Kein Wissen ohne Glaube. Werner Kinnebrock

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Название Kein Wissen ohne Glaube
Автор произведения Werner Kinnebrock
Жанр Религия: прочее
Серия
Издательство Религия: прочее
Год выпуска 0
isbn 9783532600122



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wurden, ist man bereit, Dinge zuzulassen, die sich unserem Begreifen entziehen und allen scheinbaren Gewissheiten widersprechen.

      Bilder für das Unbekannte zu finden, das sich jenseits unserer Erkenntnis in nicht einsehbaren Wirklichkeiten verbirgt – das leistet der Glaube. Die uns bekannten Religionsstifter befassten sich alle mit diesem nicht Fassbaren, schufen Modelle, die Anhänger fanden und die die Welt veränderten.

      Es bildete sich der Begriff „Transzendenz“ heraus.

      Transzendenz kann jedoch nicht erkannt, sondern bloß erahnt werden. Sie ist nur in Bildern und Gleichnissen beschreibbar, sagte einst der Physiker Werner Heisenberg, der sich viel mit dem Verhältnis von Naturwissenschaft und Religion beschäftigte. Was indes nicht heißt, dass dahinter keine echte Wirklichkeit verborgen ist. Ihm verdanken wir ebenfalls das folgende, ebenso launige wie weise Zitat: „Der erste Trunk aus dem Becher der Naturwissenschaft macht atheistisch, aber auf dem Grunde des Bechers wartet Gott.“

      Was glauben Sie?

      Lassen Sie sich ein auf eine spannende Reise in den Grenzbereich zwischen Wissen und Glauben.

       Albert Einstein im Jenseits: Gott gewährt ihm einen Wunsch. Einstein will nur eines: die Weltformel. Gott schreibt sie für ihn auf. Einstein strahlt. Doch dann verfinstert sich sein Gesicht: „Die ist ja voller Fehler.“ Und was sagt Gott? Er lächelt.

      Zeit-Magazin, Dez. 2010

      Was ist „Wahrheit“? Zunächst sind das die Erfahrungen, die wir täglich im Umgang mit der Welt machen, also die von uns erkennbaren und nachprüfbaren Naturgesetze. Mathematische Formeln und Gesetze liefern Ergebnisse und Strukturen, deren Richtigkeit von jedem mathematisch Vorgebildeten nachgeprüft werden kann. Die Wissenschaft zeigt uns Zusammenhänge, die die Welt erklären und uns in den Stand versetzen, sie nach unseren Wünschen zu gestalten und zu manipulieren. All diese Wahrheiten sind für uns begreifbar, sie besitzen Formen, die in unser Verständnis integrierbar sind. Es handelt sich gewissermaßen um in Form gegossene Realitäten, die wir uns geistig aneignen können.

      Doch jenseits dieser für uns fassbaren Realität gibt es eine übergeordnete Wirklichkeit. Es ist die Gesamtheit all dessen, was in unsere erkennbare Wirklichkeit hineinstrahlt – all jene nicht begreifbaren und unbekannten Fakten, die aber die Ursache für begreifbare Vorgänge sind. Mit anderen Worten: Es ist die Wirklichkeit jenseits unserer Vorstellungskraft und jenseits unseres Bewusstseins – es sind die letzten Ursachen unserer Existenz.

      Die Wahrheit besteht demnach aus einem Teil des von uns Erkennbaren und aus einem Teil, der als Transzendenz sich unseren Erkenntnissen verbirgt.

      Das Problem mit den letzten Fragen

      Der Oxforder Evolutionsbiologe Richard Dawkins erregte in 2006 Aufsehen mit seinem Bestseller Der Gotteswahn. Darin schreibt er, dass es keine Beweise für die Aussagen der Religionen gebe. Die Gläubigen würden nur glauben, weil sie es von Autoritäten wie Priestern und Eltern oder aus heiligen Schriften so übernommen hätten. Unter Hinweis auf die vielen Entartungen in Gestalt fundamentalistischer Religionsgruppen hält Dawkins es sogar für schädlich, an etwas zu glauben, das man nicht begründen kann. Zwar räumt er ein, dass man die Nichtexistenz eines Schöpfers nicht beweisen könne, aber das Gegenteil eben auch nicht.

      Damit entfällt für ihn jede Berechtigung für eine Religion.

      Kein Wunder, dass diese Thesen in religiösen Kreisen Befremden auslösten. Einige Theologen weigerten sich rundweg, sie überhaupt zu diskutieren. Dawkins fege mit einer Handbewegung eine jahrtausendalte Kulturgeschichte der Menschheit zur Seite, wetterten sie, und stelle sich selbst als den neuen Papst der Aufklärung in den Mittelpunkt. Nach Meinung vieler eine unzulässige Vereinfachung und Intoleranz gegenüber den Gläubigen aller Religionen.

      Der Idee einer objektiven Wissenschaft, die Dawkins zu vertreten vorgibt, würden seine Aussagen nicht genügen, kritisierten andere Wissenschaftler wie der Biologe Rupert Sheldrake, der dazu in seinem Bestseller Der Wissenschaftswahn Stellung bezogen hat. Viele Forscher, meint er, würden an Dogmen festhalten, die längst überholt seien, und vieles basiere auf nicht beweisbaren Annahmen.

      In einem hat Dawkins allerdings recht: Wenn wir alle Erkenntnis auf den Verstand und die Logik reduzieren und keine weiteren Erkenntisformen zulassen, bleiben religiöse Inhalte Spekulationen ohne Beweis.

      Seit es Menschen gibt, wird versucht, den letzten Fragen unserer Existenz auf den Grund zu gehen. Die Antworten könnten unterschiedlicher nicht sein – schon in den verschiedenen Religionen herrscht statt Einigkeit Vielfalt. Die Atheisten erklären die Welt als materiell und natürlich, und die fundamentalistischen Evolutionisten führen alles Sein auf den Zufall zurück. Gott, Götter, Zufall, das Nichts – alles wird uns angeboten zur Erklärung der Welt.

      Wenn wir das, was diese Welt und das Universum entstehen ließ und zusammenhält, als übergeordnete Wirklichkeit bezeichnen, dann gilt: Wir können nicht in diese Überwirklichkeit hineinschauen und müssen akzeptieren, dass es offenbar keine gesicherte Antwort auf die letzten Fragen des Seins gibt. Auch nicht seitens der Naturwissenschaft, die hier ebenfalls passen muss.

      Das Dilemma der Naturwissenschaft

      Diese Grenzen sind überall zu „besichtigen“. Entweder wird das Naturverhalten unbegreiflich (Quantenphysik), unberechenbar (Chaostheorie) oder unüberwindbar (Prädikatenlogik der Mathematik).

      Die Quantenphysik hat es mit Phänomenen zu tun, die mit unserer Verstandeslogik nicht eingeordnet werden können, wie zum Beispiel die Dualität des Lichts oder das Verhalten verschränkter Elementarteilchen. Der Quantenphysiker Richard Feynman, der 1965 den Nobelpreis erhielt, prägte sogar über seine eigene Zunft den Satz: „Ich denke, man kann davon ausgehen, dass niemand die Quantenphysik versteht.“

      Die Chaostheorie wiederum zeigt die Grenzen des Berechenbaren auf, und die Manifestationen sind mannigfaltig. So kam zum Beispiel der Mathematiker Henri Poincaré, ein Cousin des aus der Zeit des Ersten Weltkriegs bekannten französischen Staatspräsidenten Raymond Poincaré, zu der Erkenntnis, dass es prinzipiell unmöglich sei, das zeitliche Verhalten von drei der gegenseitigen Gravitation ausgesetzten Himmelskörpern mathematisch vorauszuberechnen. Die Mathematik gebe es einfach nicht her.

      Dabei waren zu Beginn des 19. Jahrhunderts die Mathematiker davon überzeugt, dass jede mathematisch sinnvolle Frage grundsätzlich beantwortet werden könne. Bezeichnend ist die Aussage des großen Göttinger Mathematikers David Hilbert, der 1900 auf einem Kongress in Paris den Satz formulierte: „In der Mathematik gibt es kein Ignorabimus“, was so viel heißt, dass die Mathematik alles beweisen und beantworten könne, was mathematisch sinnvoll sei.

      Nur wenige Jahrzehnte später hingegen zeigte der Mathematiker Kurt Gödel, dass es in einer hinreichend komplexen mathematischen Disziplin durchaus Aussagen geben kann, die weder beweisbar noch widerlegbar sind. Damit war die Hilbert’sche Aussage als Utopie entlarvt worden und vom Tisch. Mehr zu den verschiedenen Phänomenen und den dazugehörigen Thesen findet sich im Anhang.

      Das Kant’sche „Ding an sich“

      „Denn es ist gewiss kein den Sinnen bekannter Gegenstand der Natur, von dem man sagen könnte, man habe ihn durch Beobachtung oder Vernunft jemals erschöpft, wenn es auch ein Wassertropfen, ein Sandkorn oder etwas noch Einfacheres wäre; so unermesslich ist die Mannigfaltigkeit desjenigen, was die Natur in ihren geringsten Teilen einem so eingeschränkten Verstande, wie der menschliche ist, zur Auflösung darbietet“, konstatierte vor über zweihundert Jahren der Philosoph Immanuel Kant und beschrieb damit die nicht überschreitbaren Grenzen unserer Erkenntnisfähigkeit. Dahinter erst liege das „Ding an sich“, wie er es nannte. Kant zufolge können wir diese Grenzen deshalb nicht transzendieren, weil wir subjektive Erkenntnisformen unzulässigerweise auf das zu erkennende Objekt übertragen. Durch diese subjektive Beeinflussung des Erkennenden aber werde, so der Philosoph,