Название | Krampenfieber – Im Fangarm der Pimperbrille |
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Автор произведения | Tobie Schmack |
Жанр | Юмористические стихи |
Серия | |
Издательство | Юмористические стихи |
Год выпуска | 0 |
isbn | 9783957440679 |
Wo zum Henker ist der »Find-ich-zum-Kotzen«-Button, wenn man ihn braucht?
* * *
»Chicken or Pasta?«
Aus der Traum! Das Airline-Versorgungskommando bahnt sich den Weg durch den prall gestopften Touristenbomber und zerrt mich aus meiner Rückblende. Mit zittriger Stimme sagt die ältere Frau sechs Reihen vor mir artig »Danke« und nimmt die dampfende Aluschale entgegen. Meine Augen sind vom Schlaf verklebt. Im Nacken spüre ich die aufgebaute Urlaubsanspannung und, als ob das noch nicht genug wäre, wummert der kleine Kerl hinter mir seit dem Start mit heftigen Tritten an meine Rückenlehne. Wieso hab ich dem geholfen mit seinem Spielzeugkoffer? Sogar die Stifte hab ich mit eingesammelt, es kann ja mal was runterfallen. RUMMS! Massagestühle gehen definitiv anders. Sag mal, wieso macht denn seine Mutter nix? Na ja, irgendwann muss der doch mal einschlafen. RUMMS! Mit ein wenig Glück gibt es beim zollfreien Einkauf eine Familienpackung Koma-Pillen, die ich ihm schon irgendwie in die Diät-Cola rühre. RUMMS! Noch einmal …! Noch einmal und ich dreh der ADHS-Kröte … Als ich meinen Kopf ein wenig in den Gang halte, um kurz zu prüfen, ob ich ihn in einem Überraschungsangriff in den Würgegriff bekomme, sehe ich zwei elfenhafte, in glänzende Strumpfhosen verpackte, unendlich lang scheinende Beine, die nach oben in einen absolut faltenfreien und rund gewölbten Rock münden.
»Henry, reiß dich zusammen«, weise ich mich zurecht, spüre aber, dass mein Schlüpper-Insasse aus dem Urlaubskoma erwacht und diese Ansage gekonnt ignoriert. Toll, jetzt mischt der auch noch mit.
Ich brauch unbedingt wieder Sex, aber die Bordtoilette ist dafür alles andere als geeignet. Und allein? Das ist doch jetzt wirklich armselig! Gut, das sagen auch nur die, die es kategorisch ausschließen. Ich meine, mir ist mittlerweile vollkommen egal, wie es passiert, aber Karibikurlaub mit Freundin gänzlich ohne Höhepunkt! Nö! Die Fütterung schreitet voran und so sind es nur noch Minuten, bis ich endlich was Erfreuliches vor mir haben werde. »Essen ist der Sex im Alter«, meinte Oma immer. Es gibt also noch Hoffnung für mich, für Delia, für uns. Ich streiche ihr sanft über die zum Zopf gezwungene Lockenmähne. Ungeschminkt wirkt sie so wahnsinnig sexy. Wie Delia so links neben mir gekrümmt in ihrem Sitz hängt, sieht das schon sehr ungemütlich aus. Aber die Option, sich langzumachen, ihre ein Meter neunundsiebzig auszustrecken und sich bei dem Kerl am Fenster anzulehnen, dessen Schweißgeruch vielleicht durch das Assiettenfutter endlich übertüncht würde, ist einfach keine. Wenn ich es schon nicht bin, der Delia hier lustvoll berühren darf, ja einfach mal urlaubsgerecht über sie herfallen kann, soll ein anderer nicht so billig an sie, an ihre umwerfend zarte Haut herankommen, bloß weil er zufällig den dafür besten Sitz gebucht hat.
»Toll, so komm ich bestimmt nicht runter«, nehm ich mich eindringlich ins Gebet und schaue, ob die Toilettenleuchte gerade gnädigerweise »frei« anzeigt. Ein deutliches Rot beantwortet meine Frage. Und meine Blase tanzt Samba. Nein, ich bin mir nicht sicher, wer gewinnt. Wenn die sich nur endlich mal auskacken, Mann!
Das Schöne am Fliegen ist die übersichtliche Speisekarte in der Economy Class, mündlich jederzeit vorbildlich und in sauberstem Englisch vorgetragen von Kelly. Keine Ahnung, ob die Frau in Uniform, die mich irgendwie allmählich anmacht, in Wirklichkeit so heißt, aber in meiner Pornophantasie ist es … schlüssig. Außerdem gefällt es mir besser, mein liebevoll in der Großküche zusammengekochtes, steril verpacktes und geschmacksneutrales Menü von jemandem mit einem Namen serviert zu bekommen. In der Enge des Fliegers kommt mir Anonymität scheinheilig vor. Hier ist niemand vor anderen oder vor sich selbst geschützt. So wusste ich bereits Minuten nach dem Abheben von der Startbahn, dass der Mensch vor mir leidenschaftlich gern Rezensionen bei Amazon verfasst, einen silbergrauen Skoda Octavia fährt – natürlich mit Automatik –, jedes Jahr Tausende von Wanderlurchen vor dem Landstraßentod rettet und auf den Namen Dietmar Heribert Thomas Heinrich hört. Letzteren Namen habe er von seinem vor Kurzem verstorbenen Großvater, der unter den Nazis ein ganz hohes Tier gewesen sei, was man ja heutzutage ruhig wieder sagen könne. Das sei ja schließlich alles Schnee von gestern. Der HSV habe bei ihm nie eine Chance und Fliegen müsse er aus Grundüberzeugung ablehnen, könne es aber mangels Alternative nicht. Natürlich müsse er auch beruflich jetten und kenne alle Flughafentoiletten aus dem Effeff. Danke für diesen ungefragt ausgekippten Infobeutel, der Herr! Ich wage nicht zu ahnen, welches Basiswissen für dieses Datensammlungshighlight weichen durfte. Hoffentlich nicht meine Grundfunktionen. Wer bitte macht den Macker mit Pissbecken-Stories vom JFK? Apropos Toilette! Das ist mein Stichwort. Hey, die Lampe zeigt Grün. Nichts wie los. Vorsichtig ziehe ich meinen dem Dämmerschlaf verfallenen Arm unter Delias Rücken hervor und löse meinen Gurt. Es klickt, ganz leise, im Grunde völlig überhörbar.
»Och, kannst du mich nicht mal eine Minute schlafen lassen. Und hör endlich auf mit dem Gefummel«, murmelt sie mich mürrisch an.
»Hä? Wer fummelt denn?«
Blitzschnell schaue ich zum Fenstersitzer herüber. Nee, der schläft und hat seine Finger eindeutig auf seinem Schritt. Und was er vielleicht gerade träumt, möchte ich nun wirklich nicht wissen in Anbetracht der Wölbung seiner Cordhose unter seinen Händen. Wieder wandert mein verwunderter Blick zu Delia. Selbst im Traumland kann ich es ihr nicht recht machen. Klasse! Da ich aber momentan keinen Selbstversuch der Eigenurinbehandlung im Sinn habe und ich nicht will, dass meine Blase auf dem Sitz Vollzug meldet, ignoriere ich das Schlafgebrabbel und verziehe mich in Richtung Örtchen. Frei!
Als ich sichtlich erleichtert wieder auf meine Sitzreihe zulaufe, entdecke ich den Servierwagen, der genau in diesem Moment bei Delia angekommen ist. Von den deutlich erkennbaren Schmollmundlippen kann ich die Worte lesen, für die ich gerade eben in meinem Verdauungstrakt Platz gemacht hatte. Chicken or Pasta? Was für eine Frage. Chicken! Alles, nur nicht schon wieder Nudeln! Voller Vorfreude sammelt sich in meinem Mund das Wasser. Und als wäre ich Nachbars Waldi, der sehnsüchtig den ganzen Tag auf Herrchen gewartet hat, nehme ich die Beine in die Hand, presche wie ein jamaikanischer Sprinter-Blitz durch den Zieleinlauf und werfe breit lächelnd »Zweimal Chicken, bitte!« in den Bestellungsring. Go for Gold and Hühnchen für Henry! Während ich mich gemütlich auf den Sitz bette und mich schon dabei sehe, wie ich die zartrosafarbenen Filets vorsichtig aus dem grell schimmernden Alupapier befreie, holt mich Delia in einen offen auszutragenden Zweikampf zurück.
»Ich kann auch allein entscheiden, Henry.«
Na klar, kann sie, ohne Frage.
»Aber ich dachte, Schatz …«, versuche ich sie für mich einzunehmen, was ihr überhaupt nicht gefällt.
»Dein Denken kannste dir schenken! Henry, es ist echt gut, halt einfach die Klappe, ja. Ich will Pasta! Basta! Und das mit dem ›Schatz‹. Also, das … also …«
Mit überaus zwangsfreundlicher Stimme wendet sich Delia der Essenfrau zu und ordert, für alle im Flieger zu vernehmen, was sie wünscht. Danach wird’s still und die gefühlten Temperaturen begeben sich merklich unter null. Zum Hauptgericht serviert mir meine nissige Hälfte als Nachtisch mürrisches Schweigen garniert mit peinlicher Stille. Die klösterliche Ruhe triumphiert, bis der Wagen mit den Getränken vor uns anhält. An der Lenkstange ruhen zwei perfekt gepflegte Hände, an deren feinen Enden zartblau verzierte Fingernägel liegen. Unter der makellosen Haut des Handmodels sind in vornehmer Blässe kaum Adern zu erkennen. Wenn das nur die Hände sind, was wird mich erwarten, wenn ich ihr direkt ins Gesicht schaue. Die grazile Halsführung, die wohlgeformten Ohrläppchen, das wohlumrundete Kinn. Ihre leuchtend blauen Augen haben einen leichten Grünstich. Ja, ich bin verdammt bereit für einen heißen Tagtraum, aber neben mir hockt Delia. Liebe auf den ersten Blick ist ein dummes Klischee. Absolute Überwältigung bei einem solchen Anblick von vollkommener, zerbrechlicher Weiblichkeit – ein Hochgenuss. Ich würde alles von ihr nehmen. Für den Moment reicht mir ein Tomatensaft. Als ich nach der winzigen Saftdose greife, berühren ihre langen, feinen Fingerspitzen meine völlig zerknaupelten Stümpfe.
Völlig desinteressiert an dem Geschehen rund um den Servierwagen reißt meine Freundin die Fensterblende hoch und hält den Saft im Plastikbecher kritisch ins Licht. »Ist der eigentlich Bio?«
Der von mir entdeckte Stewardessenengel antwortet in korrektestem Servicesprech.