In Liebe, Muschelkalk. Barbara Hartlage-Laufenberg

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Название In Liebe, Muschelkalk
Автор произведения Barbara Hartlage-Laufenberg
Жанр Биографии и Мемуары
Серия
Издательство Биографии и Мемуары
Год выпуска 0
isbn 9783937881782



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Bekanntschaften anzuknüpfen. Sein Münchner Kontakt, die Seele, führt inzwischen in Berlin ihrem verwitweten Bruder Alfred Dunsky den Haushalt. Der ist ein angesehener Innenarchitekt und betreibt eine Möbelfirma. Seele lädt Hans ein, nach Berlin zu kommen. Vielleicht kann er dort leichter eine Stelle finden. Sie hat ihm sogar schon bei Oertner, einem Angestellten von Dunsky, eine Unterkunft besorgt. Und der mittellose Hans fährt nach Berlin.

      Gegen Ende des Jahres 1918 kommen Lona und Hans wieder in Kontakt. Denn Lona und ihre drei jüngeren Schwestern schreiben ihm einen Brief. Und er antwortet den Mädchen auf seine launige Art am 6. Dezember 1918 mit einem Gedicht, in dem er die Namen von Lona und ihren jüngeren Schwestern aneinanderreiht:

       Fräulein Lonahildeursulaelisabeth Pieper

       Das ist meine liebe Lona, die schreibt.

       Sie ist und bleibt eine Perle.

       Und Ihr drei Kleinen, Ihr seid und bleibt

       Doch richtige Teufelskerle.

       Du muschelverkalkte Perle, Du

       Zupf an den Ohren die Kleinchen.

       Und hilf mir zu meiner ländlichen Ruh

       Und zu einem Häus'chen mit Schweinchen.

      

      Er mildert das Bild von Lona als harter unzugänglicher Muschelkalk also ab, indem er sie jetzt als Perle in diesem Material betrachtet und damit ausdrückt, dass sie in ihrem Innern ein Schatz ist. So ist die muschelverkalkte Perle ein durchaus dichterisch zutreffendes Bild, auch wenn eine Perle im Muschelkalk aufgrund der stofflichen Gegebenheiten gar nicht erhalten geblieben wäre. Solche naturwissenschaftlichen Dinge weiß Hans bestimmt nicht, aber die Kombination »muschelverkalkte Perle« benutzt er nur dieses eine Mal und dann nicht mehr. Er bleibt bei dem Namen Muschelkalk, der für eine weibliche Person so ungewöhnlich ist. In späteren Briefen wird dieses Wort um Adjektive ergänzt: mal liebster Muschelkalk, mal urgeliebter, mal goldiger Muschelkalk. Und variiert: liebs Muschelkälkche, mein Muschelkälkchen, mein guter Kalk, lieber Kalk, mein geliebtes Kalk, Mi Muschel, Kalkchen und Kuschelmalk. Was alles Lona gefallen haben muss, denn sie hat sich nie dagegen gewehrt.

      Nach der an die vier Schwestern gerichteten Karte schreibt er an Lona wenige Tage später noch einmal gesondert. »Mein lieber guter Muschelkalk«. Er berichtet, er wohne bei einer alten Tante und träume von einem Haus mit Garten. Wenn sie einmal von einem solchen Objekt (12 bis 14 Morgen Land, Preis bis 50.000 Mark) hören sollte, solle sie ihn gleich benachrichtigen. »Ich verbleibe mit tausend herzlichen Grüßen Dein getreuer Hans Bötticher.« Von einem Wiedersehen, was Lona beim Empfang des Briefes gehofft haben mag, schreibt er nichts.

      Dann geht Anfang 1919 die Beziehung mit Bampf auseinander. Sie hat inzwischen Interesse an einem anderen Mann. Bötticher ist abgeblitzt. Das Jahr 1919, in dem er als Arbeitsloser manches Mal Hunger leidet, geht dahin. In Berlin gibt es Aufruhr und Tote. Eine Reichsverfassung wird ausgearbeitet. Friedrich Ebert wird Reichspräsident. Aus der Ferne bekommt Hans mit, dass es auch in München zu Unruhen kommt. Der Bayerische Ministerpräsident Kurt Eisner wird erschossen, die Stadt erlebt zwei kurzzeitige Räterepubliken, Revolutionäre werden getötet, als Vergeltung auch Leute von der Gegenseite. Dann aber kehrt in München wie in Berlin zunächst einmal wieder Ruhe ein.

       Briefe

      Lona hat inzwischen ihr Examen gemacht und in Rastenburg eine Stelle als Sprachlehrerin angenommen. Sie wohnt wieder in ihrem Elternhaus. Ihr Vater ist nach dem Tod seiner Frau Elise vor einigen Jahren im Oktober 1919 eine dritte Ehe mit Maria Domin eingegangen.

      Anfang November 1919 verabreden sich Lona und Hans zu einem Treffen in Berlin in einer Weinstube, werden aber bei ihrem Tête-à-Tête von Lonas Bruder gestört, was sie im anschließenden Briefwechsel beide sehr bedauern. Sie schreiben sich weiterhin. Hans will wissen, ob und wie viel Liebe sie noch für ihn empfindet. Lona wird jetzt grundsätzlich, da sie ahnt, dass es ernst werden könnte. Damit beginnt um die Jahreswende 1919/​20 eine briefliche Diskussion über das Verhältnis von Mann und Frau. Bevor sie ihre Gefühle für ihn offenbart, will die vorsichtige Lona wissen, welche Meinung er von Frauen hat und ob sie ihn fürchten müsse.

      Und Hans verspricht, ganz ehrlich zu ihr zu sein und schreibt: »Ich finde in der Frau vorwiegend Tier, daneben etwas – männlichen Geist – und ein Fünkchen Göttlichkeit oder gottverliehene Wunderkraft.« Möglicherweise ist er durch den zu dieser Zeit recht populären Philosophen Otto Weininger zu dieser Einstellung gekommen. »Und dem Tier muß, will ich untertan sein und ich liebe es schmutzig und grausam und überlegen. Ich liebe ihm so zu dienen, daß es mir zum Menschen und ich ihm zum Tier, zum weiblichen Tier werde.«

      Es ist fraglich, ob Lona die sexuellen Wünsche versteht, die er andeutet. In diesem Punkt liegen Welten zwischen den beiden, wie aus Lonas Antwort deutlich wird: »Ungläubig staunend hörte ich Deine Worte, verlor ein wenig das Gleichgewicht … Daß alle Menschen männl. u. weibl. Geschlechtes mit Variationen sinnlich sind, ist Tatsache. Ist eine Frau es im landläufigen Sinne nicht, heißt es, sie ist pervers od. hysterisch … Was ich bisher an mir beobachtet habe, will ich Dir sagen. Am meisten verwundert hat's mich, als ich einem eigenartig schönen Mannesantlitz begegnete, der geistvolle Kopf zeigte feine edle Linien. Da habe ich öfters gedacht, von diesen schmalen, harten Lippen möchtest Du wohl gern einmal geküßt sein. Das ist ja wohl pervers?«

      Hans kann sich nur wundern: »Hast Du so wenig über Sexuales gelesen, gesehen, so wenig über diese geheimnisvollen Kräfte nachgedacht, die die Erde und die Gestirne um die Erde kreisen machen? Ja Du bist so jung noch – und immer wieder mag ich vergessen, wieviel Leben mehr ich Dir voraus habe.« Und er kann sich nicht vorstellen, dass sie immer diese »feindliche, von Abscheu und Ekel erfüllte Stellung« einnimmt, die sie sich – wie er meint – zu Unrecht einredet. Und weil sie geschrieben hatte: »Ein lüsternes Verliebtsein ist mir widerlich, daß ich oft schlagen möchte«, sieht er darin einen möglichen Ansatz zu der von ihm offenbar bevorzugten sexuellen Praxis und knüpft an ihre Worte an: »Könntest Du einen Mann schlagen? – Könntest Du mich mit einer Ruthe schlagen, wenn ich Dich, zwischen einem schönen Theaterstück und einer großen ernsten ›Weinstunde‹ (schöner wie neulich) darum bitten würde? – – Oder würdest Du leiden oder mögen, daß ich Dich gelegentlich einmal wie ein unartiges Kind schlüge? Oder wie eine Sklavin demütigte?« Aber dann kommen ihm doch Bedenken, ob sie mit seinen Worten etwas anfangen kann und er fragt: »… glaubst Du, meinen Brief von neulich ganz verstanden zu haben?«

      Möglicherweise hat Lona sich inzwischen etwas kundig gemacht und ahnt nun, was es alles für sexuelle Praktiken gibt. »Ob ich Dich mit einer Ruthe schlagen könnte? Nein, Hans, niemals … Wenn so etwas … nur dazu dienen soll, eine Stimmung, Erregung zu produzieren, geht es mir wider die Natur … Mögen würde ich es nie, daß Du mich schlägst … nur aus Laune – – niemals. – – Wie eine Sklavin demütigen, wie weit faßt Du den Begriff? Ich könnte Dir mit gewisser Trauer, daß es nicht anders ist, doch treu in allem dienen, als Magd, bis auf den Dienst, den der Mann von der Frau verlangt. Da magst Du zu anderen gehen.«

      Sie fragt sich, was er überhaupt von ihr will. Zieht ihn vielleicht nur ihre »niedliche Unschuld« an, die er genießen und zerstören möchte? Aber Hans erwidert, das sei keineswegs der Fall, eine erfahrene Partnerin wäre ihm viel lieber. Und den Begriff Triebe, meint er, solle sie positiv sehen. Das Wort bekäme einen schöneren Klang, wenn man an Knospen, Frühling denke, an Zugvögel oder ein saugendes Fohlen. »Du bist noch ganz verstrickt in die schmutzige Wolle, mit dem die kleinliche Bourgeoisie ihre Kinder umspinnt.« Mit dem Blick des sexuell aufgeklärten frühen 20. Jahrhunderts macht er ihr klar: Nicht die Triebe seien eine Schande, sondern deren Verleugnung. Und von ihrer Unschuld werde er keineswegs angezogen. Er empfiehlt ihr die Lektüre der Sittengeschichte von Eduard Fuchs und der Bücher von de Sade. Und damit ihr klar ist, dass es für Frauen nicht nur die »schlimmen« Männer gibt, fragt er provokant, was sie denn von der sinnlichen Liebe zwischen Frau und Frau halte? Und dann