Название | Letzte Schicht |
---|---|
Автор произведения | Dominique Manotti |
Жанр | Ужасы и Мистика |
Серия | |
Издательство | Ужасы и Мистика |
Год выпуска | 0 |
isbn | 9783867549721 |
Rolande trifft ein, mit strahlendem Lächeln schiebt sie einen mit Kartoffeln, Zwiebeln, Eiern und Brot beladenen Einkaufswagen. »Ich habe im Supermarkt gehört, wie man von euch sprach, da habe ich eine Spendenaktion in den Läden organisiert. Das hier ist alles für euch. Damit ihr heute Abend warm essen könnt. Das ist meine Art, euch danke zu sagen.«
Nourredine ist gerührt und öffnet ihr das Tor. »Komm rein, Rolande. Wenigstens solange wir da sind, bist du hier zu Hause.«
Und dann treten die wichtigen Persönlichkeiten in Erscheinung, dunkle Limousinen, dunkle Anzüge, Unbehagen, großes Unbehagen, der Bürgermeister mit seiner blauweißroten Schärpe, der Abgeordnete, unauffälliger, und der Arbeitsdirektor des Departements, der so tut, als sei er gar nicht da. Sie drücken ein paar Hände, lächeln gezwungen, klopfen Amrouche auf die Schulter und reden dann vor dem Tor mit Nourredine und seinen Schichtkollegen.
»Das Tal braucht diese Arbeitsplätze … Passen Sie auf, was Sie tun … Monsieur Park, Ihren Direktor, kennen wir gut, das ist doch ein vernünftiger Mann … Versuchen Sie es auf dem Verhandlungsweg …«
Was wissen die drei denn von dem Leben hier drin? Was weiß dieser Arbeitsdirektor mit seinen getürkten Sicherheitskontrollen, seinen ewig positiven Berichten, nicht eine Beanstandung in zwei Jahren in der gefährlichsten Fabrik der ganzen Region, was weiß der schon von dem Mann mit dem abgetrennten Kopf, von Émilienne, von Rolande, von Aïsha? Nourredine ist verlegen in seiner zu engen Jacke, seiner schmutzigen Jeans. Plötzlich überkommt ihn Wut, in seiner Phantasie packt er den Arbeitsdirektor am Revers, schüttelt ihn, schlägt seinen Kopf gegen die Gitterstäbe des Tors, zertrümmert ihm Stirn und Nase, Blut fließt auf den schönen marineblauen Anzug, er lässt ihn los, der Arbeitsdirektor sackt zu Boden.
»… Wenn Daewoo wegen dieses Streiks schließen würde, was, wohlgemerkt, möglich ist, wäre das eine Katastrophe für das ganze Tal.«
»Wir haben große Anstrengungen unternommen, um diese Fabrik hierher zu bekommen«, fügt der Bürgermeister hinzu. »Ich weiß, was die Stadt das gekostet hat.«
Nourredine fällt nichts ein, was er entgegnen könnte.
Da tritt der vierte Mann, der sich bis jetzt im Hintergrund gehalten hat, lächelnd auf Nourredine zu und streckt ihm die Hand hin. Er ist groß und kräftig, hat eine einfache, direkte Art. Und sein Händedruck sagt deutlich, dass er keine Angst hat, sich schmutzig zu machen, wenn er einem Arbeiter die Hand gibt. Auftreten, Ausdruck und Ton sind kaum wahrnehmbare Erkennungszeichen: dieselbe Welt, die Welt der Fabrik, nicht auf demselben Posten, aber trotzdem, das schafft Nähe.
»Maurice Quignard. Ich vertrete den Europäischen Fonds für regionale Entwicklung.« Die europäischen Subventionen, die Registrierkasse, übersetzt Nourredine. »Bevor ich hergekommen bin, habe ich mit Ihrem Direktor telefoniert. Wissen Sie, das ist kein schlechter Kerl. Ich glaube, in dieser ganzen Angelegenheit gibt es ein riesiges Missverständnis. Seinen Worten zufolge müsste der sofortige Verkauf der Lagerbestände eigentlich die Zahlung bestimmter Prämien erlauben …« Nourredine gerät ins Wanken, atmet schwer. Denkbar wär’s schon, wir haben ja gleich losgelegt wie die Bekloppten … »Wir müssten doch eine Verhandlungsbasis finden.«
»Verhandeln, nichts anderes fordern wir seit heute Morgen.«
»Es gibt keine Verhandlungen, solange das Management festgehalten wird.«
Nourredine ist ehrlich überrascht. »Niemand wird festgehalten. Wir hindern die Leute am Reinkommen, nicht am Rausgehen.«
»Und verhandelt wird nicht hier, unter Druck, sondern im Rathaus.«
»Ich entscheide nicht allein.« Er blickt sich um. »Das müssen wir erst bereden. Ich sehe da aber kein Problem.«
Wie selbstverständlich geht Quignard durch das Törchen, Nourredine ist überrumpelt, zögert, zu spät. Quignard ist schon im Pförtnerhaus, einer der beiden Wachleute schiebt ihm einen Stuhl hin und reicht ihm ein Telefon. Er setzt sich, ruft die Direktion an, er ist hier zu Hause. Als er wieder herauskommt, erklärt er: »In einer Viertelstunde werden die ersten Führungskräfte die Fabrik verlassen, in ihren Autos natürlich. Die Geschäftsleitung empfängt Sie in zwei Stunden im Rathaus. Selbstverständlich nur, wenn Sie einverstanden sind.«
Dann geht Quignard zurück in Richtung Kreisel, wo ihn sein Wagen, ein großer schwarzer Mercedes, und sein Fahrer erwarten, wechselt ein paar Worte mit den drei hochrangigen Repräsentanten der Republik, das wird schon wieder, warum auch nicht, niemand will Krieg. Ein Stück weiter begegnet er einem düster dreinblickenden Maréchal, der gekommen ist, um zu sehen, was es Neues gibt.
»Antoine, gehst du in die Fabrik zurück?«
»Nein, meine Schicht geht nur bis vierzehn Uhr, und bis auf Weiteres gehöre ich nicht zu den Streikenden.«
»Dann begleitest du mich in mein Büro. Die Verhandlungen dürften sehr bald beginnen, und Park wird mich telefonisch auf dem Laufenden halten. Ich würde gern deine Meinung dazu hören.«
»Hast du was zu trinken da?«
Lächeln. »Wie üblich. Deinen Lieblingscognac.«
»Zu Hause wartet eh keiner auf mich.«
Auf dem Brachland hinter der Fabrik betreibt Karim sein kleines Geschäft. Er mag diesen Ort. Vor ihm erstreckt sich das Tal mit seinen grünen Flussufern bis nach Pondange. Als er Kind war, war dies eine Straße aus Hochöfen, Tag und Nacht Feuer, Lärm, Rauch und Staub. Sein Vater ging von Hochofen zu Hochofen immer mehr kaputt, und Karims eigenes Schicksal als ältester Sohn war klar vorgezeichnet. Mit sechzehn ab ins Stahlwerk, als Hilfsarbeiter, an der Seite seines Vaters. Heute stirbt sein Vater mit einer guten Rente langsam vor sich hin, ihm selbst geht es prima dank vieler kleiner Tricksereien, die Luft ist sauber und das Tal ist grün. Ist das Leben nicht schön, von Daewoos Brache aus betrachtet? Er hat aus Palettenresten Kleinholz gemacht, einen behelfsmäßigen Grill aufgestellt und brät mit Billigung des Cafeterialeiters auf Draht gespießte Würstchen, die er günstig verkauft.
Zwei Unbekannte, sehr breitschultrig, ultrakurzes Haar, um die dreißig, aggressive Ausstrahlung, kommen langsam heran, die Hände hinter dem Rücken. Seh’n aus wie Bullen, aber nicht wie gute, denkt Karim, zögert, schneller Blick nach allen Seiten, kein Fluchtweg. Bemerkt die marineblauen Security-Jacken, die Uniform der Daewoo-Wachleute. Beruhigt lächelt Karim ihnen zu und streckt ihnen zwei Wurstspieße entgegen. Für Sie, ist gratis. Die beiden Männer nicken, nehmen die Spieße und entfernen sich ohne ein Wort. Karim bedient seine Kundschaft weiter, und Stammkunden schiebt er gegen Aufpreis noch etwas Hasch in die Papierserviette, die es zu den Würstchen gibt. In einer Ecke des Warenlagers ist ein Raucherzimmer eingerichtet worden, inmitten der Styroporverpackungen, gut geschützt vor den patrouillierenden Wachleuten.
Rolande ist unterdessen in der Cafeteria angekommen und hat die Kochecke mit Beschlag belegt. Sie macht sich an die Arbeit, jeder Handgriff sitzt, Gerätschaften, Teller, beglückt schält sie, spült, schneidet, rührt. Sorgende Mutter. Halb Spiel, halb verdrängter Wunsch. Ihre Art, sich an der gemeinschaftlichen Aktion zu beteiligen.
Schon bald verlässt das erste Auto den Parkplatz für das Führungspersonal am rechten Gebäudeflügel und fährt Richtung Werkstor, durch ein Spalier aus Arbeiterinnen und Arbeitern, die aus allen Winkeln der Fabrik herbeigeströmt sind, um die spottenden Schaulustigen zu spielen. Über die Motorhaube gebeugt, mustern sie den Insassen aus nächster Nähe, verpassen der Karosserie Schläge und ein paar Tritte und haben echten Spaß daran, nun ihrerseits Angst zu machen, heitere Saturnalien, bis jetzt. Étienne ist wieder voll da und amüsiert sich prächtig. Aïsha steht erst ganz vorn, erstaunt über ihren Wagemut, hat das Spiel aber bald satt, zu viele Männer, zu nah, lässt sich aus der Menschentraube hinausschieben und geht ins Pförtnerhaus, wo die beiden Wachleute