Auf der anderen Seite der Schwelle. Raimund August

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Название Auf der anderen Seite der Schwelle
Автор произведения Raimund August
Жанр Короткие любовные романы
Серия
Издательство Короткие любовные романы
Год выпуска 0
isbn 9783957448019



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für Totschlag?“, fragte Siegfried ein wenig unsicher.

      Der so Gefragte hob die Schultern und breitete ratlos die Arme aus. „Mein Anwalt hat auf Körperverletzung mit Todesfolge plädiert.“

      „Hatten die was gegen dich?“, fragte Sebastian.

      Martin nickte. „Könnte schon sein.“

      „Na wie’n Totschläger siehste nich gerade aus“, stellte Arno Sawatzky fest.

      „Richtig“, sagte Sebastian und die andern nickten. Keiner konnte sich vorstellen, dass dieser schlanke blonde Kerl mit dem intelligenten Gesicht jemanden absichtlich totgeschlagen haben sollte.

      „Wie is ’n das passiert?“, fragte wieder Arno Sawatzky.

      „Ich war Boxer“, antwortete Martin Schüler, „Bezirksmeister im Mittelgewicht …“

      „Und da haste Ee’ n nich bloß ko jeschlagen“, unterbrach Sawatzky den Boxer, „sondern gleich janz mausetot?“

      „Quatsch. Boxen ist doch ’n ganz normaler Sport. Nee“, fuhr Martin dann fort, „das war ganz anders. Zwei Kerle aus Schwarzheide, die ich kannte, hatten mich nach ’ner Tanzveranstaltung überfallen. Ich war alleine, als die mich als geilen Bock beschimpften und dann beide auf mich losgingen, der eine davon mit ’ner Latte in der Hand. Als der zuschlug, hatte ich mich weggeduckt. Angetrunken waren beide. Der Schlag ging vorbei, er stolperte über meinen Fuß und das hatte ihn mit dem eigenen Schwung umgeschmissen. Ehe der wieder auf die Beine kam, hatte ich den andern, einmal Leber, einmal Kinnspitze außer Gefecht gesetzt, wie ich glaubte. Der fiel auch gleich um. Der andere, der mit der Latte, rannte davon. Das war erst mal alles.“

      „Und der ko-Geschlagene blieb liegen?“, fragte Sebastian.

      „Ja natürlich. Man konnte da aber auch nicht gut sehen. Die Straßenlaterne stand ein Stück entfernt. Aber so was kannte ich ja auch. Der wird gleich wieder auf die Beine kommen, sagte ich mir.“

      „Und dann ist der nicht mehr aufgestanden?“, erkundigte Siegfried sich.

      Martin, der Boxer, nickte. „Richtig“, sagte er, „, damit hatte ich aber nicht rechnen können …“

      „Und was war dann mit dem ko-Gegangenen?“, unterbrach Sebastian den Boxer.

      „Der war tot, mit ’m Kopf auf ’ne Bordsteinkannte gefallen, doch so haben die mir’s beim Verhör nicht gesagt. Das Ganze ging aber schon am selben Abend los. Und wenn man’s richtig nimmt“, dazu winkte er ab, „schon seit Wochen.

      „Die beiden“, fuhr er nach kurzer Pause fort, „es waren da im Saal anfangs noch drei andere mit von der Partie gewesen, doch die beiden stänkerten schon den ganzen Abend. Und als dann bei der Damenwahl“, sagte er lachend, „gleich drei der schönsten Mädels mit mir tanzen wollten, waren vor allem die beiden Stänkerer ziemlich sauer.“

      „Det globe ick schon“, ließ Arno Sawatzky sich hören, „So ’n jutaussehender sportlicher Typus“, dazu wies er mit der Hand auf den jungen Bezirksmeister im Mittelgewicht, der dort gegen einen Bettpfosten gelehnt stand. „Klar, da waren die sauer, kann ick mir jut vorstellen. Und dann die Weibsstücke hinter dir her“, wandte er sich an den Boxer. „Und die Blödköppe haben an den Abend nischt abjekriegt.“

      „Beide waren FDJ-Funktionäre, hauptamtlich bei der Kreisleitung“, gab der Boxer zu bedenken. Und einer von denen, offizieller SED- Kandidat.“

      „Na da brauchste dir nich zu wundern“, trumpfte Sawatzky auf.

      „Und du warst kein FDJ-Mitglied?“, fragte Sebastian.

      „Doch, war ich. Wenn ich weiter boxen wollte, musste ich das. Ich hätte ja sonst schon gar nicht um die Bezirksmeisterschaft kämpfen dürfen.“

      „Sag’ bloß“. Sebastian blickte vom Schemel, auf dem er inzwischen saß, erstaunt zum Boxer hoch, der langsam und nachdenklich zwischen den Betten die wenigen Schritte auf und ab ging, schließlich bei Sebastian stehen blieb und nickte.

      „Klar“, sagte er dann, „Vor ’nem Kampf um die DDR-Meisterschaft“, das wurde mir lange im voraus mitgeteilt, „müsste ich mich schon um eine SED-Kandidatur bemühen.“

      „Kandidat?“, fragte Sebastian und wiegte den Kopf. „Also wenn du den Kampf verlierst, bleibst du weiter Kandidat und wenn du gewinnst, wirst du Parteimitglied …?“

      Martin, der Boxer, nickte wieder. „Durchaus möglich, dass das so abläuft, wenn ich mitgemacht hätte.

      Ohne Bewerbung um eine Partei-Kandidatur, hätte ich gar nicht erst bei ’ner DDR-Meisterschaft antreten dürfen.“

      „Ist denn das überall so? Ich meine auch bei anderen Sportarten?“

      „Weiß ich nicht. Ich denke schon, aber Ausnahmen wirds auch ’ne Menge geben. Das ist doch immer und überall so.“

      „Wieder diese beschissene Willkür“, schimpfte Siegfried mit etwas gedämpfter Stimme. „Auf nichts kannst du dich berufen, wenns drauf ankommt. Du bist immer im Unrecht, sitzt stets am kürzeren Hebel, bist unsicher und hast dauernd Angst.“

      „Den Sport beginnen die mächtig aufzublasen“, erklärte Martin. „Das soll wohl so was wie ein internationales Aushängeschild werden. Ich erinnere mich noch gut. Keiner hatte mir vorher was gesagt und plötzlich wurde ich fürs Training von der Arbeit freigestellt, sozusagen von jetzt auf gleich. Aber es stimmt schon“, fuhr er nach einer Weile fort und nickte nachdenklich. „Ich habe in der Kneipe öfter mal zu viel gequatscht.“

      „Du weißt aber, dass du immer beobachtet worden bist?“

      „Das haben die mir beim Verhör schon klar gemacht. Ich hätte keinen guten Ruf, haben die mir gesagt und genau aufgezählt, wo ich was gesagt haben soll …“

      Sebastian lachte. „Als gewissermaßen künftiger Hoffnungsträger im DDR-Sport waren die wohl ziemlich enttäuscht von dir.“

      „Aber das schönste am Ganzen“, sagte Martin, „ist ja, dass der, der damals weggerannt war, der mir die Latte über die Rübe ziehen wollte, ausgesagt hat, ich hätte sie beide als Kommunistenschweine beschimpft, ehe ich den einen totschlug. Ich hatte aber gar nichts gesagt, mich nur verteidigt. Schließlich hatte nicht ich angegriffen, sondern wurde angegriffen.“

      Sebastian wiegte wieder den Kopf. „Wir glauben dir das natürlich alle hier. Aber offiziell steht da Aussage gegen Aussage und dabei hattest du schlechte Karten gegen einen FDJ-Funktionär und SED-Beitritts-Kandidaten, der du nicht werden wolltest.“

      „Das weiß ich jetzt auch“, sagte Martin. „Ich habe die Partei mitsamt dem Kommunismus diffamiert und einen FDJ-Funktionär erschlagen. So was nennt man einen Staatsfeind und Mörder haben die mir beim Verhör gesagt. Das Gericht machte dann in offensichtlich milderer Stimmung lediglich einen Staatsverleumder, Volksfeind und Totschläger aus mir.“

      „Na klar“, sagte Sebastian grinsend, „du hast Vertreter des Arbeiter- und Bauernstaats beleidigt, als Kommunistenschweine beschimpft und einen davon sogar erschlagen. Da hast du noch Glück gehabt, dass die dir nicht wirklich einen Mord angehängt haben. Nicht die haben dir, sondern du hast den beiden aufgelauert. So hätte es auch vor Gericht heißen können … Und wie wolltest du dagegen ankommen? Und wer hat dich eigentlich verhört, die Kripo?“

      „Nee, die Stasi. Bei der Kripo war ich nur ganz zu Anfang …“ „Sportler, also Boxer“, sagte Sebastian, „vielleicht geltet ihr schon ab ’ner Bezirksmeisterschaft als Vorbilder in der Öffentlichkeit und bei der Jugend. So seid ihr also auch Funktionäre. Du hattest das wahrscheinlich nicht richtig kapiert und gedacht die schenken dir Trainingsstunden während der Arbeitszeit.

      Denk dabei doch nur mal an diesen Radfahrer … wie heißt der doch gleich?“ Dazu schlug Sebastian sich mit der flachen Hand gegen die Stirn „Täve, glaube ich“, sagte er, „, ja, Täve Schur. Der ist inzwischen Mitglied der Volkskammer. Solche Leute woll’ n die haben und nicht so einen wie dich. Ich