Название | Paul Guenther und seine Schule in Geithain |
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Автор произведения | Gottfried Senf |
Жанр | Историческая литература |
Серия | |
Издательство | Историческая литература |
Год выпуска | 0 |
isbn | 9783960086444 |
Was waren die Motive des Dreißigjährigen, diesen lebenswichtigen Schritt zu gehen? Zu allen Zeiten sind Deutsche in die USA ausgewandert. „Mehr als fünf Millionen Deutsche brachen allein zu Zeiten der Massenauswanderung zwischen 1820 und 1920 in die USA auf, um ein neues Leben zu beginnen.“
(www.zeit.de/zeit-geschichte/massenauswanderung, 02.02.2016)
Die Zahl der deutschen Auswanderer war in Notzeiten besonders hoch. Die Statistik der Auswanderungszahlen weist in den 1880/90er Jahren ein Minimum aus. So gesehen ist die Auswanderung Paul Guenthers keinesfalls dem Trend entsprechend. Nach der Reichsgründung 1871, in der Zeit, da Deutschland und insbesondere auch Sachsen einem Höhepunkt in der Entwicklung von Wirtschaft, Naturwissenschaft und Technik zustrebten, wanderten relativ wenig Deutsche in die USA aus.
Bild 10a: Von Bremerhaven auf Schnelldampfer SAALE – Baujahr 1886, Besatzung: 190, Passagiere: 974 – nach New York
Ob die Auswanderung ein spontaner oder lange vorbereiteter Schritt war, ob die Eltern die Pläne des Sohnes kannten, ob sie überrascht wurden, ob und wie sie ihn beraten haben – auch diese Fragen sind im Detail noch offen. Ein Hans Bauer (2) schreibt 1925: „Besonders gut kam Paul Guenther in Geithain nicht voran. Und als seine Neigung zum weiblichen Geschlecht eine sogenannte Jugendsünde im Gefolge hatte, wurde er in der kleinen Stadt scheel angesehen. Seine Eltern hielten es für das Beste, wenn der Junge Geithain den Rücken kehrte und versuchte, jenseits des Ozeans ein neues Leben zu beginnen.“ An anderer Stelle heißt es bei Bauer: „Vater und Mutter Guenther konnten zunächst nichts Gutes berichten. Paul hat tüchtig zu kämpfen. Immer von Neuem will er Geld hinübergeschickt haben. Es wird ihm nichts geschenkt. Vielleicht war es doch ein Fehler, dass wir ihn gehen ließen.“ Ob die „scheelen Blicke“ ein Grund für die Auswanderung waren, ist sehr zweifelhaft.
Wahrscheinlicher klingt schon das zweite Zitat, jedenfalls für die allererste Zeit in Dover. Ohne Kenntnis der Landessprache und mit einfacher Volksschulbildung ist der Anfang in völlig neuer Umgebung für niemanden leicht und gleicht in vielem einem „Herumtappen im Nebel“.
Auf der Basis des gegenwärtigen Wissens lassen sich aber einige Gründe angeben, die zusammengenommen letztlich zum Auswanderungsentschluss geführt haben:
1 Guenther war acht Jahre alt, als ein Gotthelf Fischer aus dem Nachbarhaus (später Fleischerei Gleisberg) nach Amerika auswanderte. (29) Zwischen Haus- und Wohnungsnachbarn gab es damals eine wesentlich bessere Kommunikation als heutzutage. Mit Sicherheit tauschte man sich über die Briefe Gotthelfs an die Eltern Fischer aus. Es gab einen relativ häufigen Briefverkehr. Eine Geithainer Verwandte der Fischers (Frieda Berkhan, geb. Fischer) wanderte als junges Mädchen mit ihrer Mutter 1916 zu ihrem Onkel Gotthelf in die USA aus. (30)
2 Auf den hohen Anteil ausländischer Schüler in Limbach, darunter auch aus den USA, wurde oben schon hingewiesen. Das war, zumal für einen Jugendlichen aus der Kleinstadt Geithain, durchaus nichts Selbstverständliches! Offen und neugierig war der Schüler Guenther. Das gemeinsame Lernen mit ausländischen Schülern trug ein Übriges dazu bei, Interesse am Ausland, insbesondere an Amerika, wachzurufen.
3 Die letzten Jahre vor seiner Auswanderung arbeitete Guenther nicht mehr als einfacher Strumpfwirker direkt an der Maschine. Die Bezeichnung „Kaufmann“ im Vermerk des Chemnitzer Meldeamtes (26) sowie die unmittelbare Verbindung zum Textilmaschinenbau (er wohnte im Hause seines Arbeitgebers, des Maschinenbauers Türke) machen seine berufliche Höherentwicklung deutlich. Gut möglich, dass er viele Verkaufsgespräche mit Exporteuren sächsischer Textilmaschinen geführt hatte. Mit 30 Jahren besaß er nach solider Ausbildung auch vielfältige praktische Erfahrungen. Nun fühlte er sich wohl auch sicher für größere Herausforderungen!
4 Eine letzte, aber keinesfalls weniger wichtige Motivation für die Entscheidung, in Amerika sein Glück zu versuchen, waren aber die vielfältigen Beziehungen der Thalheimer zu ihren bereits ab den 1870er Jahren nach New Jersey ausgewanderten Verwandten. Die Familie seines Patensohnes Carl Richard Hahn steht beispielhaft für viele Thalheimer Familien. Zwei Hahn-Brüder, Max und Otto, Onkel des Patensohnes, lebten schon seit 1875 in Dover/N.J. und galten dort als ausgezeichnete Facharbeiter. Sie werden später mit ihrer Erfindung eine wichtige Rolle als Meister in Paul Guenthers Fabriken in Dover spielen. Carl Richard wandert als Achtzehnjähriger 1900 aus. Mutter Ida Auguste zog 1908, nach dem Tode ihres Mannes, mit fünf Kindern zu ihrem ältesten Sohn nach Dover. (27)
1.5 Die ersten Jahre in Dover/N.J.
Die ersten Jahre in der neuen Heimat nach 1890 waren nicht leicht, obwohl Paul Guenther hier Landsleute aus der Chemnitzer Gegend vorfand. Dover/N.J. war damals eine Kleinstadt mit etwa 6.000 Einwohnern. Inzwischen sind Dover und die Nachbarstadt Rockaway fast zusammengewachsen. In Dover allein leben heute rund 15.000 Menschen. Bis New York sind es ca. 60 Kilometer. (10, 12)
Als Paul Guenther nach Dover kam, mietete er sich ein Zimmer im oberen Stockwerk eines Hauses, in dem der Häusermakler Schwarz sein Büro hatte. Das Gebäude, Haus 28–30 North Sussex Street, steht heute noch, natürlich etwas um- und ausgebaut. Seit nunmehr über 100 Jahren ist es im Besitz der Familie Schwarz. Von dem über 90-jährigen Sydney Schwarz erhielt der in Kanada lebende Herr Sommer bei seinem Besuch 1991 in Dover die historische Aufnahme vom alten „Schwarz-Block“. Der Enkel des ersten Herrn Schwarz betreibt heute in dem Haus ebenfalls eine Immobilienfirma. (12)
Bild 10b: Möbliertes Zimmer im Hause des Maklers Schwarz in Dover/N.J.
Bild 10c: Haus des Häusermaklers Schwarz, Aufnahme 1996
Nicht nur die Unterkunft war gesichert. Paul Guenther fand auch Arbeit in seinem Beruf als Strumpfwirker. Und trotzdem könnte es sein, dass ihm der Anfang nicht leicht gefallen ist, weil „ihm nichts geschenkt wird“, wie die Mutter (s. o.) sich geäußert haben soll. Vielleicht haben ihm die Eltern dann und wann doch etwas „Geld hinübergeschickt“. Sicher hat er die erste Zeit als ganz einfacher Strumpfwirker in verschiedenen Fabriken der Gegend um Dover hart gearbeitet. Unglaubwürdig sind Erzählungen, wonach er die verschiedensten Tätigkeiten einschließlich der des Tellerwäschers ausgeübt hat. Das sind Legenden, die sich nachträglich um Leute ranken, die in ihrem Leben einen ungewöhnlichen Aufstieg nahmen.