Eine Freundschaft aus dem Schicksal geboren. Jutta Andresen

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Название Eine Freundschaft aus dem Schicksal geboren
Автор произведения Jutta Andresen
Жанр Биографии и Мемуары
Серия
Издательство Биографии и Мемуары
Год выпуска 0
isbn 9783961456307



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wünschte, der junge Mann würde vor mir stehen, und ich könnte ihn in den Arm nehmen. Es geht ihm nicht gut, aber er würde mir in Kürze mehr Details zukommen lassen. Ich schreibe ihm zurück und zeige mein Verständnis. Daraufhin erfahre ich, dass der Fahrer ein langjähriger Freund von ihm ist. Vorsichtig frage ich nach seinem Namen. Andy schreibt ihn mir und schon wieder habe ich das mulmige Gefühl im Magen, und mein ganzer Körper zittert im Inneren, als wenn ich hohes Fieber habe.

      Wer ist er?

      Was ist er für ein Mensch?

      Durch wen ist meine Tochter ums Leben gekommen?

      Ich bin hin und her gerissen, ich möchte alles wissen … oder auch nicht. Es ist alles so schwer!

      Lieber Gott was hast du mir da aufgebürdet?

      Wie soll ich damit klarkommen? Was soll ich tun? Wie geht es weiter? Du hast mir mein Liebstes genommen! WARUM? Wie soll ich an dich glauben?

      Und, Tassi, wo bist Du?

      Wie würdest du handeln?

      Du warst ein ganz besonderer Mensch. Wir waren nicht immer einer Meinung, aber du fehlst mir so sehr. Tag und Nacht, einfach immer.

      Ich stehe nun hier mit meiner Schubkarre, voll beladen – und es ist so schwer sie anzuheben.

      Den Zettel mit dem Namen des Fahrers lege ich erst einmal beiseite. Ich habe heute die Entscheidung getroffen, wieder an meinen Arbeitsplatz zurück zu kehren. Allerdings möchte ich nicht mehr in der Notfallaufnahme arbeiten, und es wurde mir ein Platz in der stationären Aufnahme angeboten. Dort habe ich einen eigenen Bereich und kann auch einmal durchatmen, wenn ich es brauche.

      Es ist eine schwere Zeit, vor ein paar Tagen stand ich auf einer Brücke und überlegte zu springen. Ja, den Gedanken hatte ich. Ich habe aber dann an meine Familie gedacht, und an die Worte von Tassi, die sie in meinem Traum zu mir sagte: Dass ich erst noch Aufgaben zu erledigen habe, bevor sie mich abholt! Alles das hat mich davon abgehalten.

      Heute ist mein erster Arbeitstag nach 6 Wochen Auszeit.

      Wie werden meine Kollegen reagieren?

      Werde ich die Tränen zurückhalten können?

      In der Klinik angekommen, ziehe ich in der Umkleidekabine meinen Kittel an, und schon sprechen mich die ersten Kolleginnen an. Viele stumme Umarmungen begleiten meinen Tag, bei denen mir immer wieder die Tränen in die Augen schießen. Es ist so schwer, doch das Mitgefühl anderer, lässt mich alles überstehen. Auch begegne ich Menschen, die mir aus dem Weg gehen, weil sie mit der Situation überfordert sind. Doch dafür habe ich gelernt, Verständnis aufzubringen. Ich verstehe und fange an zu begreifen, dass es nicht persönlich gemeint ist. Somit fange ich an, meinen persönlichen Umkreis zu selektieren. Wer wirklich Empathie hat, oder wer einfach nur neugierig ist, um das Neueste weiterzugeben.

      „Wie viele Kinder haben Sie? Drei? Ach, dann haben sie ja noch zwei!“

      Viele Aussagen verletzen und tun weh, aber damit werden bestimmt viele Trauernde ebenso konfrontiert.

      [Kapitel 11]

      Der Alltag hat mich wieder voll im Griff. Ich habe meine ehrenamtliche Tätigkeit als Sterbebegleitung im Hospiz wieder aufgenommen. Das lenkt mich zwar ab, aber die Trauer will einfach nicht gehen und ich fange an, mit der Achterbahn meiner Gefühle zu leben. Auf und ab! Ich kann mich selber nicht einschätzen, aber ich erlaube mir manchmal, meine Traurigkeit durch ein Lächeln zu ersetzen. Dann übermannt mich aber so der Schmerz, dass ich es nicht aushalten kann.

      Zu Hause steht das Foto von Tassi, zusammen mit einer Rose und einer Kerze. Es ist mein Zufluchtsort, an dem ich mit ihr spreche, ihr meinen Tagesablauf berichte und sie darum bitte, mich zu begleiten. Ich kann sie nicht umarmen, aber vor diesem Gedenkplatz finde ich meine Kraft und meine innere Ruhe.

      Inzwischen sind 5 Monate vergangen, als mir meine liebe Kollegin Kirstin von einem englischen Medium erzählte. Sie hatte tragischerweise vor einigen Jahren auch ihren Sohn verloren und kann meine Situation deshalb gut verstehen. Gebannt hörte ich ihr zu und für mich war sofort klar, Kontakt zu ihm aufzunehmen. Sein Name ist Billy Cook.

      Wenn man trauert, versucht man nach jedem Strohhalm zu greifen, der Hoffnung gibt. Deshalb fange ich aufgeregt an, ihn über eine Suchmaschine ausfindig zu machen und ich habe Glück. Ich schreibe ihn an und frage nach einer Sitzung. Natürlich wäre ich auch bereit nach Großbritannien zu fliegen! Er gibt mir eine Telefonnummer in Berlin, denn dort ist er zwei Mal im Jahr.

      Ich stelle mir die Frage: Gibt es ein Leben danach?

      Hat ein Mensch wirklich die Fähigkeit, mit Verstorbenen zu sprechen? Wie funktioniert das?

      Muss man daran glauben?

      Viele Fragen begleiten mich, aber es ist mir egal, und ich möchte dort unbedingt hin! Ich bekomme einen Termin in 3 Wochen und bin wahnsinnig gespannt. Immer mehr fange ich an, mich mit dem Gedanken anzufreunden, dass es ein Leben danach gibt, nur bin ich noch sehr skeptisch.

      Alles ist noch durcheinander, und der Zettel mit dem Namen des jungen Fahrers liegt noch immer auf dem Tisch. Ich traue mich aber immer noch nicht, ihn auf Facebook zu suchen. Ich ertappe mich dabei, dass meine Gedanken ihn kurz streifen, und ich mich frage, wie es ihm wohl geht. Ich habe weiterhin Verbindung zu Andy, und er schickt mir die letzten Bilder von Tassi in Australien. Sie wirkt so glücklich. Es tut so weh. Detaillierte Informationen habe ich immer noch nicht, aber ich habe Kontakt mit Michael Smith und der Staatsanwaltschaft in Lismore aufgenommen. Dan, der Fahrer des Autos, ist angeklagt wegen fahrlässiger Tötung und Trunkenheit am Steuer und die voraussichtliche Gefängnisdauer ist auf 10 Jahre angesetzt.

      Meine Leben hat sich verändert. Es gibt nur ein Leben vor dem 22. Dezember 2013 und ein Leben danach.

      Es muss weiter gehen, nur wie?

      [Kapitel 12]

      Heute ist der 23. Mai 2014 und wir sind auf dem Weg nach Berlin zum Medium Billy Cook. Ja, wir haben es geschafft, und ich habe von der Arbeit frei bekommen. Mein Hans begleitet mich, um mich zu unterstützen. Noch immer kann ich nicht im Geringsten erahnen, was mich heute erwartet. Viel zu früh erreichen wir das gebuchte Hotel, unser Termin ist erst um 17.00 Uhr. Ich gucke etwas ungläubig, als ich den Namen des Rezeptionisten erblicke.

      Er heißt Herr Engel.

      Ich muss lächeln.

      Danke, Tassi, Du bist da!

      Ich bin so aufgeregt, so dass mir übel ist.

      Wird die Begegnung heute für mich der Beginn sein, einen Glauben an die geistige Welt zu entwickeln?

      Alles, was ich habe, sind die Bilder, die ich an Tassi‘s Todestag herausgesucht habe, meinen so realen Traum von ihr, meine Offenheit, meinen Willen zu glauben, und natürlich Herrn Engel. Jeden Abend bevor ich die Augen schließe, bitte ich Gott darum, Zeichen erhalten zu dürfen.

      Wie wird mein Besuch heute enden?

      Ich kann es nicht sagen.

      Es ist soweit, ich drücke mit klopfenden Herzen auf die Klingel und halte die Hand meines Mannes ganz fest. Die Aufregung löst sich ein wenig, als wir sehr freundlich empfangen werden. Ich werde gefragt, ob ich jemanden zur Übersetzung benötige, da Billy Cook nur Englisch spreche. Ich habe zwar gute Englischkenntnisse, aber da ich so aufgeregt bin, bejahe ich die Frage. Wir werden in einen kleinen Raum geführt, und da sitzt er nun: Ein sympathischer älterer Herr, der freundlich lächelt. Er klärt mich auf, dass er nun Verbindung mit der geistigen Welt aufnimmt. Er wird über die Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft sprechen. Er möchte nicht, dass ich ihm irgendwelche Anhaltspunkte über mich oder verstorbene Seelen gebe. Ich nicke lediglich, denn sprechen kann ich sowieso nicht. Meine Stimme versagt.

      Ich kann nur sagen, ich gehe durch ein Wechselbad der Gefühle. Ich kann es kaum begreifen. Dieser Mann erzählt von meiner Tochter, als wenn er sie gekannt hätte. Er erzählt alle Details, wie und wo sie ums Leben gekommen ist. Er spricht über meinen Traum und beschreibt mir die Kleidung,