Glauben - Wie geht das?. Matthias Beck

Читать онлайн.
Название Glauben - Wie geht das?
Автор произведения Matthias Beck
Жанр Религия: прочее
Серия
Издательство Религия: прочее
Год выпуска 0
isbn 9783990401989



Скачать книгу

mit dem Menschen kann nur ein Wesen, das mindestens die „Ausstattung“ des Menschen hat: Es muss Geist, Vernunft, Verstand und möglichst auch Gefühl und Gespür haben. Es müsste ein personales Gegenüber sein, das von sich selbst sagen kann, welche Eigenschaften es besitzt. Es müsste sich in einem ersten Schritt dem Menschen zeigen und bekannt geben, dass es da ist und als personales Gegenüber in Erscheinung tritt. Zweitens müsste es über das Bekenntnis seines Daseins hinaus auch etwas über sein So-sein aussagen, nämlich wie es ist, ob es gut oder böse, barmherzig oder unbarmherzig, liebend oder strafend ist. Es müsste schrittweise sein Innerstes preisgeben. Es müsste sich offenbaren. Sonst wären es wieder nur menschliche Projektionen.

      Wenn man die Frage stellt, ob dieses Absolute abstrakt oder konkret, implizit oder explizit ist, ob es sächlich ist wie ein Schicksal, personal mit bestimmten Eigenschaften oder apersonal, dann kann man zunächst auf die Sprache rekurrieren, denn diese stellt nur eine gewisse Auswahl zur Verfügung: Ich, du, er, sie, wir, ihr, sie sind personale Pronomina, die für Personen stehen, „es“ ist ein sächliches Pronomen wie zum Beispiel „das Schicksal“. Das Apersonale als dritte Möglichkeit könnte man als die Öffnung auf das nichtthematisierte Personale bezeichnen. Wenn man in den Meditationen des Zen-Buddhismus leer werden soll und sich gerade nicht einem Du zuwendet wie in einem Gebet (das auch sehr still und ohne Worte sein kann), dann kann dieses Leer-Werden Raum schaffen für das Sein und eine unthematisierte Öffnung darstellen auf ein nicht thematisiertes „Du“.

      An dieser Stelle kann der Mensch sich offensichtlich entscheiden, was ihm plausibel erscheint. Er kann an eine Schicksalsmacht glauben, die er nicht beeinflussen kann und die alles Mögliche bewirken kann in dieser Welt, Gutes und Böses, Krankheit und Gesundheit, Glück und Unglück, Heil oder Unheil. Er kann sich auch durch das Leer-Werden einem apersonalen Sein öffnen, das da anwesend ist und alles durchwirkt. Er kann dieses Sein und den Grund allen Seins aber auch mit einer personalen Macht verbinden, die gut ist. Ob es diese Macht gibt, ob sie gut ist und ob sie die Wahrheit ist, kann man indirekt erschließen, letztlich wissen kann man es erst, wenn diese „Macht“ sich selbst dem Menschen zeigt. Das Gute müsste sich als der Gute in der Welt zeigen.

      So entwickelt sich hier ein Dialog: Der Mensch kann seine Plausibilitäten durchgehen: ob es plausibler ist, an irgendein höheres unberechenbares Wesen zu glauben, das hinter allem steht, an ein Du, das denkt und einen Willen hat – oder an etwas Apersonales oder an ein Nichts. Und wenn er sich entschließt, zum Beispiel an ein personales Du zu glauben, das es gut mit dem Menschen meint, das seiner Sehnsucht nach Liebe, Geborgenheit, Sinnfindung und Ewigkeit entgegenkommt, dann kommt es offensichtlich nur noch darauf an, dass dieses Du, das der Mensch sich erhofft, ihm auch tatsächlich aus der göttlichen Welt entgegenkommt. Dieses letzte Gute müsste alles innerweltlich Gute übersteigen und Urheber all des Guten sein.

      Selbst wenn der Mensch an nichts glaubt, wird er sich doch schwertun, zu leugnen, dass – wie schon ausgeführt – man sich am Positiven orientieren muss, um das Negative als negativ zu erkennen, und am Absoluten, um das Relative als relativ zu verstehen. So zeigen sich schon aus einer innerweltlichen Logik bestimmte Asymmetrien und legen bestimmte Attitüden des Absoluten nahe. Es gibt schon in dieser Welt Hinweise, dass nicht alles gleich gültig ist, dass es Unterschiede und Orientierungsmöglichkeiten für eine Ausrichtung in der Welt gibt. Wenn der Mensch auf der Suche nach dem Absoluten ist, legen sich Werte wie Wahrheit und Güte, Lebensbejahung und Sinnfindung, Logik des Geistes sowie Personalität mit Vernunft und Willen für dieses Absolute nahe. Inwieweit ein apersonales Denken das personale überragen kann, soll hier nicht diskutiert werden. So verhält sich der Mensch in allem, was er tut, irgendwie zu diesem absoluten Horizont des Seins unabhängig davon, ob dieser Horizont sich seinerseits zeigt.

      Dieser unthematische Horizont, der immer da ist, muss eigens thematisiert werden. Damit tut der Mensch sich schwer, denn seine Weltinterpretation ist heutzutage weithin eine naturwissenschaftliche. Aus dieser „Welterklärungsformel“ versucht er sein Leben zu verstehen. Und zu dieser Welterklärung gehört manchmal auch die Frage nach Gott. Aber hier wird es schon schief. Denn hier wird Gott zu etwas Zusätzlichem zur Welt gemacht statt ihn zu sehen als denjenigen, der in allem anwesend ist. Er ist in allem anwesend „da“ und gleichzeitig jenseits von allem, er ist der Grund von allem. So muss der Mensch vor allem an seinen Gottesbildern arbeiten. Denn den Gott, den es in der Vorstellung des Menschen „gibt“, den gibt es womöglich gar nicht. Wenn es Gott als Gott gibt, dann ist dieser anders als die Vorstellung des Menschen von ihm. Die Projektion des Menschen aus seiner Perspektive in Gott hinein kann immer nur zu einem „Übermenschen“ führen, niemals aber zu dem Gott als Schöpfer, Grund und innerste Mitte dieses unglaublichen Universums vorstoßen.

      So wie sich Gottesbilder in der Geschichte immer wieder ändern, so ändern sich auch die Gottesvorstellungen in der Biografie des Einzelnen. Man müsste herausarbeiten, in welchen Lebensphasen welche Gottesbilder auftauchen. Vielleicht sind es zunächst ganz kindliche und naive Gottesbilder, dann kritische Hinterfragungen, dann unbewusste und unreflektierte Übernahmen von Gottesvorstellungen der Eltern, aus der Tradition, schließlich vielleicht durchreflektierte und für sinnvoll erachtete, aufgeklärte Gottesvorstellungen, oder auch totale Ablehnungen. Bei Letzterem muss man fragen, welcher Gott oder welche Gottesvorstellungen eigentlich abgelehnt werden. Meistens wird ein Gott abgelehnt, den der Mensch sich selbst gemacht hat und den es gar nicht gibt. Oft gibt es auch die Haltung des „Ich weiß nicht“ (Agnostiker) oder des „Es-ist-mir-egal“ bis hin zu der Äußerung, dass Menschen sagen: „Wir glauben nicht an Gott, wir sind auch keine Atheisten, wir sind einfach ganz normal.“

      9. „Falsche“ und „richtige“ Gottesvorstellungen

      So kann man zusammenfassend noch einmal nach richtigen und falschen Gottesbildern Ausschau halten. Es war von den Projektionen des Menschen die Rede, dass er sich einen Gott nach seinem Bild entwirft. Dasselbe Phänomen gibt es auch zwischen Menschen. Der Mensch macht sich ein Bild vom anderen. Wenn er sich aber ein Bild vom anderen macht, kann er diesen anderen nie als den wirklich anderen erfassen. Er wird ihn immer nur so sehen, wie er ihn sich durch seine eigene Brille vorstellt. So findet keine wirkliche Begegnung statt. Begegnung heißt, sich immer wieder vorgefertigte Bilder korrigieren zu lassen, dadurch seine Vorstellungen vom anderen abzubauen und den anderen langsam als den wirklich anderen zu erkennen.

      Diese Projektionen geschehen auch im Verhältnis des Menschen zu Gott. Mit den vorgefertigten Gottesbildern wird man aber Gott nie als Gott erkennen lernen. Ein gute religiöse Erziehung sollte darauf abzielen, beide Projektionen im Laufe des Lebens langsam abzubauen: die Projektion des eigenen Bildes in den anderen Menschen hinein, das dem anderen als dem anderen niemals gerecht werden kann, und die Projektion in Gott hinein, die nie Gott als Gott erreicht und oft nur einen Götzen hinterlässt. Daher heißt es schon im Alten Testament: „Du sollst dir kein Bild von Gott machen.“ (Ex 20, 4) Und an anderer Stelle: „Meine Gedanken sind nicht eure Gedanken und eure Wege sind nicht meine Wege“ (Jes 55, 8), und: „So hoch der Himmel über der Erde ist, so hoch erhaben sind meine Wege über eure Wege und meine Gedanken über eure Gedanken.“ (Jes 55, 9)

      Ohne Bilder kommt der Mensch aber nicht aus, er lebt in Bildern und Vorstellungen. Es ist daher eine lebenslange Aufgabe, sich immer wieder von diesen Bildern zu verabschieden: Man muss sich die Bilder vom Mitmenschen, aber auch von Gott immer wieder korrigieren lassen. Max Frisch hat herausgearbeitet, dass es das Ende der Liebe ist, wenn der Mensch sich ein Bild vom anderen Menschen macht und ihn in dem Sinne „feststellt“. Die Feststellung: „So bist du eben“, ist das Ende der Liebe.13 Es ist – meint Frisch –, gerade so, dass wir von dem Menschen, den wir lieben, am wenigsten sagen können, wer er ist. Wir lieben ihn einfach. Das Ende der Liebe ist dann gekommen, wenn wir meinen, sagen zu können, wer der andere ist: So bist du eben. Ich bin mit dir fertig.

      Liebe hat also etwas mit der Schwebe des Lebendigen zu tun, mit dem Nicht-ganz-fassen-Können des anderen Menschen, dem Nicht-ganz-erfassen-Können von sich selbst und letztlich auch mit dem nicht Erfassen-Können des Göttlichen. Diese Schwebe des Lebendigen muss man aushalten lernen. Es ist geradezu wie das Gehen oder Schweben über das Wasser ohne feste Haltestricke. Diese Schwebe hat etwas zu tun mit der Dynamik des Lebens, mit dem Sich-Entwickeln, dem Weiter-Streben, dem Sich-Übersteigen,