | 0 |
isbn | 9783943795325 |
»Sekundär-Boot abgeschlossen. Lokales System online. Dämpfung auf 50% aktiviert.«
»Jetzt steh endlich auf, Mensch!«
Auch meine Süße war wieder da.
Ich erhob mich langsam, das Monstrum nicht aus den Augen lassend, und zog mich zurück. Ich starrte auf den mauerglatten Leib, der an mir vorüberglitt. Sowie ich stand, konnte ich auch wieder in den Krater hineinsehen, der inzwischen von mehreren hundert dieser »Schlangen« bevölkert war, die sich umeinander wanden und den ganzen Kessel mit ihren weißen Schlingungen erfüllten. Sie hatten – außer der »Spitze«, mit der sie den Boden durchstoßen hatten – weder einen Anfang noch ein Ende, weder Kopf noch Schwanz, doch einige waren – zerbrochen! Und plötzlich wusste ich Bescheid!
»Lagebericht! Wie ist die Konsistenz der unbekannten Objekte? Scannen auf Lufteinschlüsse und spezifische Dichte!«
»Was soll das?«, fragte Jennifer, hörbar an ihrer eigenen Unentschlossenheit leidend.
Aber als wolle es meine Hypothese selbst bestätigen, hatte das erste Wesen, das schon rund dreißig Meter an mir vorbeigekrochen war, mit einem Mal die Schnauze in den Grund gebohrt, wo es anscheinend feststeckte. Der nachdrängende Leib hob sich an und wölbte sich unter ungeheurer Spannung zu einem Bogen von zehn Metern Höhe an. Ich vergrößerte den Sicherheitsabstand. Dann barst der eingekrümmte Hals, und mannshohe Fetzen und Bruchstücke flogen davon. Der hintere Teil senkte sich langsam wieder auf den Boden und setzte seinen Weg fort. An die Stelle der runden Schnauze war ein splittriger Stumpf getreten, der unbeeindruckt an dem alten Kopfstück vorüberkroch. Dieses lag zu mehreren mächtigen Scherben zertrümmert da, von kristallischen Sprüngen durchädert. Tot. Es war Eis, lauter Eis.
»Konsistenzprüfung abgeschlossen. Es handelt sich um gefrorenes Ammoniak. Einschlüsse von anderen Stickstoffverbindungen, Helium und Methan. Hohe Viskosität. Elastizität etwa von – Fiberglas. Temperatur rund 100 Kelvin ...«
»Danke,das reicht. Ich weiß jetzt Bescheid.«
»Was ist das?«
Jennifer war wieder an meiner Seite. Ich ging an das größte Bruchstück heran, das erratisch im Boden steckte.
»Ein verwandtes Phänomen gibt’s bei uns auch. Etwa wenn feuchter Waldboden über Nacht gefriert, beim ersten Herbstfrost vielleicht. Dann wird das Eis, durch die Kapillarwirkung der Poren, herausgedrückt und bildet Fäden und schnürige Gespinste, die ohne weiteres armlang werden können.«
»Aber das funktioniert nur aufgrund der Anomalie des Wassers, das sich beim Gefrieren ausdehnt ...«
»Das ist richtig. Ich vermute, dass hier thermische Prozesse dazukommen. Irgendetwas muss den Druck erzeugen, der das Eis nach oben durch die Trichter presst.«
»Oder das Eis bildet sich erst in dem Moment. Unterirdisch funktioniert’s wie ein Geysir, und erst, wenn es mit der Atmosphäre in Berührung kommt, wird das Ammoniak abgeschreckt und schockgefroren. Das wär mir übrigens beinahe auch ...«
»Es muss ein selbstverstärkender Vorgang sein, der durch einen minimalen Auslöser angestoßen wird und sich dann selbsttätig fortsetzt.«
»Hm, damals in Florida hatten wir so’n Hobby. Immer nach Dienstschluss haben wir uns jeder ein Bier aus der Cafeteria geholt. aus dem Kühlschrank natürlich, wo es auf fast 0°C runterkühlt war. Wenn wir das dann am Strand aufknackten und es zu schäumen anfing, kühlte es sich durch den Druckverlust noch ein bisschen weiter ab, und das reichte gerade aus, um es gefrieren zu lassen. Klar, dann kam es als wulstiges Eis oben rausgequollen! Warum fällt mir das erst jetzt ein?«
»Also es gibt unterirdische Reservoirs an flüssigem Ammoniak, das unter hohem Druck steht, aber keinen Kontakt zur Atmosphäre hat. Wird dieser Kontakt hergestellt, weil jemand unbefugt auf dem Krater rumlatscht – also wenn das Ammoniak dann aufschäumt –, treibt es sich selber durch die Gänge und Poren des Gesteins nach oben und erstarrt gleichzeitig zu fünf bis acht Meter mächtigen und dreihundert Schritt langen ‚Schlangen’.«
»Und ich wäre fast gestorben vor Angst! Du hättest das sehen müssen, wie das Ding hinter dir über den Rand kam, riesengroß, und du dich nicht von der Stelle rühren konntest. Liebe Güte!«
»Naja, dass wir ein bisschen in Deckung gegangen sind, war schon nicht verkehrt. Ich möchte trotz allem nicht unter sowas liegen. Ob anorganisch oder nicht ...« –
Zu gerne hätte ich etwas zurückgelassen, eine Sonde, einen Droiden, wenigstens eine automatische Kamera, aber wir hatten nichts dabei, außer unserer eigenen Ausrüstung, die wir dringend benötigten – und umso dringender, je weiter wir jetzt vorstießen. Es blieb uns nichts übrig als weiterzumarschieren. Die Position der Erscheinung, die Bilder der Helmkameras, die Daten der Scanner und leider wohl auch die Protokolle unserer kurzfristigen Hysterie waren allesamt im lokalen Logbuch abgelegt – ich hoffte zumindest, dass der crashbedingte vorübergehende Ausfall meines Systems keinen allzugroßen Schaden angerichtet hatte. Wir wanderten weiter, wobei wir jetzt dichter beieinander blieben. Das war nicht nur eine Vorsichtsmaßnahme gegen vorzeitiges Verschüttgehen, sondern vor allem auch in der lokalen Kommunikation begründet, die immer labiler wurde. Mit jedem Grad, fast jeder Bogenminute, die wir nach Norden kamen, nahmen die atmosphärischen Störungen zu. Bald konnten wir uns nur noch verständigen, wenn wir auf mindestens dreißig Fuß aneinander herangingen, und wir hatten immer mehrere Frequenzen synchron geschaltet, weil fast laufend irgendeine ausfiel.
Das »Schlangen-Nest« übrigens – wie wir es ironisch tauften – hatte seine Aktivität eingestellt, noch während wir an seinem Rand vorübergingen. Die Temperatur- und Druck-Unterschiede zwischen der Unterwelt und der Atmosphäre hatten sich ausgeglichen. Der Scanner registrierte 157 Einzelstränge, und wir nahmen ein hochauflösendes Hologramm in den Recorder. Die Wülste und Bruchstücke lagen in leichigem Weiß übereinander und zerbröckelten so rasch, wie sie entstanden waren. Sublimation -. das Eis verdunstet ohne flüssiges Zwischenstadium.
Die Nordlichter nahmen an Häufigkeit und Intensität beständig zu, und sie waren auch nicht mehr auf den Himmel beschränkt, sondern schienen sich trichterförmig nach unten hin fortzusetzen. Dort war der Magnetische Pol, dessen Feld enorme Strahlungen freisetzte und dem wir uns an diesem Tag noch bis auf wenige hundert Kilometer näherten.
Wir waren seit achtzehn Stunden unterwegs, wie damals am Chimborazo, als ich halten ließ. Die Ebene war immer noch – oder wieder – völlig ereignislos. Der Wind war trotz der Stabilisatoren spürbar, aber er würde unserer Kuppel nichts anhaben können. Wir stellten das Zelt auf. Wieder ging Jennifer zuerst hinein, während ich aus antiquierten Pfadfinder-Instinkten noch einen Rundgang machte, die Verankerungen prüfte, das virtuelle Gyroskop durchcheckte. Dann sah ich über die Ebene. Es war ausgeschlossen, dass hier irgendjemand über Nacht vorbeikommen würde, abgesehen davon, dass es keine Nacht gab, sondern nur die ewige Dämmerung des polaren Sommers. Aber gerade das schien mir noch viel unheimlicher. Wären Wölfe oder Eisbären zu befürchten gewesen, dann hätte man es wenigstens mit etwas zu tun. Was uns hier umgab, war schlimmer, es war das eisige, dunkelblaue, schweigende Nichts. Wir befanden uns in einer Abgeschiedenheit, die in dieser Form noch kaum vorgekommen war. Die Abenteurer und Entdecker vor Marconis Erfindung – danach gab es existenzielle Einsamkeit nicht mehr – waren immerhin noch auf der Erde gewesen, und die Eroberer anderer Welten hatten praktisch immer Funkkontakt gehabt. Dass wir uns auf einem anderen Planeten und noch dazu in extrem hohen Breiten befanden, ohne Außenkontakt, über Tage hinweg, inmitten einer unermesslichen Wüste ...
Ich sah mich wieder, wie ich heute mittag durch die Luft gestrampelt und gleich darauf auf den Boden gekracht war, und der bloße »Was-wäre-wenn-Gedanke« – ein