Dr. Love und die schüchterne Forelle. Michael Bresser

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Название Dr. Love und die schüchterne Forelle
Автор произведения Michael Bresser
Жанр Юмористические стихи
Серия
Издательство Юмористические стихи
Год выпуска 0
isbn 9783943172195



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zu einem Psychologen, der meine Ängste eliminiert, schwöre ich mir. So eine Blöße wie heute gebe ich mir kein zweites Mal.

      »Herr Singer, unser Entschluss ist einstimmig gefallen.« Anrein blickt etwas verärgert auf Frau Lehmkuhl. »Wenn auch nach einigen Diskussionen. Wir erkennen Ihre Krankmeldung nicht an. Somit wird Ihre Magisterprüfung als ›insufficienter‹ bewertet. Dies ist gleichzeitig die Gesamtnote. Laut Prüfungsordnung hätten Sie eventuelle Unpässlichkeiten vor Beginn der Prüfung anzeigen müssen. Es blieb uns keine andere Wahl. Wenn Sie wollen, können Sie ihr Studium wieder von vorne beginnen, denn die Studienordnung hat sich geändert. Dies war der letzte Zeitpunkt, um die Prüfung nach den alten Regularien abzulegen. Wir wünschen Ihnen alles Gute für Ihre weitere Zukunft.«

      Mir bleiben alle Worte im Halse stecken. Alle Studienleistungen verfallen? All die vielen Vorlesungen und Seminare umsonst? Doch dann quillt es aus mir heraus.

      »Das kann doch nicht Ihr Ernst sein? Ich bin wirklich krank. Prüfungsphobie gepaart mit Sozialphobie.« Warum rede ich erst jetzt?

      »Wir sind nicht das Sozialamt, Herr Singer. Sie können selbstverständlich Einspruch einlegen. Da empfehle ich Ihnen aber, sich sehr gute Atteste zu besorgen. Sonst sehe ich schwarz. Außerdem wüsste ich nicht, was Sie mit einer sogenannten Sozialphobie« – er lächelt selbstgefällig – »beruflich machen wollen. Mir fällt da Wärter auf einer Vogelinsel ein. Es sei denn, Sie haben auch eine Vögelphobie.«

      Er lacht über seinen Altherrenwitz, als hätte er das Bonmot des Jahrhunderts kreiert. Seine Kollegen wirken peinlich berührt, sagen aber nichts.

      »Bitte geben Sie mir eine Chance. Bei der nächsten Prüfung läuft es besser. Oder fragen Sie mich jetzt«, bettele ich.

      »Herr Studiosus, manchmal verliert man, manchmal gewinnen die Anderen.« Anrein fühlt sich in seiner Rolle als Zerstörer meiner Existenz sichtlich wohl.

      »Wir nehmen es Ihnen übel, dass Sie nach den ersten Fragen eine Krankheit vorschieben. Da gehe ich mit dem Kollegen d’accord. Wir wollen aber jetzt nicht auch noch Kübel voll Häme über Sie ausschütten«, sagt Mörike mit einem schiefen Blick in Richtung Anrein.

      »Nein«, versichert Frau Lehmkuhl. Es schmerzt mich besonders, mich vor ihr blamiert zu haben. »Wenn Sie Ihre Krankheit von einem Arzt attestieren lassen, bekommen Sie vielleicht eine Wiederholungschance. Aber nach unserem jetzigen Eindruck müssen wir Sie durchfallen lassen. Sorry.«

      Wahrscheinlich hat sie gar nichts gegen mich. Sieht aus, als ob ihr mein Schlamassel leidtäte. Aber ich habe es selber versaut, die Prüfung und mein Leben. Schon lange vorher hätte ich mein Leben auf die Reihe bringen sollen. Es kann nicht mehr schlimmer kommen. Das denke ich zumindest zu diesem Zeitpunkt. Manchmal bin selbst ich Optimist.

      Wie betrunken wanke ich aus dem Raum, stolpere fast.

      »Geht es Ihnen gut?« Die Lehmkuhl scheint wirklich besorgt.

      »Mhm«, murmele ich und bin schon draußen. Studienabschluss ade, Volontariat good-bye, Hartz IV willkommen!

      Ich torkele durch die Gänge der Universität, bade in Selbstmitleid und verfluche die Ungerechtigkeit der Professoren und der Welt. In meinem Kopf erklingt Redemption Day von Johnny Cash: »It’s in the soul to feel such things. But weak to watch without speaking. Oh what mercy sadness brings. If God be willing.« Ich fühle mich von Gott und dem Rest der Welt verlassen. Eine Art Erlösung im irdischen Leben wäre klasse. Ein platzender Knoten, ein Eimer voll Glück, den das Schicksal über mich ausschüttet. Aber das sind unerfüllbare Träume.

      Ich trete aus der Uni, gehe zur Rasenfläche und drehe mir eine Zigarette. Das Nikotin des schwarzen Tabaks durchflutet sofort mein Gehirn, und ich nehme die Welt durch Rauchschleier wahr. Es fühlt sich weniger schlimm als vorher an. Mein Handy vibriert. Zorro.

      »Timo, wie ist es gelaufen? Alles roger?«

      »Nix ist roger. Ich habe versagt. Alles war weg. Mensch, ich war vollkommen blockiert.«

      Schweigen. Dann fragt er »Wirklich so schlimm?«

      »Schlimmer, Lehmkuhl war eine Frau. Vor der habe ich mich bis zum Gehtnichtmehr blamiert.«

      Zorro hustet. »Sorry, habe ein Rachenspray inhaliert. Das scheine ich nicht besonders zu vertragen. Was spielt es für eine Rolle ob Lehmkuhl Mann oder Frau ist? Willst du was von ihr?«

      »Quatsch«, werde ich ärgerlich. »Die hat promoviert, vielleicht sogar habilitiert. Was soll die mit einem anfangen, der noch nicht einmal seine Magisterprüfung gebacken kriegt. Aber sie sieht gut aus. Das ist für mich ein Blockierreiz.«

      »Blockwatt?«

      Ich nehme einen letzten Zug und trete die Zigarette im Gras aus. »Blockierreiz. Wenn ich eine attraktive Frau sehe, setzt mein Verstand aus. Kennst du doch.«

      »Klar, das geht vielen Männern so. Aber wenn das eine Professorin ist – nee, das verstehe ich nicht. Sie prüft dich doch nur. Ist das nicht egal, wie sie aussieht?«

      Ich stöhne inner- und äußerlich. »Theoretisch ja, praktisch nein. Ich denke bei gut aussehenden Frauen nur daran, für was für einen gnadenlosen Versager sie mich halten müssen.«

      »Alter Falter, ich habe noch keine Frau kennengelernt, die beißt. Außer ich will es. Was stört es dich, was die von dir denkt. Je cooler du bist, desto mehr fliegen die Damen auf dich.« Ein Brüllen tönt durch den Hörer. »Entschuldigung, eine innere Beklemmung musste raus. Kommt von der Chemie. Scheiß Medikament. Das werden die nie auf den Markt bringen. Das schwör ich dir.«

      »Für mein Studium zahlt man mir ohne Abschluss keinen Cent«, sage ich frustriert.

      Tobias röchelt wieder. »Es zählt doch, was du weißt, nicht welches Etikett auf dir klebt. Oder?«

      Dieses Psychogeschwätz mag ich nicht, vor allem, wenn es um mich geht.

      »Ohne Magister kein Volontariat. Da nützen dir auch Tausende Artikel über Lütje-Lage-Besäufnisse auf dem Schützenfest nix. Aber was soll es. Ich kann da momentan nichts ändern.« Ich kicke gegen eine leere Fantadose.

      »Ist klar, dass du fertig bist. Aber wir überlegen uns was gemeinsam wegen Job und so. Auch wegen Frauen. Vielleicht mit Ali. Du wirst sehen, bald sieht die Welt anders aus.«

      Ali Gethmann ist wie Zorro ein Kumpel aus der Schulzeit. Allerdings hat er sein BWL-Studium im Gegensatz zu mir mit Bravour gemeistert. Gleich nach dem Studium hat er eine Unternehmensberatung für Existenzgründer eröffnet. Und die läuft blendend. In Zeiten der Wirtschafts- und Finanzkrisen bleibt vielen Leuten nichts anderes übrig, als den Schritt in die Selbständigkeit zu wagen. Und dabei sie unterstützt Ali. Gut, wie ich glaube.

      »Schön, dass du an mich glaubst.« Ich fühle ich mich etwas getröstet. »Ich gehe jetzt zum Geburtstag meiner Mutter. Da habe ich heute besonders große Lust drauf.«

      »Ich würde mir einen verlöten. Dann vergisst du den Uni-Mist. Ich horche jetzt an der Matratze und hoffe, dass ich nicht im Schlaf röchele. Sonst steht Opa Pflüger vor der Tür.«

      Opa Pflüger, Vorname Gerd-Hugo, ist der Nachbar über unserer Zweier-WG. Uns ist es jeden Tag ein Rätsel, welche Mütter solche Söhne gebären. Obwohl unsere Mietskaserne am Pfarrlandplatz um die Jahrhundertwende gebaut wurde, hört man jedes Husten in den Nachbarwohnungen. Das ist prickelnd. Wenn der Lautstärkepegel in unserer Wohnung den der Unibibliothek erreicht, kann man Gift nehmen, dass Gerd-Hugo mit dem Besen auf unsere Decke schlägt. Er scheint den ganzen Tag nur darauf zu lauern, Geräusche in unserer WG wahrzunehmen. Läuft einmal Musik bei uns – zugegeben, sie läuft ziemlich oft –, wummert er gegen unsere Wohnungstür und brüllt irgendwas von Ruhestörung, Adolf Hitler und Lagern, in die Leute, wie wir gehörten würden. Das war anfangs lustig, mittlerweile nervt es nur. Wir hoffen, dass ein glücklicher Zufall uns von diesem Mitbewohner befreit. Warum kann er nicht im Lotto gewinnen und zieht auf die Kanaren?

      Meine Eltern wohnen im Zooviertel.