Beethoven. William Kinderman

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Название Beethoven
Автор произведения William Kinderman
Жанр Биографии и Мемуары
Серия
Издательство Биографии и Мемуары
Год выпуска 0
isbn 9783990405642



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Schneider in glühender politischer Leidenschaft selbst Grenzen überschritt und als öffentlicher Ankläger während der Schreckensherrschaft 1793 dreißig Menschen auf die Guillotine schickte. Kurz danach wurde auch Schneider ein Opfer des Regimes von Maximilien de Robespierre: Er wurde verhaftet und im April 1794 enthauptet (Abb. S. 22). Beethoven hat Schneider auch in späteren Jahren nicht vergessen, was an einer Eintragung in einem seiner Konversationshefte abzulesen ist.

      Links: Porträt Eulogius Schneider. Aus: »Gedichte«. Privatsammlung Luigi Bellofatto

      Rechts: Christian Wilhelm Ketterlinus: »Eulogius Schneiders Hinrichtung am 1. April 1794 in Paris«. Kupferstich. Historisches Museum Straßburg.

      Leben und Karrieren standen in den Jahren nach der Revolution nicht selten auf des Messers Schneide. Ein Beispiel dafür ist auch Georg Forster, der bekannte Naturforscher, Ethnologe und Reiseschriftsteller, der seinen Vater Johann Forster auf James Cooks zweiter Weltumsegelung begleitete. Georg Forsters Buch, das 1780 unter dem Titel Reise um die Welt auf Deutsch erschien, machte ihn berühmt und beeinflusste Goethe, Johann Gottfried Herder und Alexander von Humboldt. In einem Tagebuch, das Beethoven 1812 zu schreiben begann, kopierte er Ausschnitte aus Forsters deutscher Übersetzung von Sakontala, einem Sanskrit-Drama aus dem 5. Jahrhundert von Kalidasa, der dafür alte indische Quellen verwendet hatte. Dieselbe Übersetzung faszinierte in den 1790er-Jahren Goethe und auch Schiller, der festhielt, »dass es im ganzen griechischen Altertum keine poetische Darstellung schöner Weiblichkeit oder schöner Liebe gibt, die nur von Ferne an die Sakontala reichte«. Forster, prominenter Freimaurer und wohl auch Illuminat, wurde 1788 Oberbibliothekar an der Universität Mainz, vier Jahre, bevor die Franzosen diesen Teil des Rheinlands besetzten. Als Anhänger der Revolutionsideale Freiheit, Gleichheit und Brüderlichkeit schloss er sich den Bestrebungen an, auf deutschem Boden eine Republik nach französischem Modell zu gründen. Nach der Gründung der Mainzer Republik reiste er 1793 als deren Abgesandter nach Paris. Am 30. März – zwei Tage, bevor Eulogius Schneider enthauptet wurde – nahm der Nationalkonvent das Ansuchen der Delegierten zur Angliederung des jungen Freistaates Mainz an Frankreich an. Zu Forsters Leidwesen wurde das Gebiet der Mainzer Republik bald darauf wieder von österreichisch-preußischen Koalitionstruppen erobert. Forster, nun zum Verräter erklärt, starb Anfang 1794 einsam in Paris.

      In den von Schiller und Goethe gemeinsam verfassten Xenien, satirischen Epigrammen von 1797, bezogen sich die beiden sowohl auf Schneider als auch auf Forster. Das Epigramm mit der Nr. 337 trägt den Titel Unglückliche Eilfertigkeit und kritisiert Schneiders unermüdlichen Ehrgeiz und jähen Fall:

      Ach, wie sie Freiheit schrien und Gleichheit, geschwind wollt’ ich folgen, Und weil die Trepp’ mir zu lang deuchte, so sprang ich vom Dach.

      Ein weiteres Beispiel für die prekäre Lage nach der Revolution ist von Beethovens engem Freund Franz Wegeler überliefert. Als er, Rektor der Bonner Universität und versierter Arzt, den Studenten jeden Kontakt mit infizierten französischen Soldaten während der Besetzung untersagte, um die Verbreitung ansteckender Krankheiten zu verhindern, wurde Wegeler in einem Artikel der Pariser Tageszeitung Moniteur bezichtigt, fanatischer Gegner der Republik Frankreich zu sein. »Damals«, hielt er später fest, »war noch la queue de Robespierre kaum weniger giftig, als sein Kopf es gewesen, und es galt den meinigen zu retten.« Vernünftigerweise folgte er darauf hin Beethoven 1794 nach Wien.

      Wie findet der von politischen Idealen inspirierte Künstler inmitten polarisierender Ideologien und wiederkehrender Kriegswirren seinen Weg? In Beethovens Augen brachte kein Künstler durch Vernunft gebändigte politische Überzeugungen so gut zum Ausdruck wie Friedrich Schiller, dessen Ideen einer ästhetischen Erziehung großen Einfluss auf den Komponisten hatten. Eine Studie über Schillers Wirkung auf Beethoven in Bonn macht darauf aufmerksam, wie zeitgenössische Dramatik und Literatur die Ansichten des jungen Komponisten geformt haben und wie er später mit eigenen Werken auf die Denker und Schriftsteller seiner Zeit reagierte.

      Schiller bekundete keine besondere Affinität zur Revolution in Frankreich. Doch aufgrund des Renommees, das ihm sein frühes Drama Die Räuber (1781) in revolutionären Kreisen eingebracht hatte, erhob der Nationalkonvent »Monsieur Gille« zum Ehrenbürger der Republik. Eine Ironie ist das insofern, als dieses Drama eine gnadenlose Darstellung von reinstem Besitzindividualismus ist: Karl Moor, Idealist, Kopf einer Räuberbande und von Schiller in einem Kommentar einmal als Ungeheuer bezeichnet, teilt die Macht nicht, sondern schwelgt in gewalttätiger Kriminalität – der Zweck heiligt die Mittel, lautet das Prinzip. Die Räuber sind kein Drama über Rebellion an sich, sondern eine Kritik am Ethos der Rebellen und an der anmaßenden Ambition Karl Moors.

      Friedrich Schillers Don Carlos, 1787 – noch vor seinem Umzug nach Jena und später nach Weimar – vollendet, vermittelt, dass individuelle Selbstkultivierung vor jedem revolutionären Idealismus steht. Signifikant taucht dieses Werk in Beethovens Bonner Stammbuch, aber auch in anderen Quellen auf. Von der intensiven Beschäftigung des Komponisten mit diesem Werk zeugen zwei Zitate, die er in den 1790er-Jahren Freunden übermittelte:

      Ich bin nicht schlimm, mein Vater – heißes Blut

      Ist meine Bosheit, mein Verbrechen Jugend.

      Schlimm bin ich nicht, schlimm wahrlich nicht – wenn auch

      Oft wilde Wallungen mein Herz verklagen,

      mein Herz ist gut.

       (2. Akt, 2. Auftritt)

      Die Wahrheit ist vorhanden für den Weisen,

      die Schönheit für ein fühlend Herz. Sie beide

      gehören für einander.

       (4. Akt, 21. Auftritt)

      Das erste Zitat stammt von dem verzweifelten Carlos, dessen geliebte Elisabeth von Valois seinen Vater, König Philipp, geheiratet hatte. Im zweiten Zitat spricht Marquis de Posa eben jene Königin Elisabeth an. Er tritt für die Einheit von Denken und Fühlen, von Kopf und Herz ein, was Schiller und Beethoven gleichermaßen überzeugt befürworteten. Aus derselben Szene im 4. Akt stammt ein weiteres Zitat in Beethovens Bonner Abschieds-Stammbuch. Er hält einen Gedanken Marquis de Posas fest, den dieser kurz vor seinem freiwilligen Opfertod an Carlos und die Nachwelt richtet:

      Sagen Sie ihm, dass er für die Träume seiner Jugend

      Soll Achtung tragen, wenn er Mann sein wird,

      Nicht öffnen soll dem tötenden Insekte

      Gerühmter besserer Vernunft das Herz

      Der zarten Götterblume – dass er nicht

      Soll irre werden, wenn des Staubes Weisheit

      Begeisterung, die Himmelstochter, lästert.

      Im Januar 1793, ein paar Wochen nach Beethovens Eintreffen in Wien, berichtete Schillers Freund Bartholomäus Ludwig Fischenich aus Bonn Charlotte Schiller, dass der junge Komponist daran denke, ein anderes bekanntes Werk des Poeten zu vertonen, und zwar eine Ode aus der Entstehungszeit des Don Carlos. Fischenich beschrieb Beethoven als einen »jungen Mann, dessen musikalische Talente allgemein angerühmt werden und den nun der Kurfürst nach Wien zu Haydn geschickt hat. Er wird«, fuhr Fischenich fort, »auch Schillers ›Freude‹, und zwar jede Strophe bearbeiten. Ich erwarte etwas Vollkommenes, denn so viel ich ihn kenne, ist er ganz für das Große und Erhabene.«

      Erst Jahrzehnte später, mit der neunten Sinfonie, erfüllte Beethoven sein jugendliches Vorhaben, Schillers An die Freude zu vertonen. Mit dieser späten Verwirklichung demonstrierte Beethoven wahrlich, dass er »die Träume seiner Jugend« geachtet hat, während er nach dem »Großen und Erhabenen« suchte, und dass er nicht daran »irre« wurde, wenn er hörte, dass »des Staubes Weisheit / Begeisterung, die Himmelstochter, lästerte«. Schiller selbst hatte sich in einem Brief an seinen Freund und Mäzen Christian Gottfried Körner