Kein Wissen ohne Glaube. Werner Kinnebrock

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Название Kein Wissen ohne Glaube
Автор произведения Werner Kinnebrock
Жанр Религия: прочее
Серия
Издательство Религия: прочее
Год выпуска 0
isbn 9783532600122



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im Messvorgang, der ja ebenfalls eine Art des Erkennens ist.

       Unsere wissenschaftliche Erkenntnis hat kaum die Oberfläche ihrer komplexen Ganzheit angekratzt, unser Wissen steht zu unserem Unwissen in einer Relation, deren Ausdruck astronomische Ziffern erfordern würde.

      Konrad Lorenz

      Dass die übergeordnete Wirklichkeit sich unserem Begreifen entzieht, lässt Wissenschaftler aller Disziplinen nicht ruhen, und man hofft darauf, eines Tages den Stein des Weisen zu finden.

      Aber wird die Wissenschaft trotz aller Fortschritte je in der Lage sein, alle Fragen zu beantworten? Oder gibt es Grenzen, die wir grundsätzlich und prinzipiell nicht überschreiten können?

      Da sind zunächst die rational bedingten Grenzen, die aus unserer raumzeitlichen Wahrnehmung resultieren und außerräumliche oder außerzeitliche Erkenntnisse nicht zulassen. Hinzu kommen Begrenztheiten unseres Gehirns, denn dieses produziert reduzierte Bilder und damit auch reduzierte Wahrheiten. Unser neuronal fundiertes Denkvermögen erlaubt es nur, in bestimmten, vorgegebenen Mustern die Welt zu begreifen. Diese Muster sind wie Werkzeuge. Mit einem Werkzeug kann man viele Arbeitsprozesse erledigen, aber vermutlich nicht alle.

      Raumzeitliche und andere Begrenzungen

      Die Grundelemente unsers Denkens sind Erfahrungen und Bilder, die komplexe Zusammenhänge in reduzierter Form zeigen und uns erst befähigen, komplizierte Wahrheiten einzusehen. Selbst bei mathematischen Formeln ist zum Verständnis ein Vorstellungsvermögen vorausgesetzt, das sich letztlich an räumlichen Bildern orientiert.

      Bilder wiederum sind stets an Raum und Zeit gebunden. Ohne das sind sie nicht denkbar, wie bereits Immanuel Kant erkannte, als er Raum und Zeit als A-priori-Voraussetzungen für Denkprozesse definierte.

      Gibt es überhaupt eine Welt ohne Zeit und Raum?

      Wir wissen, dass in den schwarzen Löchern des Weltraums die Zeit steht, also nicht existiert. Auch Photonen, die Elementarteilchen des Lichts, rasen ohne Zeit durch den Raum. Und wäre eine Welt ohne Raum und Zeit das, was die Religionen Ewigkeit nennen? Wir wissen es nicht. Und selbst wenn es so wäre, könnten wir diese Form des Seins nicht in Bilder fassen und damit nicht begreifen.

      Wenn Raum und Zeit genauso wie Energie und Materie die formbildenden Elemente des Universums und damit unseres Denkens sind, können wir dieses raumzeitliche Gerüst nicht verlassen. Nicht nur das: Da die übergeordnete Wirklichkeit nicht an Raum und Zeit gebunden ist, ist sie für uns rational auch nicht einsehbar und damit fotografisch nicht beschreibbar.

      Der zweite Grund für die Nichterkennbarkeit übergeordneter Wahrheiten hat mit unserem Gehirn zu tun, das schon evolutionsbedingt nicht angelegt ist als Instrument zur Welterkenntnis. Biologisch betrachtet, arbeitet es wie ein Tiergehirn, wenngleich wesentlich komplexer. Ein Beispiel: Im Gegensatz zum Menschen, der problemlos das Schachspielen erlernt, kann man das einem Hund nie und nimmer beibringen, weil es seine neuronalen Fähigkeiten übersteigt. Und da unser Gehirn zumindest vom Prinzip her ähnlich konzipiert ist, stellt sich natürlich die Frage, ob auch für uns neuronal bedingte kognitive Grenzen existieren.

      Eine nähere Betrachtung, wie das überhaupt funktioniert mit dem Aufnehmen der uns umgebenden Wirklichkeit, schafft hier Klarheit.

      Wir nehmen die Dinge um uns herum mittels sensorischer Signale auf, die wiederum neuronale Reize im Gehirn auslösen. Die Gesamtheit aller Reize formt dann ein Bild dessen, was wir aufgenommen haben, doch ist das noch keine Realität. Diese wird über energetische Reize auf unser Gehirn abgebildet, und von den gespeicherten Bildern schließen wir am Ende auf die Realität.

      Über die Bilder hinaus speichern wir zeitabhängige Vorgänge, die wie Filmsequenzen oder Filmausschnitte wirken – sie sind das, was wir als Erfahrungen bezeichnen, und zusammen mit den Bildern stellen sie den Urgrund unseres Verständnisses von der Welt dar. Allerdings sind wir stets versucht, die Realität mit diesen neuronal gespeicherten Bildern und Erfahrungen zu identifizieren, was ein Trugschluss ist. Wir verwechseln sie bloß damit, denn die Realität geht weit über unser Verständnis hinaus.

      Deshalb ist es sinnlos, wenn wir die Wahrheit auf unsere Verständnisebene herunterzubrechen versuchen und das, was wir dann verstehen, als absolute Wahrheit betrachten.

      Kant hat sich in seiner Kritik der reinen Vernunft ebenfalls mit dieser Problematik beschäftigt und gelangte zu der Erkenntnis, dass man sich dem „Ding an sich“ zwar mithilfe der Sinnesorgane und der Vernunft annähern könne, es jedoch nie voll zu erfassen vermöge.

      Uexkülls Seifenblase

      Die neuronale Begrenztheit unserer Erkenntnisfähigkeit hat aus biologischer Sicht als Erster um 1900 der baltische Baron Jakob Johann von Uexküll beschrieben. Auch er stellte fest, dass uns in unserer Wahrnehmung keine objektive, sondern eine subjektive Welt umgibt. Martin Heidegger nannte Uexküll, der zweimal für den Nobelpreis vorgeschlagen wurde, „einen der scharfsinnigsten Biologen unserer Zeit“.

      Aus biologischer Sicht versuchte er zu begründen, dass wir auf unsere Sinneserfahrungen angewiesen sind und daher nur ein Modell der Welt in unserem Kopf haben. In seiner Schrift Umwelt und Innenwelt der Tiere heißt es, dass sich jedes Tier aus seinen sensorischen Fähigkeiten heraus, die ihm aufgrund seiner Genetik gegeben sind, eine Umwelt schafft, die ausschließlich auf seine eigenen Bedürfnisse zugeschnitten ist und nicht mehr als einen kleinen Ausschnitt der Gesamtrealität darstellt.

      Bekannt wurde sein Beispiel mit der Zecke:

      Sie hängt regungslos an der Spitze eines Astes in einer Waldlichtung. Ihr ist durch ihre Lage die Möglichkeit gegeben, auf ein vorbeilaufendes Säugetier zu fallen. Aus der übergroßen Welt, die die Zecke umgibt, leuchten drei Reize wie Lichtsignale aus dem Dunkel hervor und dienen der Zecke als Wegweiser, die sie mit Sicherheit zum Ziel führen.

      Das erste Signal ist der Geruch von Buttersäure, den alle Säugetiere durch den Schweiß abgeben – sobald die Zecke ihn wahrnimmt, lässt sie sich fallen. Das zweite Signal ist der Tastsinn, der anzeigt, ob sie auf die Erde oder auf ein Säugetier gefallen ist, und das dritte ist die Fähigkeit, Wärme wahrzunehmen, was es ihr ermöglicht, sich auf einem Säugetier die wärmste Stelle auszusuchen.

      Ähnlich steigen bei uns aus Erfahrungen resultierende Reize „aus dem Dunkel hervor“. Sie sind die Orientierungspunkte zur Vermessung der Welt, die Haltepunkte, an denen wir unser Weltbild aufhängen. Für die Zecke besteht die Welt allein aus den für sie verstehbaren Reizen. Alles darüber Hinausgehende ist für sie nicht existent. Auch für uns reduziert sich die Welt auf die erfahrbaren Reize, auf die Erfahrungswelt also. Was jenseits davon ist, bleibt ausgeschaltet.

      Man stelle sich vor, wir könnten Wärmestrahlen „sehen“, aber kein Licht und keine Akustik wahrnehmen. Oder wir wären in der Lage, wie die Insekten mit Fühlern die Welt zu ergründen. Unsere Bilder wären völlig verschieden von denen, die wir jetzt besitzen – es wäre eine völlig andere Welt. Das zeigt, dass unsere Wahrnehmung im Verhältnis steht zu unserer Fähigkeit, sensorische Signale aufzunehmen und zu verarbeiten.

      Mit anderen Worten: Die jeweilige Umwelt wird von uns selbst geschaffen.

      Uexküll verglich die jeden Menschen umgebende Umwelt mit einer Seifenblase, die man im Leben mit sich herumträgt. „Sie ist mit uns verbunden und wir mit ihr. Innerhalb dieser Seifenblase geht für jeden von uns die Sonne auf und unter, und diese Sonnen sind sehr verschieden.“ Über den Anblick einer Buche bei einem Waldspaziergang hat er etwa geschrieben:

       Dies ist nicht eine Buche, sondern meine Buche, die ich in allen Einzelheiten in meinen Sinnesempfindungen aufgebaut habe. Was ich von ihr sehe, höre oder taste, sind nicht Eigenschaften, die ausschließlich der Buche zu eigen sind, sondern es sind die von mir hinausverlegten Merkmale meiner Sinnesorgane.

      Fassen