24 kurze Albträume. Группа авторов

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Название 24 kurze Albträume
Автор произведения Группа авторов
Жанр Языкознание
Серия
Издательство Языкознание
Год выпуска 0
isbn 9783957770400



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zu ihm herüber. Seine Frau erhob sich schweigend, strich ihrer Tochter liebevoll über das Haar und ging zum Fenster.

      »Es sieht nach Nebel aus«, murmelte sie versonnen nach einem Blick durch die Scheiben. Fast zärtlich berührte sie das Bügeleisen neben ihr auf dem Bügeltisch …

      Sabine Völkel – Puppenmutter

      Manchmal überfällt mich die Angst. Meist kommt sie plötzlich und die Auslöser sind so nichtssagend, dass das Aufzählen nicht lohnt. Ich weiß, dass es nicht nur mir allein so geht, das beruhigt und verunsichert mich zugleich. Wenn zwei verschiedene Menschen dieselbe Nichtigkeit beängstigend finden, muss dann nicht tatsächlich ein Schrecken darin liegen?

      Da war die Sache mit dem Puppenkopf. Ein Nachbarskind, ein kleines Mädchen, das bei mir gespielt hatte, hatte ihn vergessen. Es war ein seltsames Mädchen, was Puppen anbetraf. Diese hielten bei ihr nie länger als eine Woche, dann lagen sie schmutzig, verstümmelt, verbrannt in einer Ecke und warteten auf das Begräbnis im Mülleimer. Dabei schien sie nichts gegen Puppen zu haben, denn zu jeder Gelegenheit wünschte sie sich welche. Ich höre sie noch zu ihrer Mutter sagen: »Viele Puppen, Mama, sie müssen nicht schön sein, aber viele Puppen.«

      Sie hatte ja auch einen ungewöhnlich hohen Verschleiß.

      Bei mir hatte sie an diesem Tag »Puppenköpfen« gespielt. Ich habe mir nie viel Gedanken um die verschiedenen Arten von Puppen gemacht, aber als sie sie zu mir herüberbrachte, war es noch eine niedliche, rosige Babypuppe. Es ist sicher für Kinder nicht normal, ihre Puppen so zu behandeln, aber das Mädchen tat alles geschickt und mit sicherer Hand, was auf lange Übung schließen ließ. Ich beobachtete sie heimlich dabei, während ich tat, als ob ich läse:

      Zunächst entkleidete sie die Puppe, legte die Kleider ordentlich zusammen und steckte sie in eine Tüte. Sie hatte sich einen kleinen Plastikkoffer mitgebracht, den sie jetzt öffnete. Darin befand sich ein buntes Sammelsurium von Folterwerkzeugen wie Scheren, Messer, Zange, Schraubenzieher, Feuerzeug und Ähnliches, alles klein und für die kindliche Hand wie geschaffen. Es ist keineswegs unmöglich für kleine Kinder, an so etwas zu gelangen, auch wenn Eltern das immer wieder gerne glauben.

      Mit diesen Werkzeugen begann sie die Puppe zu bearbeiten. Es war eine Freude zu sehen, mit welcher Begeisterung und welch fast künstlerischem Geschick die Arbeit vonstatten ging. Die Füße zerquetschte sie langsam mit der Zange, ebenso wie die Unterschenkel, und es bereitete ihr scheinbar einen fast sinnlichen Genuss, sich vorzustellen, was für Qualen die Puppe dabei zu leiden hatte, denn sie redete auch mit ihr und ihre Stimme klang unglaublich zufrieden.

      »Schrei nur. Was glaubst du, wer dich hört? Du kannst ja gar nicht schreien. Deine Lippen, deine Zunge sind aus Plastik, nur aus Plastik. Du bist mir ausgeliefert. Du bist ein Biest und das weißt du. Alle verleitest du dazu, dich niedlich zu finden, dich zu verhätscheln. Aber in mir hast du deinen Meister gefunden, ich habe dich besiegt. Schrei nur - ich hör dich schon und es macht mir Spaß.«

      Dabei schnitt sie der Puppe nacheinander die Finger ab. Mit dem Schraubenzieher bohrte sie ihr Löcher in den Leib und machte dann die Puppe dafür verantwortlich, dass deren unsichtbares Blut den Teppich verschmutzte. Mir machte das nichts aus, es sind schon genug rote Flecken von umgestoßenen Weingläsern und Ähnlichem darin.

      Später konnte ich einem besonders exzellenten Schauspiel beiwohnen. Dieses Mädchen war wahrlich eine Künstlerin. Mit dem Messer fuhr sie in gleitenden Bewegungen gemächlich hin und her und zersägte so langsam aber stetig den Hals der Puppe. Dabei aber hatte sie ihre andere Hand unter den Körper der Puppe gelegt und bewegte diese so geschickt, dass es wirkte, als winde sich die Puppe in tödlichen Krämpfen. Es war erstaunlich, faszinierend, bewundernswert. Das Gesicht des Mädchens verzog sich dabei immer mehr zu einer Grimasse, und sie flüsterte Sätze vor sich hin, von denen ich leider nur Bruchteile mitbekam.

      »Ja, schrei nur, winde dich nur. Stärker! Lauter! Gib nicht auf, das ist langweilig ...«

      Im gleichen Moment, wo der Kopf der Puppe zur Seite rollte, erschlaffte deren ganzer Körper. Erschöpft aber befriedigt zog das Mädchen seine Hände zurück, rieb sie am Teppich, um das Blut zu entfernen, nehme ich an. Aber die Arbeit war noch nicht beendet. Sie nahm sich den Kopf der Puppe vor, schor ihr die Haare, so dass eine seltsam abstrakte Frisur dabei zustande kam, rupfte ihr die Wimpern aus und verdrehte die Glaskugel des einen Auges, dass es wie blind wirkte. Kurz, sie entstellte die Puppe auf das Abscheulichste.

      Sie packte ihre Folterinstrumente in den Koffer, den zerstümmelten Körper und die Tüte mit den Kleidern ebenfalls und verschloss ihn sorgfältig. Dann hob sie den Kopf und sah mich an, ein freundliches Lächeln auf den Lippen, das fast ein wenig stolz war.

      Als die Mutter sie später abholte, wurde ich gefragt, ob die Kleine denn schön mit ihrer neuen Puppe gespielt habe.

      »Ja«, sagte ich, »sie ist eine reizende Puppenmutter.«

      Der Kopf dieser misshandelten Babypuppe lag immer noch auf dem Boden, als ich zwei Tage später von einem ehemaligen Schulkameraden besucht wurde. Er hatte sich im Laufe der Zeit zu einem konservativen, angesehenen Geschäftsmann entwickelt, soviel zu seiner Beschreibung. Jedenfalls bückte er sich, kaum, dass er das Wohnzimmer betreten hatte, und hob etwas auf. Er drehte den Puppenkopf in den Händen, betrachtete ihn eingehend und sagte dann fassungslos und mit hörbarem Entsetzen: »Was ist denn das? Das ist ja ... scheußlich ... abstoßend ...«

      »Das gehört einem Nachbarskind«, antwortete ich so ruhig wie möglich, bemüht, mir mein Erschrecken nicht anmerken zu lassen, »einem kleinen Mädchen. Es kommt manchmal herüber und spielt mit ihren Puppen.«

      »Empfindest du solche Spiele«, angewidert legte er den Kopf auf einem Tisch, »nicht als etwas abnorm? Du solltest das Kind daran hindern.«

      »Ach, weißt du, Kinder«, sagte ich und wechselte hastig das Thema.

      Das war wieder einer dieser Momente, in denen mich diese Angst berührt hatte. Aber ich glaube, das Schreckliche an diesem Puppenkopf war für beide verschieden gewesen.

      Ich muss sagen, das kleine Mädchen hatte mit dem Puppenkopf ein wirkliches Kunstwerk geschaffen. Sie hatte schnell gelernt und konnte mit den Werkzeugen, die ich ihr geschenkt hatte, gut umgehen. Ich war nicht über diese herrliche Arbeit erschrocken, sondern über etwas ganz anderes.

      Eine Sekunde lang hatte ich nämlich, als ich den Kopf in seinen Händen gesehen hatte, befürchtet, ich hätte die Spuren von gestern Abend nicht genügend beseitigt, als ich mir eine Puppe geholt hatte von einem der näher gelegenen Spielplätze, eine von denen, die schreien und sich wehren und die die roten Flecken auf meinem Teppich machen.

      Meine wirkliche Angst aber ist immer, unter den vielen Puppen könnte auch eine sein, die eigentlich eine liebe Puppenmutter ist, so wie meine kleine Schülerin aus dem Nebenhaus.

      Anja Slauf – Aus dem Schatten

      Meine Schritte sind vorsichtig. Der Boden ist von trockenem Laub bedeckt und ich habe nicht vor, durch verräterische Geräusche auf mich aufmerksam zu machen. Langsam schleiche ich näher.

      Da bist du. Deutlich zu erkennen trotz des spärlichen Lichts, das dich erhellt. Du bist alleine. Obwohl du dich vollkommen unbeachtet fühlst, ist jede deiner Bewegungen voller Grazie. Deine Lippen bewegen sich, höchstwahrscheinlich führst du mal wieder Selbstgespräche.

      Ich lächle und mache einen weiteren Schritt auf dich zu. Immer wieder wirfst du einen Blick auf die Uhr, dann wendest du dich der Stange zu, die seit einigen Monaten dein Wohnzimmer ziert. Für viele ist es eine Trendsportart, für andere ein Weg, sich zu profilieren. Für dich jedoch scheint es so viel mehr zu sein. Jede deiner Bewegungen wirkt perfekt und es ist mir unmöglich, meine Augen auch nur für Sekunden von dir abzuwenden.

      Nur leise dringt die Musik an meine Ohren. Dein Lächeln wirkt entrückt, als wärst du in deine eigene Welt abgedriftet, eine Welt, die andere oftmals als ein wenig seltsam empfinden. Doch dich stört das nicht und mir gefällt diese Selbstverständlichkeit, mit der du deine kleinen Eigenarten lebst.

      Wieder