Название | Vogelgrippe |
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Автор произведения | Tino Hemmann |
Жанр | Ужасы и Мистика |
Серия | |
Издательство | Ужасы и Мистика |
Год выпуска | 0 |
isbn | 9783867039611 |
»Ja, Matti. Guten Morgen. – Wo ist denn Kevin?«
Der Junge sah sich im Zelt um. Dann zuckte er mit den Schultern. »Vielleicht Pinkeln?«
Franke schaute zum Waldrand. »Kevin?«, rief er einmal, dann ein weiteres Mal. »Kevin!« Vergeblich wartete er auf eine Antwort. »Wann hast du Kevin das letzte Mal gesehen?«
Matti kroch vorsichtig aus dem Zelt und streckte sich. Er trug nur die Badehose. »Wir haben uns hingelegt und Gruselgeschichten erzählt. – Dann bin ich eingeschlafen. Und heute Nacht, als ich Pinkeln war, hat Kevin hier gelegen. Für quer.«
»Das gibt’s doch nicht …« Ein paar Schritte ging Franke zum Wald. Dann legte er die Hände als Trichter vor den Mund und rief erneut: »Kevin! – Komm bitte, wir haben keine Zeit zum Verstecken spielen!«
Ein paar Vögel flatterten davon.
Mattis Mutter kam näher, rieb ihrem Sohn die Schultern. »Guten Morgen. – Was ist denn los?«
Matti sah zu seiner Mutter hinauf. »Ich glaube, Kevin ist weg.«
»Weg?«
»Vielleicht ist der sture Kerl nach Hause gegangen.« Franke holte sein Handy aus der Hosentasche, Kurzwahl. »Hallo, Miriam? – Ist Kevin bei dir? – Nein, es ist nichts, wer weiß, wo er steckt. Vielleicht am See, ein Morgenbad nehmen.«
Minuten später suchten Frau Semmer und ihr Mann mit Matti im Wald, während Franke zum See fuhr und dort nach Kevin Ausschau hielt.
Gegen Mittag wusste der ganze Ort vom Verschwinden des blondgelockten Kindes. Nach und nach entlud sich die Angst. Die Erwachsenen machten sich keine gegenseitigen Vorwürfe, um die Situation nicht anzuheizen. Doch jedem kamen Zeitungsberichte in den Sinn, nach denen Kinder verschwunden waren und ermordet wiedergefunden wurden.
Vierzehn Uhr zwanzig kam ein Streifenwagen in den Ort, zwei Beamte nahmen alle relevanten Daten auf und befuhren anschließend jeden befahrbaren Weg der Umgebung.
Am späten Nachmittag versuchte eine Hundestaffel der Polizei die Spuren aufzunehmen, die an der Hauptstraße endeten. An eben dieser Stelle hatte Jockey jaulend gesessen, bis ihn die Angst vor den Polizeihunden vertrieb. Er hatte gejault, viele Stunden lang.
Am Abend fanden sich Semmers und Frankes zusammen. Matti saß am Beckenrand des Pools und sah schrecklich leidend aus. Er hatte viel geweint, denn er gab sich die Schuld am Verschwinden des Freundes. Zu viele Fragen hatte man ihm gestellt. Die Telefone der Familien Franke und Semmer klingelten ununterbrochen, Presse, Rundfunk, Fernsehen – alle Medien hatten vom Verschwinden des Zwölfjährigen erfahren. Eine Polizistin bewachte im Haus der Frankes das Telefon, ein Aufzeichnungsgerät wurde angeschlossen. Auch am Gartentor standen Polizisten, ebenso am Haus der Familie Semmer.
»Matti, komm mal bitte her.« Mattis Vater winkte.
Der Junge erhob sich widerwillig, ging zu seiner Mutter, die ihn an sich drückte und seinen Arm streichelte. Thomas Franke sah Matti einen Moment an. Sah auf dessen zitternde Hände.
»Hat Kevin dir nicht erzählt, was er vorhat?«, fragte Thomas. Er stellte die Frage zum zehnten Mal.
Matti schüttelte seinen Kopf. »Nein, hat er nicht. – Kevin hat nichts vorgehabt.«
Franke kratzte sich am Kinn und nickte. Alle drehten sich um. Auf dem Plattenweg, zwischen den beiden Kiefern, standen mehrere Männer.
Fast lautlos hatten sie sich genähert. »Guten Abend«, meinte ein Herr, der einen langen Sommermantel trug.
»Kriminalhauptkommissar Feldmüller. Ich bin der Einsatzeiter der Einheit, die nach Kevin Franke suchen wird.«
Frau Semmer erhob sich. »Moment, ich hole ein paar Stühle.«
»Machen Sie sich keine Umstände …« Der Kommissar lächelte freundlich.
Kurz darauf brachte Mattis Mutter vier Gartenstühle und baute sie auf der Terrasse auf. »Bitte, setzen Sie sich doch.« Sie selbst nahm ebenfalls wieder Platz.
Matti stand am Rand, niemand sah, dass Tränen über seine Wangen liefen.
Zunächst stellten sich die Anwesenden vor, dann klärte der Kommissar über das weitere Vorgehen auf.
»Unser Team besteht aus fünfundzwanzig Mann. Die anderen einundzwanzig sind bereits im Einsatz. Sie fahren zu den Stellen an denen sich jugendliche Ausreißer häufig aufhalten. Wartehäuschen, Bushaltestellen, Bahnhöfe, Jugendtreffs. Eine Gruppe ist unten am See, zwei Mann befragen derzeit die Bewohner des Dorfes. Wir benötigen ein gut reproduzierbares Foto von Kevin. – Das wäre erst mal alles.«
Einer der Männer stellte eine Frage, die Mattis Hände noch kräftiger zittern ließ. »Wer hat den Jungen zuletzt gesehen?«
Viele Augen richteten sich auf Matti, dessen Schuldgefühle wuchsen.
Feldmüller erhob sich, ging zu dem Jungen. »Wie heißt du?«, fragte er.
»Matti Semmer.«
»Willst du uns helfen, deinen Freund zu finden?«
Der Zehnjährige nickte.
»Wann hast du ihn zuletzt gesehen?«
»Als wir eingeschlafen sind.«
»Und wann war das?«
Matti zuckte mit den Schultern. »Spät in der Nacht. Sehr spät.«
»Und als du aufgewacht bist, da war er weg?«
»Ja.«
Auch der Kommissar fuhr über Mattis kalten Arm, dann durch die kurzen Haare. »Besser, du gehst jetzt ins Bett. – Wir werden deinen Freund finden. – Versprochen.«
Matti lief zu seiner Mutter und fiel ihr um den Hals. Die trug den Jungen ins Haus, als wäre er ein Kleinkind.
Später erhielt die Polizei das Bild, auf dem Kevin lächelte. Frau Franke hatte die Fotos machen lassen, weil Kevin einen neuen Busausweis für den Schulbus beantragen musste.
Das Foto vom großen, zwölfjährigen Sohn der Frankes entstand vier Tage vor seinem Verschwinden.
4
Kevin ging es schlecht. Er hatte das Gefühl, sich jeden Moment übergeben zu müssen, doch sein Magen war leer. Überall fühlte er Schmerzen, der Körper war innerlich eine einzige große Wunde. Kraftlos kroch der Junge über den Lehmboden. Er fühlte die Nacktheit, die Hilflosigkeit und die Kälte.
»Kann mir niemand helfen?«, fragte seine Stimme, die kaum noch menschlich klang. Einen Meter kroch er, dann erfühlten seine Finger etwas Weiches. – Die Decke!
Kevin zog sie zu sich und wickelte sich ein, so gut es ging. Dann kroch er weiter. Ein Knurren war zu hören, als wäre ein Hund in der Nähe. Es dauerte bis Kevin begriff, dass sein eigener Magen die Töne von sich gab.
Mit dem Kopf stieß er gegen einen Balken. Die Hände fühlten in die Dunkelheit, bis sie die Treppe berührten. Ganz langsam kroch Kevin Stufe um Stufe hinauf, bis der Kopf erneut gegen etwas stieß. Er hob einen Arm, schwer atmend, fühlte Bretter über sich, glaubte einen Schimmer von Licht zu erkennen.
Kevins Faust schlug gegen die Bretter. Erst zaghaft, dann immer stärker. Der Junge versuchte zu schreien, doch die Stimme klang heiser und leise.
»Hilfe! Helfen Sie mir!«
Kurz darauf war nur noch das Wimmern zu hören. Kevin steckte ganz und gar in der Decke, heulte und weinte kraftlos.
Ein derbes Knirschen drang an seine Ohren, blendendes Licht traf den Zwölfjährigen. Kevin fühlte einen Stoß, fiel rückwärts die Treppe hinunter und schrie schmerzerfüllt auf.
»Da hast du Brot und Wasser!«, hörte Kevin die Stimme der Alten krächzen. »Such es dir!« Ein Krachen ertönte.
Dunkelheit. Nur der Atem