Eine Freundschaft aus dem Schicksal geboren. Jutta Andresen

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Название Eine Freundschaft aus dem Schicksal geboren
Автор произведения Jutta Andresen
Жанр Биографии и Мемуары
Серия
Издательство Биографии и Мемуары
Год выпуска 0
isbn 9783961456307



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habe ich viele Bücher gelesen, ganz besonders von der Sterbeforscherin Dr. Kübler-Ross. Eigentlich bin ich ein Mensch, der nicht so richtig an das Übersinnliche glaubt. Wobei manch einer meiner Mitmenschen mich als etwas speziell betrachtet. Eine Kollegin meinte einmal, es wäre seltsam, dass ich nicht böse oder laut sein könne. Ich solle ihr zeigen, wie man das immer alles weg atme. Ich hatte etwas zum Nachdenken, und im Endeffekt musste ich über mich selber lachen.

      Noch immer ist mein Kopf voll von Gedanken, noch immer ungläubig, das Geschehene zu begreifen. Ich habe das Gefühl, in einer Achterbahn zu sitzen, es geht auf und ab, und man kann sich selbst nicht einschätzen. Die Gefühle und die Erinnerungen, verbunden mit dem Schmerz, schlagen wie große Wellen auf mich ein. So lasse ich vorübergehend meine Recherchen von übersinnlichen Aktivitäten ruhen.

      Die Familie kommt wieder zusammen, und wir setzen gemeinsam eine Traueranzeige für die Zeitung auf. Außerdem planen wir eine Trauerfeier, die für den 10. Januar angesetzt ist. Noch immer habe ich keine genaueren Informationen aus Australien erhalten. Ich möchte alles wissen, doch ich erstarre in Hilflosigkeit. Verzweifelt schreibe ich eine E-Mail an die Polizei in North South Wales, sitze stundenlang vor meinem Smartphone und vergesse dabei, dass der Zeitunterschied zwischen den beiden Kontinenten 9 Stunden beträgt.

      Als ich endlich eine Antwort von Michael Smith, dem Polizisten, der als erster am Unglücksort eintraf, erhalte, bekomme ich nähere Einzelheiten und zittere am ganzen Körper.

      [Kapitel 7]

      Wie in Trance lese ich die E-Mail, und ich habe sofort Bilder im Kopf, die wie ein Film ablaufen. Die jungen Leute sahen einen Sonnenuntergang in einem Naturschutzpark. Sie waren fröhlich und genossen diesen besonderen Moment. Auf der Rückfahrt geschah es, der Truck geriet ins Schleudern.

      Der Fahrer hatte getrunken.

      Meine Gefühle überschlagen sich.

      Ein anderer, unbekannter, fremder Mensch hatte meiner Tochter das Leben genommen!

      Ich fühle Wut, Verzweiflung und ich denke, die Welt bleibt stehen. Der Gedanke, dass meine Tochter irgendwo in Australien tot in einem Leichenschauhaus liegt, alleine und ohne, dass ich bei ihr sein kann, ist kaum auszuhalten.

      Diese Bilder, wie bekomme ich diese Bilder aus dem Kopf?

      Zur eindeutigen Identifizierung meiner Tochter bittet die Polizei um Bilder ihres Gebisses von ihrem Zahnarzt in Flensburg. Da Tassi vor einigen Jahren Stammzellen für einen Familienvater in Bulgarien gespendet hat, bekommen wir zu wissen, dass das benötigte Material in den USA ist, da auch dort noch ein genetischer Zwilling gefunden wurde.

      Ich würde alles geben, um meine Tochter wieder zurück zu holen, doch wie?

      Ich weiß es nicht. Alles, was ich machen kann, ist beten und ich halte an meinem Traum fest, in dem sie mich besuchte.

      Wo ist sie?

      Sieht sie mich?

      Bitte, Tassi, gebe mir Zeichen!

      Weißt Du noch, wie wir uns immer wieder gegenseitig aufgemuntert haben? Wir haben unsere Probleme immer auf eine symbolische Schubkarre gepackt, und diese dann mit vereinten Kräften angehoben. Das hat immer geholfen, und wir konnten hinterher wieder lachen. Ich habe gerade alles auf die Karre gepackt und versucht sie anzuheben, aber ich habe nicht die Kraft dazu, ich schaffe es nicht!

      [Kapitel 8]

      Heute ist der 10. Januar 2014, der Tag der Trauerfeier und es regnet. Es wird noch Wochen dauern, ehe ihre Asche in der Urne in ihrer Heimat ankommt, weshalb wir die Trauerfeier ohne ihre Asche vollziehen.

      Ich kann nicht so lange warten, ich muss jetzt Abschied nehmen!

      Es sind viele Menschen gekommen, die Dich, liebe Tassi, geliebt haben, und jeder hat eine einzelne Blume mitgebracht.

      Wir haben ihr Bild aufgestellt und ihren Lieblingsteddy Hugo auf einen Stuhl gesetzt. Sie ist mir unendlich nah, ich bete, ich weine und ich versuche, die Fassung zu bewahren.

      Die Trauerfeier.

      Wir haben mit Deinen Geschwistern Lieder herausgesucht und ich hoffe, dass sie Dir gefallen!

      Martin, ein Freund der Familie, singt und spielt auf der Gitarre „Candle in the Wind“. Die Kerzen flackern, und ich spüre, Du bist da, aber doch nicht greifbar.

      Wir verlassen die Kirche, plötzlich reißt der Himmel auf, und die Sonne kommt für einen kleinen Augenblick hervor.

      Jaaaaa, Du bist da, und Du siehst uns!

      Danke für das Zeichen!

      Wir lassen noch bunte Luftballons für Dich steigen, und als diese am Himmel verschwinden, bin ich mir ganz sicher, dass sie dich erreichen.

      Hinter dem Horizont geht es weiter.

      Nachdem die Luftballons aus unserer Sichtweite verschwunden sind, überreicht mir meine Enkeltochter Rebecca einen Umschlag mit einer Karte. In den letzten 14 Tagen hat sie gemeinsam mit meiner Enkeltochter Fabienne Geld gesammelt, damit unsere Kosten gedeckt werden können. Es berührt mein Herz so sehr, dass es mich sprachlos macht, und die Tränen rinnen.

      Die Urne.

      [Kapitel 9]

      Das Beerdigungsinstitut benachrichtigt uns, dass die Asche mit der Urne aus Australien angekommen ist, und sie bitten mich zu kommen, denn ich möchte noch einmal ganz alleine Abschied nehmen. Es bricht mir das Herz.

      Inzwischen ist es Ende Januar geworden und ich muss feststellen: Die Welt bleibt nicht stehen, sie dreht sich weiter, ob ich will oder nicht. Ich zünde eine Kerze an und setze mich an den Tisch. Ich fange an, Danksagungen an eine von mir vorgefertigte Liste von Menschen zu schreiben, die mir in der traurigsten Zeit meines Lebens zur Seite gestanden haben und es immer noch tun. Meine Enkeltochter Fabienne hat mir dabei geholfen, das letzte Bild von meiner Tochter auf eine Karte zu übertragen. Ich schreibe alles mit der Hand, nehme aber die Hilfe meiner Enkeltöchter zum Adressenaufschreiben gerne in Anspruch. Mein Herz ist voller Dankbarkeit und ich bin glücklich, dass ich mit meinem kleinen Gruß etwas zurückgeben kann. Es ist so ein wunderbares Gefühl zu erfahren, dass man von anderen getragen wird. Sei es von der Familie, Freunden, Kollegen oder Bekannten. Ich fühle mich in keiner Minute alleine gelassen.

      Mittlerweile bin ich mit der Polizei in Lismore/Australien in Verbindung und erfahre die Namen der Beteiligten an dem tragischen Unfall. Tassi hat mir sehr viel über Andy erzählt, und dass sie sich unsterblich in ihn verliebt habe. Nun habe ich den Namen, es fühlt sich für mich an wie ein ganz besonderer Schatz, ein Schlüssel zu dem, was passiert ist. Ich wiederhole den Namen mehrmals. Ich bin aufgeregt, denn Andy war bei ihr, als sie starb. Er hielt ihre Hand, er verbrachte die letzten Wochen mit ihr.

      Jetzt ist er der wichtigste Mensch für mich!

      Ich setze mich an den PC, gebe mit zitternder Hand auf Facebook den Namen ein und finde ihn. Mit klopfendem Herzen schreibe ich ihm. Nicht viel, nur, dass ich Tassi‘s Mutter bin. Es ist mitten in der Nacht in Australien, aber das ist mir völlig egal. In mir ist immer noch die Wut, die Trauer, die Verzweiflung, die Ungewissheit und tausend Fragen.

      Ich starre immer wieder auf den PC, ungeduldig und mit ganz viel Hoffnung, dass ich bald eine Antwort bekomme.

      [Kapitel 10]

      Inzwischen sind ein paar Tage vergangen, und heute erhalte ich die lang ersehnte Antwort von Andy. Ich bin so aufgeregt und hatte eigentlich schon gar nicht mehr daran geglaubt, dass er sich meldet. Es sind sehr bewegende, aufrichtige Worte eines jungen Mannes, der selbst noch unter einem Schock steht. Plötzlich wird mir klar, dass ich nur an mich denke, an meinen Schmerz und an meine Trauer. Ich vergesse alle Menschen um mich herum, die genauso trauern.

      Wie