Krampenfieber – Im Fangarm der Pimperbrille. Tobie Schmack

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Название Krampenfieber – Im Fangarm der Pimperbrille
Автор произведения Tobie Schmack
Жанр Юмористические стихи
Серия
Издательство Юмористические стихи
Год выпуска 0
isbn 9783957440679



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strahlende Augen durchstoßen meine Ahnungslosigkeit und drücken die Erkenntnis eiskalt zutage. Ja, in die Performance, die hier gerade mit mir abgeht, hatte ich mich durch eine erfolgreich platzierte Nummer selbst geplaudert. Direkt vor mir überlegt niemand Geringeres als der 3D-Troll himself, der Depp vom Dienst aus Deppelsdorf, wie er sich für die kostenlose Publicity im Lokalkanal eindrucksvoll revanchieren könnte. Und trotzdem, das kann doch einfach alles nicht wahr sein. Sowas passiert hier nicht. Da wird einer wie ich nicht hinterrücks zusammengelegt und endet in der Sammeltonne in einer schmuddeligen Seitenstraße. Nein, solche Geschichten passieren in L.A., von mir aus in einem neudeutschen Blockbuster in Berlin-Mitte, aber ums Verrecken nicht hier, mitten in dieser popeligen Provinzstadt, deren markanteste Eigenheiten ein gefühltes Einwohner-Durchschnittsalter von achtundachtzig, eine Schwemme an Kosmetikstudios und die Wiederentdeckung des persönliches Freiraums der humanoiden Restposten nach erfolgtem Abriss des in Zonenzeiten kredenzten Stadtbildes sind. In dieser Oase hinterwäldlerischer Eintönigkeit wollte ich nichts mehr, als nur mal ein Bierchen mit Tacko ziehen, mich im Rennen Richtung Firmenspitze bei COMICALL selbst feiern und, wer weiß, vielleicht als Sahnehäubchen noch die Kleine hinterm Zapfhahn klarmachen. Heute, heute sollte mir alles gelingen. Egal, dass mir das Landei sicher gleich die vor lauter Karrierestolz geschwellte Brust zerlegen würde. Mach doch! Da sind Heerscharen an Brusthaaren, die mir vor gefühlten fünf Sekunden in einer Suppe aus Stolz spontan im Office gewachsen waren, als ich meine Antrittsrede in die erstaunten Gesichter meines Teams geschleudert hatte. Keine Frage, da war ich der King im Ring. Ja, das war ich … nein, ich bin’s, ganz plötzlich auf der Gewinnerstraße und sowas von bereit, auf der Überholspur über »LOS« zu donnern. Dummerweise hatte ich das Spiel nicht im silbernen Rennwagen, sondern im nicht sonderlich attraktiven Wanderschuh begonnen. Und so bin ich noch immer unbeweibt. Das Dilemma leuchtet in strahlenden Lettern deutlich auf der Stirn und wird hilfreich verstärkend von tiefen Sorgenfalten unterstrichen. Ich brauche so dringend ein Date. Verdammte Hacke! Ich kann doch da unmöglich allein auftauchen. Nicht nur wegen Dörte, wegen allen.

      »Nun glotz doch nicht so blöde«, schreie ich den Nerd am Dartkasten an, der mich die ganze Zeit über runterfilmt und allem Anschein nach damit Karriere bei YouTube machen will.

      Aber dieser dickliche Zwerg ist nun wirklich nicht mein schwerstes Problem. Nein, gegen den Hieb, der gleich auf meiner Brust einschlagen würde, ist das Kinderfernsehen. Warum laufen solche Impacts immer in Zeitlupe ab? Ich denke: »Nee, nicht?!« und weiß: »Scheiße! Doch!« Mann, warum gucke ich bloß Freak-TV! Eine Folge von diesem Weiberaustausch und etwas gelebte Verzweiflung weniger, und das alles hier würde jetzt gar nicht passieren.

      »Pass ma’ auf, du Spacko«, schlägt es mir mit einem groben Spuckeflatschen ins Gesicht, »das ist für die Grütze in der Glotze. Und das für die Mäusekacke in der Zeitung!«

      BANG! Wie ein Abonnent sieht er nun wirklich nicht aus, geschweige denn wie ein regionaler Literaturkritiker. Irgendeiner muss es ihm also gesteckt haben. Aber was kann ich dafür, dass der für dreifünfzig in einer Dokusoap seine Ehre verhökert, nur um mal in jener trashigen Eigenproduktion mitzumischen. Nein, ich hab nicht angefangen. Den ersten Schritt ins vernichtende Scheinwerferlicht hat der Hüne über mir gänzlich freiwillig gemacht, was mir für eine Hundertstel etwas Dialogfleisch entlockt, das ich dem Dorfköter zugleich in die gefletschte Fresse werfe.

      »Haste jemanden gefunden, der lesen kann?«

      Die Frage hätte ich sein lassen sollen, aber auch wenn meine Schlachtbanklage jetzt nicht danach aussieht, ich muss das sofort wissen. Die Nummer gefällt dem Fleischberg überhaupt gar nicht. Nein, dafür muss ich nicht erst auf den Schlag in die Rippen warten. Wenn die Faustmassage einen anhaltenden Fitnesseffekt hätte und meine nicht zu leugnenden Speckröllchen zertrümmern könnte, ich wäre vielleicht sogar mittelfristig sowas wie dankbar. In der Hoffnung, dass Rippenknochen grundsätzlich nicht so leicht brechen, setze ich nach.

      »Scheiße gelaufen, was! Konntest ja nicht ahnen, dass du deine Frau zurückkriegst, ’ne! Sag mal, wer war eigentlich der Fetti in der Kittelschürze? Der mit den drei Zahnpfosten!«

      Er stutzt kurz, gibt sich aber bedröppelt kooperativ in meinem kleinen Frage-Antwort-Spiel.

      »Hä? Des is meene Olle!«

      Wow, schießt es mir durch den Kopf und ich versuche krampfhaft, nicht lachend loszubrüllen, nicht zuletzt, weil das überall am Körper schon äußerst wehtut.

      »Deine Alte? Ich dachte, das wäre dein Bruder. Ich mein, Hängetitten hat bei euch ja jeder. Seht euch ganz schön ähnlich. – Na ja, bleibt ja in der Familie, was!«, füge ich kurz hinzu und lege meine Hände vorsichtshalber schützend auf den Brustkorb, als ich im schönsten Slogan-Sprech abrundend ergänze: »Unwucht wegen Unzucht, ne!«

      Jemand neben mir findet das irre komisch, fängt sich dafür aber eine ein, die ihn krachend vom Barhocker fegt. Gut, der Druck ist also schon mal raus, der Prügelakku wohl aber noch nicht hinreichend entladen. Während ich den Unbekannten am Boden kurz mustere, kann ich es doch nicht sein lassen, noch einen draufzupacken.

      »Tschuldigung für den Gag. Ich kann ja nicht riechen, dass bei euch in der Hauptschule ganze vier Buchtstaben auf dem Plan stehen. Ich dachte, euer ABC endet da auch.«

      Mit einem kräftigen Schub sause ich jetzt gegen die getäfelte Wand hinter mir. Die daran aufgereihten Partybilder weichen mit etwas Widerstand und gehen klirrend zu Boden. Nach kultivierter Konversation sieht das für die Umstehenden sicher nicht aus. Unterhaltsam scheint es aber allemal zu sein, wenn ich die zufriedenen Gesichter und die auf mich gerichteten Handys richtig deute. Als ich bemerke, dass ich mit meiner Jeans mitten in einem Teppich aus Glasscherben bade, wünsche ich mir, ich könnte spontan die Stellung wechseln und mit dem Aufreißer-Würstchen am Snookertisch tauschen. Der hat den ganzen Abend schon so blöd gegrinst, dem würde etwas Gesichtskorrektur definitiv nicht schaden. Der Hammermann, der mich momentan gern weiter bearbeiten möchte, hat andere Pläne, grunzt konsequent die zwei wasserstoffgezeichneten Tussis zur Seite und legt mich im hohen Bogen auf dem Billardtisch ab. Fertigmachen zur OP! Meine Hoffnung, dass meine gratis Intensivbehandlung damit ein knappes Ende gefunden haben könnte, zerschellt, als ich sehe, dass sich der Hulk an den sauber an der Wand drapierten Queues bedient. Seine Auswahl ist dabei eher spontan, ganz intuitiv, und nicht auf Qualität in Verarbeitung und Führung ausgelegt. Das Leben ist, wie Omma es unermüdlich bei jeder großen Woche in den Hauseingang sabbelte, manchmal hart, aber so hart wie Billardholz mag ich es dann doch nicht. WUSCH! Der glänzend polierte, filigrane Stab streicht wie ein Laserschwert unerbittlich elegant durch die versiffte Luft des Clubs. ZOOM-ZOOM. Um das garantiert gleich hochschnellende Brennen nicht auch noch sehenden Auges zu greifen, sondern es schlicht zu erahnen, kneife ich meine leicht ängstlich zitternden Lider so fest wie möglich zusammen, dass mir Millionen kleinster Glasbausteine in allen erdenklichen Farben erscheinen, und bete mir innerlich einen ab. Keine Ahnung, ob das Vaterunser der Prüfung durch einen Geistlichen standhalten würde, aber ich nehme jetzt wirklich jeden Strohhalm, nur eben keinen erbarmungslosen Billardqueue. Ich wäre ja durchaus bereit gewesen wegzurennen, aber die behaarte Tatze ist flinker als gedacht, sodass er mich eindrucksvoll auf dem Grün fixiert und mir – leider etwas unverständlich zum Mitschreiben – was in die Nasenhöhle sabbert. Ja, Geben ist seliger denn Nehmen. Amen! Es gibt Momente, die gehen zack vorbei. Dieser dauert ewig. Und dauert. Und dauert! Für eine Millisekunde fühle ich mich fast schon gelangweilt, aber die Urangst vor dem Schmerz ist, zugegeben, weitaus größer, und so zieht sich an mir zusammen, was sich zusammenziehen kann.

      Eigentlich stehe ich nicht auf Billardclubs. Aber es gibt garantiert unwirtlichere Orte, an denen man abends herumlungern kann. Der Kaffee war hier schon immer umsonst und die örtlichen Bushaltestellen nicht wirklich sonderlich einladend für einen gepflegten Männerplausch. Und wann immer hier drinnen eine bis dahin für den Großteil der Publikums unterhaltsame Schlägerei zu eskalieren drohte, gab es Manni, der sich darum kümmerte, jene Balance wieder einzurichten, die, zumindest bis die Wetten platziert waren, für ihn eine Chance auf einen guten Schnitt sicherten. Wir sind alle ein Teil eines großen Ganzen. Bei Manni hatte das irgendwann jeder kapiert. Immerhin ist das seine Hütte. Es ist kein Geheimnis, dass Redseligkeit bereits drei Generationen vor ihm familiär als Ladenhüter gegolten haben muss. So ist das Respekt einflößende