Eine Freundschaft aus dem Schicksal geboren. Jutta Andresen

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Название Eine Freundschaft aus dem Schicksal geboren
Автор произведения Jutta Andresen
Жанр Биографии и Мемуары
Серия
Издательство Биографии и Мемуары
Год выпуска 0
isbn 9783961456307



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der Pastor meiner Gemeinde kommt, verabschiedeten sich die beiden jungen Polizisten, sie sind bestimmt erleichtert. Noch immer kann ich den Moment nicht begreifen und der Pastor fragt, ob wir das „Vater unser“ beten sollten. Ich willige ein. Eine große Hilfe ist er nicht, auch fragt er, ob er am kommenden Abend nochmals vorbeischauen solle, es sei schließlich Weihnachten.

      Nein, meine Tassi ist nicht weg!

      Sie ist noch da und alles ist nur ein wirklich böser Traum!

      Bitte lass mich wieder aufwachen!

      Hans fährt mich in die Klinik, die Notfallaufnahme dort ist mein zweites Zuhause. Die Kollegen vom Nachtdienst kümmern sich liebevoll um mich, die Umarmungen tun so gut. Ich werde gefragt, ob ich eine Nacht dortbleiben wolle und sie geben mir eine Beruhigungstablette. Da ich ein absoluter Medikamentengegner bin, wirkt diese sofort, und ich bekomme alles nur noch durch eine Nebelwand mit. Mein Kopf ist die reinste Leere und ich kann nicht begreifen, dass meine kleine Tochter nie wiederkommen wird.

      Lieber Gott, ich habe im Leben aus Unwissenheit wirklich nicht alles richtig gemacht, und es tut mir aufrichtig leid.

      Aber warum bestrafst du mich so?

      WARUM?

      [Kapitel 3]

      Die Nacht verbringe ich noch unter der Wirkung der Tablette, zusammengekauert in den Armen meines Mannes. Ich weiß nicht, ob ich geschlafen habe. Ich fühle mich unendlich leer, voller Trauer und Schmerz.

      Heute ist Heiligabend,und meine Tassi ist nicht da! Ich kann es nicht begreifen! Ich habe kaum Details, wie der Unfall passiert ist, alles ist ungewiss. Die Ungewissheit macht mich noch hilfloser fühlen. Hans findet im Internet einen Artikel über den Unfall. Es geschah in Lismore, in New South Wales. Eine deutsche Studentin kam dabei ums Leben.

      Das Bild meiner Tassi.

      Es ist Abend und die Familie kommt zusammen. Es wird gegessen und Weihnachtslieder werden gesungen. Es herrscht eine fast unerträgliche Stille. Ich habe ein Bild meiner Tochter auf einen kleinen Tisch mit Blumen gestellt. Schon heute kamen Blumensträuße von ihren Freundinnen, die Blumen umrahmen ihr Bild.

      Der Pastor kommt wie versprochen, und ich zeige ihm meinen kleinen Gedenktisch. Er dreht sich kaum um und betet mit uns gemeinsam das „Vater unser“. Er erzählt, dass es heute bei ihm Fondue gebe und verabschiedete sich mit den Worten: „Ich habe den Eindruck, Sie sind eine starke Frau. Sie schaffen das schon!“

      Bevor die Familie geht, stehen wir umgefasst und still im Kreis zusammen. Noch heute gibt mir dieser Moment, dieses symbolische Bild, ganz viel Kraft.

      Tassi, wo bist du jetzt?

      Siehst du uns?

      Warum musstest du so früh von uns gehen?

      Du warst doch erst 25 Jahre alt!

      [Kapitel 4]

      Es ist der erste Weihnachtsfeiertag. Hans und ich fangen an, unsere Weihnachtslandschaft und unser aller Weihnachtssachen wegzupacken. Nie wieder möchte ich Weihnachten feiern! Noch immer kann ich das alles nicht begreifen.

      Bisher haben wir nur den Artikel aus der australischen Lokalzeitung im Internet gefunden und wissen, dass der Unfall in einem Nationalpark passiert ist. Das deutsche Konsulat ist über die Weihnachtsfeiertage nicht besetzt, weshalb wir auch dort keine weiteren Informationen erhalten. Tassi‘s Bruder Markus bietet seine Unterstützung an, was mir eine große Hilfe ist, denn ich bin zu aufgewühlt und aufgeregt, um etwas in Erfahrung zu bringen. Markus wohnt mit seiner Familie in Baden-Württemberg, weshalb wir nur telefonisch kommunizieren können.

      Durch seine Unterstützung gelingt es uns, mehr Informationen über das Unglück heraus zu bekommen: Involviert waren drei junge Männer und meine Tochter. Alle vier waren aufgebrochen, um sich auf einer Plattform eines Nationalparks einen Sonnenuntergang anzusehen.

      Der Weg führte durch den Busch mit nicht begradigten, unebenen Wegen. Unter Alkoholeinfluss des Fahrers, geriet das Auto auf dem Rückweg am Wegesrand ins Schleudern und überschlug sich. Tassi saß mit ihrem Freund auf dem hinteren, offenen Teil des Pickup Trucks, wurde heruntergeschleudert und war sofort tot. Ich habe so viele Bilder vor Augen, die immer wieder auftauchen, und ich nicht einordnen kann.

      Das letzte Bild von Tassi vor ihrem Tod.

      Markus findet den Namen von Tassi‘s Freund heraus, und ich kontaktiere ihn sofort mit klopfenden Herzen. Auch sein Herz sei gebrochen, berichtet er, aber er steht mir per E-Mail Rede und Antwort. Ich habe so viele unbeantwortete Fragen, und es tut so weh. Man funktioniert nur noch, anders kann man es nicht nennen und ich glaube, dieses Gefühl wird Jeder nachvollziehen können, der bereits einen geliebten Menschen verloren hat.

      Der Jahreswechsel steht bevor. Meine Schwester Hannelore ist gekommen und bleibt bei uns. Es ist uns eine große Hilfe. Der Silvesterabend verläuft sehr schleppend, wir sind alle verstummt, und ich fühle den Schmerz so sehr, dass ich denke, ich kann ihn nicht mehr ertragen. Ich finde mich knieend auf dem Fußboden wieder, in Tränen aufgelöst, und weiß nicht, wohin mit meinem Schmerz. Was mich weiter am Leben lässt, sind meine Familie, meine Freunde und meine Kolleginnen. Sie bringen mich und meine Seele dazu, weiter zu gehen.

      [Kapitel 5]

      Ich bin glücklich, ich habe Hoffnung, und ich bin so dankbar.

      Ich wache mit einem Lächeln auf, denn letzte Nacht habe ich von meiner Tochter geträumt. Der Traum war so real, dass ich noch gar nicht glauben kann, dass es nur ein Traum gewesen sein soll. Sie kam mir im Wohnzimmer entgegen, sie trug Jeans und ein weißes T-Shirt, und sie sah glücklich aus. Ich fragte, wie es ihr geht und sie sagte mir: „Es geht mir sehr gut!“ Ich fragte, ob sie mich abholen würde, wenn meine Zeit hier auf der Erde vorbei ist. Ihre Antwort war: „Ja, aber du hast noch Aufgaben zu erfüllen!“ Ich wollte sie umarmen, aber ich konnte durch sie durchgehen. Das war der Moment, in dem ich anfing zu glauben.

      Neben meiner Tätigkeit in der Klinik, arbeite ich ehrenamtlich in einem Hospiz in der Sterbebegleitung. Erst neulich hat mir ein Patient erzählt, dass er dort oben jemanden sehe, der auf ihn warte, und er bat mich, ihn nicht für verrückt zu erklären. Und nun fiel es mir wie Schuppen von den Augen.

      Warum suchte ich das Bild von Yvonne und meiner Tochter heraus? Ich tat es intuitiv.

      Hat es eine Bedeutung?

      Hat Yvonne sie abgeholt?

      Was war mit dem zweiten Bild von ihrem langjährigen Freund?

      Ich habe stapelweise Fotos von den Beiden zusammen, nur was hat es mit genau diesem Bild auf sich?

      Ich werde es herausfinden!

      [Kapitel 6]

      Ich beginne, an mir zu zweifeln, aber auch, wieder ganz fest zu glauben.

      Was gibt es zwischen Himmel und Erde, was man nicht erklären kann? Gibt es ein Leben danach?

      Sieht man sich wieder?

      Gibt es Zeichen?

      Ich spreche mit Nicolas, dem besagten Schulfreund von Tassi, und er bestätigt mir, dass er genau dieses Bild, welches ich herausgesucht habe, zuhause im Rahmen stehen hat. Tassi schenkte es ihm zum 10. Geburtstag. Ich kann es kaum glauben!

      Ich möchte mehr herausfinden.

      Im Internet finde ich eine Internetseite aus den USA, die dort „AFTER DEATH KOMMUNUCATION AND PRAYERWAVES“ zu Deutsch „Kommunikation nach dem Tod und Gebete“ heißt. Erstellt wurde sie von einer Autorin und Schriftstellerin mit dem Namen Christine Duminiak. Ich abonniere sie und verschlinge alle Beiträge, um mehr zu erfahren. Außerdem spendet es mir sehr viel Trost.

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