In Liebe, Muschelkalk. Barbara Hartlage-Laufenberg

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Название In Liebe, Muschelkalk
Автор произведения Barbara Hartlage-Laufenberg
Жанр Биографии и Мемуары
Серия
Издательство Биографии и Мемуары
Год выпуска 0
isbn 9783937881782



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Bötticher weiter Gedichte. 1912 veröffentlicht er im Piper-Verlag München seinen kleinen Gedichtband Die Schnupftabaksdose. Vom 1. Januar bis Ende März 1913 arbeitet er wieder in einer Bibliothek, diesmal in der des Kammerherrn von Münchhausen auf Burg Lauenstein bei Probstzella in Oberfranken. Anschließend fährt er zum ersten Mal nach Eisenach, um Dora Kurtius zu besuchen. Sein Novellenband Ein jeder lebt’s ist gerade bei Albert Langen in München erschienen. Er widmet ihn Seelchen. Mit Ausnahme von zwei der zehn Geschichten waren alle zuvor in Zeitschriften oder Zeitungen abgedruckt. Hans hat für das Buch ein Honorar bekommen und kann die Mädchen der Sprachschule sogar mehrmals in die Konditorei einladen.

      Er ist jetzt fast dreißig und sucht eine Ehefrau. So verliebt er sich in Eisenach in eines der Mädchen, in Alma Baumgarten. Da er sich Namen schwer merken kann, wählt er für Personen oft bildhafte Bezeichnungen. Alma ist »Maulwurf«, denn sie ist kurzsichtig und trägt ein dunkles Samtkleid, ein Stoff, den Hans besonders liebt. Zu Ostern 1913, also schon nach wenigen Wochen, verlobt er sich mit ihr, der Tochter eines Lokomotivführers. Allerdings sind ihre Eltern im fernen Ludwigshafen am Rhein damit überhaupt nicht einverstanden, und die Verlobung wird auf deren Druck hin ziemlich umgehend wieder gelöst. Den Sommer 1913 über arbeitet der Bibliothekar als Fremdenführer auf Burg Lauenstein, anschließend hält er sich wieder in München auf. Dann kommt der Krieg, in den er, wie so viele, beigeistert zieht. Große Abenteuer, wie er sie sich erhofft hat, erlebt er jedoch als Soldat nicht. Seit dem 1. August 1914 ist Bötticher bei der Kriegsmarine, was sein Wunsch war, versieht aber seinen Dienst meist auf Sperrschiffen vor der Nord- und Ostseeküste und beneidet seine Kameraden draußen auf hoher See.

       Ich bin so glücklich für mein M. geboren.

      Annäherungen

       Muschelkalk

      Während des Krieges nutzt Hans öfter seinen Urlaub, um nach Eisenach zu fahren, wo er Lona zum ersten Mal begegnet. Auch für sie hat er schnell einen Namen: Er nennt sie »Muschelkalk«. Wie er zu dem Namen gekommen ist, ist nicht bekannt. Mit diesem Begriff wird eine Gesteinsformation aus der Trias-Zeit mit darin enthaltenen versteinerten Muscheln bezeichnet. Muschelkalk kommt in der Umgebung von Eisenach vor und ist dort gut zu erkennen. Vielleicht ist er ihm dort aufgefallen, und er schien ihm bei der Suche nach einem Namen für Lona gerade passend. Muschelkalk war zu seiner Zeit im Nordsee-Küstengebiet aber auch eine gängige Bezeichnung für gebrannten Kalk aus Muschelschill, d. h. aus den in der Brandung aufgehäuften Schalen von Muscheln. Dieser Muschelkalk wurde dort als hochwertiger Mörtel verwendet. Hans kann den Begriff Muschelkalk auch in dieser Bedeutung gehört haben, als er als Marinesoldat vor der Nordseeküste seinen Militärdienst geleistet hat.

      Normalerweise gibt er den Personen seiner Umwelt Namen, die ihr Aussehen beschreiben, also Maulwurf, Eichhörnchen, Unke oder Schneehase. Der Name Muschelkalk betrifft dagegen das Wesen von Lona Pieper. Er wählt ihn zu einem Zeitpunkt, als er sie gerade erst kennenlernt. Sie zeigt sich ihm gegenüber anfangs abweisend, fast schon kratzbürstig und unzugänglich. Der relativ harte Muschelkalk – in der einen oder anderen Bedeutung – erscheint ihm wohl als das richtige Material, um das auszudrücken. Lona empfindet die Bezeichnung Muschelkalk durchaus als Kosenamen, und so ist er ja auch von Hans gemeint. Sie nennt sich selbst bis ans Ende ihres Lebens so.

      Er schreibt ihr am 2. Juni 1916: »… Wenn Du so viel im Herzen wie im Kopf hast möchte ich einmal mit Dir den ganzen Wartburg-Abhang herunterkollern … sei geküsst von Deinem frechen Hans.« Vermutlich hat er mit seinem Auftauchen in Eisenach und erst recht mit diesem Brief Lonas Sehnsüchte geweckt. Das mag in diesen Wochen ein Trost für sie gewesen sein, denn die Mutter, die zweite Frau von Pieper, stirbt in dieser Zeit. Die Geschwister, insbesondere die kleine Schwester Lisabeth, an der sie sehr hängt, sind jetzt mit dem Vater allein. Sie weiß, sie würde zu Hause dringend gebraucht, aber sie setzt ihre gerade erst begonnene Ausbildung in Eisenach fort, um sie zu einem regulären Abschluss zu bringen.

      Lona kann nicht wissen, dass Hans Bötticher es liebt, Briefe an Mädchen zu schreiben, von denen die Adressatinnen meinen müssen, sie stünden im Zentrum seines Denkens und Sehnens. Dabei ist er noch immer in eifrigem Kontakt mit Maulwurf, seiner ehemaligen Verlobten, und will sich auch weiter mit ihr treffen. Noch auf einem Sperrschiff der Kriegsmarine tätig, bittet er sie, Geld, Butter, Seife zu schicken. Das Geld braucht er für den Offizierslehrgang, für den er sich gemeldet hat. Denn er hat die Erfahrung gemacht, dass der einfache Soldat beim Militär nichts zählt. Außerdem hat er Probleme mit seinem Aussehen: Er ist nicht gerade groß, dünn und hat ein vorspringendes Kinn und eine große gebogene Nase. Da könnte eine schicke Uniform einiges kompensieren. Und der verständnisvolle Maulwurf schickt das Gewünschte, und Zigaretten noch dazu.

      Aber auch die Mädchen von Dora Kurtius vergessen ihn nicht. Er hat bei ihnen einen bleibenden Eindruck hinterlassen. Nicht nur, dass er sie in die Konditorei eingeladen hat. Einmal sind sie spätabends durchs Fenster ins Freie geklettert und unter seiner Führung die Burgstraße hoch zur Wartburg gezogen. Dort sind sie alle in das Stübchen des Kastellans eingekehrt, den Hans gut kannte, und haben in fröhlicher Runde einen Grog genossen. Für diese unvergesslichen Erlebnisse revanchieren sie sich und stellen ein Päckchen zusammen, das sie dem Soldaten schicken. Sein Dankesbrief an die »Appendixe von D. Kurtius« beginnt mit der Anrede »Ihr Teufelskerle Tilly, Emmy, Lotte, Hanna, Marburg und Lona«. Wenn er nach Eisenach kommen könne, vermutlich noch vor Mai, schreibt er, sollten sie alle recht zärtlich zu ihm sein. »Auch Lona, bitte.«

      Der Marinesoldat Hans Bötticher bekommt fünf Tage Urlaub, trifft Lona und eine Mitschülerin, und sie gehen Kaffee trinken. Lona ist bei diesem Treffen ihm gegenüber immer noch recht reserviert. Hinterher tut es ihr leid, und sie schreibt es ihm auch: »… dass ich nicht lieber zu Dir war. Doch ich kann so schwer zeigen, was ich fühle. Glaub mir, ich hab Dich auch lieb, sehr lieb und möchte Dir so gern etwas Liebes tun …« Und sie telefonieren wohl auch einmal miteinander. Er träumt nun – wie er ihr schreibt – davon, dass sie seine liebe Frau wäre. Aber er sieht ein Problem: Viel Geld habe er nicht. Ob sie ihn denn trotzdem möge? Sie mag. Und unterzeichnet ihre Antwort mit »in Liebe Muschelkalk«.

       Bampf

      Doch dann nimmt sein Interesse an Lona ziemlich abrupt und erheblich ab: In den ersten Augusttagen 1917 lernt er die Schauspielerin Annemarie Ruland kennen, die in Cuxhaven Theater spielt. Sie erhält von ihm den Namen »Bampf«, denn sie isst gern, und »bampfen« bedeutet im Süddeutschen, sich den Mund mit Essen vollzustopfen. Durch sie beeinflusst, beschäftigt er sich zunehmend mit Theaterstücken und entdeckt damit eine weitere literarische Sparte, in der er vielleicht reüssieren könnte. Diese Überlegungen sind durchaus nötig, denn seinen Platz in der Literatur hat er zu dieser Zeit noch keineswegs gefunden. Das Drama galt im gerade erst vergangenen 19. Jahrhundert als die am höchsten stehende literarische Form. Und das Theater hat auch Anfang des 20. Jahrhunderts, in diesen Jahren des literarischen Expressionismus, eine große Bedeutung, Stücke werden stets gesucht. Also schreibt Hans Bötticher sein erstes Drama mit dem Titel Der Flieger, und versucht, es über die Ruland anzubringen. Er spricht auch ihr gegenüber vom Heiraten, wobei sie wohl nicht weiß, ob er es ernst meint. Doch Bampf bemüht sich, das Flieger-Stück an den Mann zu bringen, was ihr jedoch nicht gelingt. Aber Hans hat einen anderen Erfolg: Im Oktober 1917 wird er zum Offizier befördert und Kommandant eines Minensuchbootes.

      Als Hans zu Weihnachten von Lona und ihren Geschwistern ein Paket bekommt, bedankt er sich brav dafür – wie es sich gehört. Sein Interesse aber gilt zu dieser Zeit ganz Bampf. Im Frühjahr 1918 wird er zur Luftabwehrabteilung nach Seeheim versetzt, ein Fischerdorf einige Kilometer westlich von Cuxhaven, wo sich auf dem Areal eines ehemaligen Kinderheims nun zwei Maschinengewehrbatterien befinden. Hans, dem über zwanzig Mann unterstehen, richtet sich – da wenig zu tun und er ohnehin kriegsmüde ist – häuslich ein, bestückt Terrarien mit Schlangen und Kröten und legt einen Garten an. Auch eine Foxterrier-Hündin schafft er sich an, die er nach dem so genannten Werner-Wald in der Nähe »Frau Werner« nennt und die ihn fortan begleitet.

      Im November 1918, als der Krieg zu Ende ist – einige seiner Freunde sind gefallen –, beginnt