Dr. Love und die schüchterne Forelle. Michael Bresser

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Название Dr. Love und die schüchterne Forelle
Автор произведения Michael Bresser
Жанр Юмористические стихи
Серия
Издательство Юмористические стихи
Год выпуска 0
isbn 9783943172195



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denn mit Iris reden. So gut kenne ich die doch gar nicht.

      »Hast du oder hast du nicht?«, fragt sie und mustert uns wie Außerirdische.

      »Ich weiß nicht so recht. Vielleicht irgendwo in einer alten Kiste verkramt«, stammele ich.

      »Ist auch nicht wichtig«, meinte Iris schließlich. »Was machst du jetzt? Du siehst aus, als ob du gleich zum Wiener Opernball wollest.« Wolltest oder willst, wollest sagt doch keiner, oder?« Ich blicke auf meine Beine, die in einer Anzughose mit Nadelstreifen stecken.

      »Magisterprüfung. Mündlich. Romantik und E.T.A. Hoffmann oder Kommunikationstheorien, keine Ahnung«, quetsche ich Satzbruchstücke raus.

      »Oh, dann viel Glück! Du machst das schon, Timo. Ich muss nächste Woche auf den elektrischen Stuhl. Unter anderem Farbmetaphorik im Expressionismus. Ich habe echt Bammel. Und du? Bist du aufgeregt oder entspannt?«

      »Entspannt, ja genau. Ich muss gleich los«, sage ich hastig. Ich weiß nicht, ob sie enttäuscht oder erleichtert ist, uns los zu sein. Wahrscheinlich Letzteres.

      »Wie gesagt, viel Glück. Man sieht sich. Und dir, Tobias, auch viel Erfolg bei der Bewältigung deiner Kriegstraumata.« Grinsend zieht sie ab.

      Als sie die Tür des Gebäudes hinter sich schließt, schlägt mir Zorro auf den Schenkel.

      »Du bist ein Vollpfosten. Wenn eine Frau Interesse an einer CD hat, besitzt du diese Scheibe. Ist doch klar. Und wenn du sie als Timbuktu-Import orderst.«

      Die Anspannung verlässt meinen Körper. »Ich will die nicht treffen. Wenn ich mit Iris allein wäre, würde ich vor Nervosität kollabieren.«

      »Spinner«, verdreht Zorro die Augen. »Mit der geht was für dich. Die mag dich, das habe ich im Gefühl.«

      »Wer von uns ist hier der Spinner. Der Polizist aus Afghanistan. Wie kannst du so einen Mist erzählen? Warum sagst du nicht, du wärst Anwalt oder Investmentbanker. Das wäre genauso glaubwürdig.«

      »Nur langweilig. Klar, sie hat mir kein Wort geglaubt, aber sie hat sich gut unterhalten gefühlt. Du hättest nur an meine Story andocken müssen, und schon wäre ein Date arrangiert. Alma habe ich nicht anders kennengelernt. Und Gitta. Auch Ulrike und Jenny«, gibt er ein wenig an. Es ist mir schon ein Mysterium, warum ein mit Medikamenten vollgestopfter Freak so einen Schlag bei Frauen hat.

      »Vielleicht mögen sie dich auch trotz deiner Märchengeschichten« sage ich und kann mir ein Grinsen nicht verkneifen.

      »Hm«, überlegt Zorro. »So habe ich das noch nicht gesehen. Na, ich bin aber auch ein smarter Kerl. Und unerschütterlich selbstbewusst. Das ist vielleicht der Dreh. So ganz kapiere ich dich nicht. Du erzählst immer, dass du eine Freundin möchtest. Aber wenn eine Frau sich für dich interessiert, machst du dicht.«

      Ich blicke auf die Uhr. »Abgesehen davon, dass weder ich sie noch sie mich daten will, muss ich zur Prüfung. Bis später.«

      »Faule Ausrede. Aber mach zumindest die Professoren fertig, Timo.«, Zorro zückt eine imaginäre Pistole und drückt ab.

      »Ich tapere jetzt zu Mediopharm und schmeiß eine Runde Antiepileptika ein«, sagt er und erhebt er sich wacklig. »Da freu ich mich drauf. Schmerzmittel werden rasch öde.«

      Ich schreite durch die Gänge. Als ich mich dem Prüfungsraum nähere, werden meine Schritte langsamer. Mit Neid denke ich an die ganzen Erstsemester. Die haben noch keinen Stress. Am Anfang des Studiums hast du alle Zeit der Welt. Du schaust, was dir die akademische Welt bietet. Besuchst Botanik- oder Theaterseminare und genießt die Freiheit. Ein Paradies. Doch eigentlich denkt jeder, dass er es am schwersten hat. Auch die Erstsemester.

      Erst in der Retrospektive gewinnen Ereignisse Leichtigkeit, die sie im Erleben nie hatten. Ich nehme vor dem Prüfungsraum auf einem grauen Metallstuhl Platz. Noch zwei Minuten. Bin ich gut vorbereitet? Jawohl. Sehe ich gut aus? Zumindest ist meine Kleidung der Prüfungssituation angemessen. Werden mich die Prüfer lieben? Ich hoffe es, aber vermute das Gegenteil. Zumindest mein Hauptprüfer Professor Mörike scheint mich zu mögen. Er ist ein skurriler Opa, der immer in viel zu weiten grauen Anzügen herumläuft. Seine oft fleckigen Hemden sind mit karierten Krawatten garniert. Aber das altprofessorale Styling ist reine Tarnung. Dahinter verbirgt sich ein wacher Geist.

      Arnold Mörike hat bereits in London, Paris und sogar zwei Semester in Harvard gelehrt. Dann kehrte er nach Deutschland zurück, weil er genug von der amerikanischen Küche hatte und wieder echte Thüringer Bratwurst essen wollte. Den zweiten Prüfer Professor Anrein kenne ich nicht, er soll aber ganz in Ordnung sein, wie der Mensatratsch berichtet. Nummer drei heißt Martin Lehmkuhl, noch nie gehört. Der Herr scheint frisch an der Leibnitz-Uni zu sein.

      Das könnte sich als Pluspunkt für mich rausstellen. Neue Dozenten versuchen oft, sich bei den Studenten einzuschleimen. Das verschafft ihren Seminaren höhere Besucherzahlen. Andererseits könnte er auch Eindruck bei den Kollegen schinden wollen. Knallharte Fragen, Finten und Fallstricke. Na, das muss ich abwarten.

      Eine Sekretärin im blauen Hosenanzug kommt mit einer Kaffeekanne in der Hand den Gang entlang. »Sind Sie der Nächste?«, fragt sie. Meine Antwort interessiert sie nicht wirklich. »Sie werden aufgerufen.«

      Sie klopft und huscht in den Raum, in dem sich meine Zukunft entscheiden wird. Dann dauert es geschlagene zehn Minuten, bis sich die Tür wieder öffnet. Die Sekretärin tritt heraus und kichert, als hätten die Prüfer den Klopper des Jahrhunderts zum Besten gegeben. Hoffentlich ging es nicht um mich. Aber wahrscheinlich schiebe ich nur Paranoia, wie Zorro sagen würde. Ich wünsche mir, ich wäre so cool wie mein Kumpel. Der würde die Prüfung wie einen seiner Punk-Songs runterrotzen, und jeder würde ihn lieben.

      »Ah, der Herr Singer. Immer hereinspaziert!« Mörike hat die Tür geöffnet und lacht fröhlich. Er hat ein sympathisches Hobby, fällt mir ein. Bei jedem Heimspiel der Roten von Hannover 96 sitzt er mit Schal und Tröte bewaffnet auf der Tribüne und brüllt sie zum Sieg. Mit dem Sieg klappt das nur alle Jubeljahre, aber er ist sich für nichts zu fein. Ein Professor, den man einfach gernhaben muss. Zumindest bis jetzt.

      Ich betrete den Prüfungsraum und bin geschockt. Nicht wegen Professor Anrain, den kenne ich vom Sehen. Nein, Martin Lehmkuhl ist eine Frau. Das muss ein Druckfehler gewesen sein. Wahrscheinlich heißt sie Martina. Und attraktiv ist sie. Mein Herz beginnt zu pumpen, die Schweißdrüsen öffnen sich. Die Lehmkuhl muss Mitte bis Ende dreißig sein. Sie trägt ihr hüftlanges Haar offen, durch ihre blauen Augen kann man in die tiefe der Seele schauen. Knackige Figur, soweit ich sehen kann. Die wird so einen hässlichen Vogel wie mich hassen. Warum muss so etwas immer mir passieren.

      »Guten Morgen«, begrüßen mich Anrein und die Lehmkuhl. Die Lehmkuhl lächelt. Über mich? Eigentlich muss sie neutral bleiben. Obwohl Prüfer immer durch persönliche Vorlieben beeinflusst werden. Das stand zumindest im Spiegel oder im Stern.

      »Na, Herr Singer. Wir haben heute die Romantik und E.T.A. Hoffmann als Thema. Das haben Sie bereits in Ihrer Magisterarbeit beleuchtet. Gute Arbeit, nur zum Ende hin etwas schwammig. Da wollten Sie schnell fertig werden, was?«, grinst mich Mörike an. Was will er denn damit sagen? Vielleicht ist er doch nicht so nett, wie ich gedacht habe.

      »Käffchen?«, wendet er sich an die Kollegen.

      »Gerne. Für mich mit Milch und zwei Kapseln Süßstoff.

      Das ist nicht besonders gesund, sagen Kollegen von der medizinischen Fakultät, aber ich kann es einfach nicht lassen«, lacht Anrein affektiert.

      »Ich trinke nur grünen Tee. Da gibt es einen Versand in Brandenburg. Die importieren die besten Grüntees Chinas. Und alles ökologisch angebaut. Kaffee macht mich immer nervös. Höchstens mal eine Tasse aus Eine-Welt-Bohnen. Da weiß ich, dass die Bauern fair entlohnt werden, gel«, verkündet die Lehmkuhl mit einer seltsamen Sprachmelodie. Wenn mich nicht alles täuscht, spricht sie mit leicht hessischem Akzent.

      »Es ist schade, dass Hannover dem Lehrkörper nur Kaffee anbietet. In Hildesheim gab es wenigstens Kamillentee. Das ist zwar kein richtiger Tee sondern nur ein Aufgussgetränk, aber immerhin.«