Zwei Freunde. Liselotte Welskopf-Henrich

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Название Zwei Freunde
Автор произведения Liselotte Welskopf-Henrich
Жанр Историческая литература
Серия
Издательство Историческая литература
Год выпуска 0
isbn 9783957840127



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Hunde.

      Er wartete, bis der Schiffer kam, das Tier fortwies und ihm winkte. Hinter dem grob gekleideten Mann ging auch er in die Kajüte. Es war ein kleiner Raum. Die Frau, die die Wäsche aufgehängt hatte, saß hier; sie stopfte jetzt Strümpfe. In einer kleinen Hängematte schlief ein Kind. Wichmann gab dem Schiffer von seinen Zigaretten, und der nahm sie, legte die Pfeife fort und rauchte das geschenkte Kraut.

      Anuschka saß auf der schmalen Bank bei der Frau. Sie summte ein Lied und fing leise an, fremde Worte zu singen. Niemand sprach ihr dazwischen, bis sie ihr schwermütig-trauriges Lied geendet hatte.

      »So ein Besuch«, sagte der Schiffer dann. »Ich hab’ gedacht, es sind Diebe.«

      »Die wären wohl leiser gekommen.«

      »Ja. Laut genug sind Sie gekommen.« Der Mann musterte Wichmanns guten Anzug und schaute in sein Gesicht. Er wunderte sich wohl, daß der junge Mann nicht so betrunken war, wie er es vermutet hatte. Er tat zwei weitere Züge an der Zigarette. Was wollte ein gut angezogener Mann des Nachts auf einem Kahn?

      Wichmann rauchte auch. Die Frau stopfte weiter. Sie sah bleich aus und krank. Anuschka sang ein neues Lied.

      »Kennst du das?« fragte der Schiffer. »Bist du schon gefahren?«

      »Ich fahre wieder.«

      »Zu welchem gehörst du?«

      »Ich suche einen.«

      »Soso.«

      Wichmann war zumute wie in einem Märchen, wenn Zauberstäbe die Menschen und das Land umwandeln. Was lag für eine unbegreifliche Kraft in diesem mageren Mädchen mit dem grünen Kittel und den hellen Augen. Sie war eine Frau, aber wenn der Mann an sie dachte, dachte er immer ›Mädchen‹. Er zweifelte nicht, daß sie mit dem großen Wanderer, auf dem sie jetzt saßen, fortfahren werde. Sie war eines Tages in die Stadt gekommen, und jetzt mußte sie wieder gehen.

      »So«, sagte der Schiffer nach langer Zeit, als die Frau ein Paar Strümpfe fertig in den Korb legte und seufzte. »Was kannst du arbeiten, Mädchen?«

      »Kochen und waschen, Schiffer. Stopfen und flicken.«

      »So. Da braucht es aber auch Papiere und Kleider.«

      »Das bring’ ich.«

      »Was wir sind, wir fahren in der Frühe um fünf.«

      »Ja.«

      Die Frau sah Anuschka mißtrauisch an. »Warum willst du gehen? Wirst du ein Kind haben? Oder suchen sie dich?«

      »Niemand sucht mich. Ich habe auch kein kleines Kind und werde auch nicht kleines Kind haben.« Anuschka war traurig. »Ich bin nicht von hier, und ich gehe wieder.«

      »Du kannst uns helfen für das Essen. Wenn du mir die Papiere bringst.«

      »Osa, geh – willst du mir die Papiere bringen und die Kleider? Es ist alles in der Kommode.«

      »Kommst du nicht noch einmal mit mir, Anuschka?«

      »Doch. Ich gehe noch einmal mit dir.«

      Der Schiffer brachte die beiden zur Treppe.

      »Du wirst wohl nicht wiederkommen«, sagte er.

      »In einer Stunde, Schiffer, bin ich wieder da.«

      Oskar und Anuschka wanderten ihren Weg am Ufer zurück. Der Mond sah ihnen in den Nacken, und Anuschkas Haare schimmerten durchsichtig. Sie lachte.

      »Ich bin wieder froh, Osa.«

      »Weißt du denn, was du tun willst, wenn ihr die Fahrt beendet habt und der Schiffer schickt dich wieder fort?«

      »Ich weiß es nicht, Osa. Weißt du, wo du bist hergekommen auf diese Welt und wohin du wirst gehen fort aus ihr? Das ist größere Stunde, und du weißt es doch nicht. Alphonse hat mich gebraucht, er braucht mich nicht mehr. Osa, seine Augen haben es gesagt, und ich will wieder gehen. Du mußt an Alphonse denken, Osa, ihn nicht verlassen, er ist gut und liebt eine böse Frau.«

      »Ach, Anuschka, ich liebe Alphonse nicht.«

      »Aber ich will ihn durch dich lieben, Osa, das wirst du spüren. Ich will es versuchen.«

      Anuschka ging zu einer Bank, die unter einem großen Kastanienbaum stand. Es war finster unter dem Dach der breiten Blätter, und Anuschkas Gestalt verschwamm ganz mit dem Schatten.

      »Geh, Osa, ich bitte dich, und hole meine Sachen. Alphonse wird sie dir geben.«

      Der Mann machte sich auf den Weg. Als er vor dem Hause Nr. 27 stand, wußte er noch nicht, ob er träumte oder wachte. Der Buick stand noch vor der großen Haustür. Der Chauffeur las eine Abendzeitung. Die Laternen vertrieben in ihrem kleinen Umkreis das Mondlicht und schienen auf Pflaster und Häuser.

      Wichmann ging langsam die breiten Stufen der Holztreppe hinauf. Als er am Klingelzug gezogen hatte, kam ihm Katja entgegen.

      »Oh, Herr Wichmann sind wiedergekommen. Wo haben Sie Anuschka gelassen?«

      »Anuschka singt leise, Frau Katja, sie sieht die Sterne und weites Land und will eine große Reise tun.«

      Frau Katjas Augen hatten sich erschreckt geweitet. »Bitte … was sagen Sie …«

      »Nichts, wovor Sie sich zu fürchten brauchen, Frau Katja. Wollen Sie so freundlich sein und mir Herrn Musa herausrufen, damit ich mit ihm sprechen kann.«

      »Ich werde es tun.«

      Wichmann wartete auf dem Vorplatz. Er sah die Mäntel übereinanderliegen auf dem Tuch, das Anuschka noch ausgebreitet hatte.

      Marions Mantel lag oben. Als die Zimmertür auf- und zuging, drangen Stimmen in den Korridor heraus. Die Luft war dick geworden von Zigarettenrauch. Eine weiße Hand, die aus dem zierlichen, kunstvoll gestickten Bündchen des schwarzen Ärmels kam, hielt die Teetasse. Katja schien zu sprechen. Die Hand zitterte ein wenig und fing sich wieder.

      Herr Musa kam allein heraus.

      »Sie wünschten mich unter vier Augen zu sprechen, Herr Wichmann?«

      »Was ich zu sagen habe; ist ebenso einfach wie seltsam. Frau Anuschka will auf ein Schiff gehen und fortfahren. Sie bittet um ihre Kleider und ihre Papiere.«

      Hinter den Brillengläsern mit den dunklen Rädern hoben sich die Augenlider.

      »Sie fahren mit ihr, Herr Wichmann?«

      »Nein, Herr Musa. Ich bleibe hier und bin nichts als Frau Anuschkas Bote. Sie geht – in Liebe zu Ihnen.«

      Musas Hände zuckten nervös.

      »Warum ist Anuschka nicht selbst zu mir gekommen?«

      »Ich weiß es nicht, Herr Musa. Sie sitzt auf der Bank am Ufer, unter der Kastanie, und wartet. Sie glaubt, daß Sie frei sein wollen, und geht – aber wenn Sie sie noch lieben und brauchen, so holen Sie Anuschka zurück. Sie liebt Sie immer.«

      Musa ging auf der gestrichenen Diele auf und ab. »Ihre Botschaft ist wirklich seltsam, Herr Wichmann. Wenn ich ein bürgerlicher Mann wäre …«

      »Seien Sie in diesem Augenblick nichts als ein Mensch, Herr Musa, wie Anuschka auch. Weder bürgerlich noch …« – Wichmann sah mit schmerzlichem Spott auf die guten Bügelfalten und dachte an die amerikanischen Zigaretten –››noch proletarisch.«

      Musa war stehengeblieben. Er stand vor dem Haufen der Mäntel, die auf dem Boden lagen, und vielleicht sah er Marions schwarzseidenen Mantel mit Bewußtsein. Kannte er ihn? Er wandte sich brüsk um. »Einen Augenblick bitte, Herr Wichmann. Meine Lebensauffassung erlaubt nicht, irgend jemanden in Fesseln zu legen – ich gebe Anuschka frei – sagen Sie ihr das – warten Sie nur kurze Zeit. Sie werden ihre Kleider und ihre Papiere bekommen.«

      »Es ist viel, worauf Sie verzichten, Herr Musa.«

      »Darüber bedarf ich nicht Ihrer Belehrung. Eben weil ich Anuschka kenne – weiß ich, daß ein Zugvogel im Käfig sterben müßte.