Schnee von gestern. Florian Asamer

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Название Schnee von gestern
Автор произведения Florian Asamer
Жанр Биографии и Мемуары
Серия
Издательство Биографии и Мемуары
Год выпуска 0
isbn 9783990403327



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Snowboards. Wo heute Kinder und Jugendliche hin- und hergerissen sind, weil sie sich nicht zwischen Skiern und Snowboards entscheiden können – und oft am Ende beides nicht ordentlich erlernen –, gab es früher keine Alternative. Die größten Exoten waren Skibob- und Telemark-Skifahrer. Aber dass wir unsere Pisten einmal mit einer völlig anderen Spezies würden teilen müssen, war für uns völlig unvorstellbar.

      Als die ersten Monoskier auftauchten, amüsierten uns die ungelenken Versuche Einzelner, eine Piste zu bezwingen, ohne die Beine bewegen zu können. Noch waren wir unbesiegbar, wir ahnten nicht, dass die Snowboarder unsere Welt aus den Angeln heben würden. Alles, was wir Skifahrer an Disziplin und Ehrenkodex erlernt hatten, zogen Snowboarder mit provokanter Lässigkeit ins Lächerliche. Uns war etwa eingeimpft worden, wenn dann nur am Pistenrand zu pausieren – im Idealfall fuhr man, ohne anzuhalten, bis zum nächsten Lift – und sich niemals hinter einer Kuppe zu versammeln. Dort war nun ohnehin kein Platz mehr. Wenn den Snowboardern nach Pause war, ließen sie sich wie fette Schmeißfliegen im Schwarm bevorzugt hinter einer Kante mitten auf der Piste nieder und hatten alle Zeit der Welt.

      Waren wir ausdrücklich angehalten worden, im unberührten Tiefschnee Spuren dicht an dicht zu setzen, damit auch für andere noch genug unverspurter Hang übrig blieb, pflügten die Snowboarder mit großzügigen Schwüngen quer über den Berg. Um ihn zu markieren, meinten wir und hassten die demonstrative Individualität, die sie unserer Angepasstheit entgegensetzten. Mit den Snowboardern hielt eine Rücksichtslosigkeit, aber auch Unbeschwertheit auf den Bergen Einzug, die beide für uns dort nichts zu suchen hatten. Dennoch beneideten wir sie insgeheim, den Berg so unbekümmert für sich allein zu beanspruchen. Und besser angezogen waren sie obendrein.

      So wie ein Franzose heute noch Erklärungsbedarf hat, wenn er ein Auto aus nicht französischer Produktion fährt, mussten es für uns natürlich österreichische Skier sein. Die Devise: Einen Völkl fährt man nicht. Niemals. Den fuhren deutsche Touristen, die sich schlecht benahmen und noch schlechter Ski fuhren. Auch ein Rossignol-Ski war völlig ausgeschlossen. Doch auch heimische Fabrikate signalisierten strenge Fraktionszugehörigkeit. Ein Kästle war ein Skilehrerski (den konnte man nur fahren, wenn man gut genug war), Fischer, Blizzard und Atomic so unterschiedlich wie die Weltreligionen. Und Kneissl blieb immer abgeschlagen. Nur als Franz Klammer mit Kneissl Rennen gewann, kam so manches Weltbild ins Wanken.

      Das Material war wichtig. Und es musste uns gehören. Dass ein Leihski auch Vorteile mit sich bringen könnte, hatte sich noch nicht herumgesprochen. Skiausleihen war etwas für Gelegenheitssportler. Wir wünschten uns eine neue Ausrüstung zu Weihnachten und hatten ganz genaue Vorstellungen, welches Produkt es zu sein hatte. Ein Ski musste grundsätzlich möglichst hart und lang sein. Je besser der Fahrer, desto größer die Differenz zwischen Körper- und Skilänge. Jeder Schwung wollte erkämpft sein. Noch immer fühlen wir uns ein bisschen lächerlich, wenn ein Carvingski fünf Zentimeter unter unserem Kinn endet.

      Auch die Wahl der Bindung war ein Offenbarungseid. Es gab zwei gängige Modelle: Salomon oder Tyrolia. Während man in die Salomonbindung einfach hineinsteigen konnte, musste man die Tyroliabindung, bevor man mit dem Skischuh hineinsteigen konnte, noch einmal fixieren, dabei gab es eine Variante für den wahren Kenner: die Markerbindung. Unsere Bindung an die Lieblingsmarke hält bis heute an.

      Das Outfit auf der Piste war natürlich wichtig. Grundsätzlich gab es zwei Skimoden-Philosophien. Die eine war eher am Rennsport orientiert. Man trug eine Jethose, eng anliegend, oft mit gepolsterten Knien und straffen Hosenträgern, die gar nicht notwendig gewesen wären, weil ohnehin nichts mehr rutschen konnte. Oben herum kombinierte man dazu in kalten Monaten einen Anorak, den Osterskilauf bestritt man in Pullover und Jethose, was als besonders schick galt. Zur Jethose passten gut Rennhandschuhe, die ein bisschen höher hinaufreichten als bis zum Handgelenk. Sie waren gepolstert, um sich nicht an den Stangen zu verletzen – obwohl wir natürlich nicht zwischen Stangen fuhren. Zum Rennoutfit gehörten eine Zeit lang auch gebogene Stöcke, die man in der Hocke besonders aerodynamisch unter die Arme klemmen konnte. Zum normalen Skifahren bewährten sie sich allerdings kaum.

      Das Gegenstück zur Jethosen-Fraktion waren diejenigen, die auf den Overall schworen. Der Einteiler hatte gegenüber der Hosen-Anorak-Kombination einen beträchtlichen Vorteil: Stürzte man, war kein Spalt zwischen Jacke und Hose, durch den der kalte Schnee an die Haut gelangen konnte, wo er dann langsam schmolz. Auch dem Wind am Sessellift hielt der Overall besser stand. Es gab aber auch einen nicht zu unterschätzenden Nachteil: Auf der Toilette blieb der Einteiler eine Herausforderung.

      Ein Kleidungsstück schlug zu unserer Zeit aber alles andere: ein roter Schilehrer-Anorak mit dem entsprechenden Skischulabzeichen. Und noch eine Sache einte fast alle: untendrunter, aber noch über der Skiunterwäsche trug man ein Mäserleiberl. Das „M“ am umgeklappten Stehkragen mit kleinem Zippverschluss passte immer, egal welcher Outfitgruppe man sich letztlich zugehörig fühlte.

      Ausschließlich Skilehrer trugen Rucksäcke, für Gummibärli, Schnaps und die obligate Schaufel. Notwendige Utensilien – Sonnencreme, Schokolade, Geld – wurden im sogenannten „Wimmerl“ untergebracht, einer Bauchtasche, die immer idiotisch aussah, egal ob man sie hinten oder vorne trug. Diese unentbehrliche Tasche wurde auch „Banane“ genannt. Erstaunlicherweise sind Bauchtaschen, die auch bei Interrailreisen mitdurften, heute wieder im Trend.

      Noch vor der Erfindung der Snowboards begann sich der starre Dresscode zu lockern. Plötzlich war es schick, in Jeans die Pisten hinunterzufahren, ein Trend, der ein paar Jahre zuvor noch undenkbar gewesen war. Wer einmal stürzte, fror sich zu Tode. Jeans zu tragen hieß also, ein garantiert sturzfreier Fahrer zu sein. Dieser Größenwahn rächte sich von allein.

      Auch dünne Nylonoveralls und Schneehemden der Marke „Champion“ in Neonfarben (Gelb, Grün, Pink), die man einfach über die Zivilkleidung streifte, waren eine fast unerhörte Neuerung. Heute schauen wir immer noch ein bisschen neidisch und ungläubig auf die Snowboard-Outfits. Vor allem für diese Schuhe hätten wir getötet.

      Einer der Fixpunkte im Schulkalender der 1980er-Jahre war der Schulskikurs. Von Vorarlberg bis Wien obligatorisch, von vielen herbeigesehnt, von manchen auch ein bisschen gefürchtet. Der Skiausflug mit der Schulklasse war nämlich nichts für verweichlichte Naturen. Zum einen wegen des Reisezeitpunktes. Weil Skifahren immer schon teuer war, sucht man möglichst eine Woche in der Nebensaison, vorzugsweise im saukalten Jänner oder Februar in einem abgelegenen Skigebiet, das idealerweise noch als Schneeloch verschrien war. Und während man in den Skiferien mit den Eltern bei Schlechtwetter zumindest partiell auf Gnade hoffen konnte – „Gut, heute hören wir schon zu Mittag auf und gehen noch ins Hallenbad“ –, war das Nine-to-four beim Schulskikurs nicht verhandelbar.

      Egal ob es schneite, nebelig war, minus 20 Grad hatte oder alles zusammen, die Gruppe brach im Morgengrauen auf. Wobei das natürlich schon auch stark vom Lehrer abhängig war, der eine Gruppe leitete. Da konnte man dem gefürchteten Sportprofessor zugeteilt werden, der allein nach 16 Uhr die Tourenski anschnallte, um sich noch ein bisserl an der frischen Luft zu bewegen (den gab es wirklich, Name den Autoren bekannt), für den jede Minute länger in der Hütte eine persönliche Niederlage war. Oder eben jene Geschichtelehrerin, die prinzipiell eher eine Anhängerin des Sonnenskilaufes war und auch der Geschichte der Hüttenkultur durchaus etwas abgewinnen konnte.

      Nicht nur die Witterung, auch das Quartier war häufig nichts für schwache Nerven: Spartanische Jugendherbergen mit Sechs- bis Achtbettzimmern samt fragwürdigsten Sanitäreinrichtungen am Gang und wirklich grenzwertiger Verpflegung. Vom hygienischen Aspekt her war es immerhin ein Riesenvorteil, dass sich jenseits der Baumgrenze und bei zweistelligen Minusgraden auch das Ungeziefer schwertat zu überleben.

      Neben diesen allgemeinen Umständen, die einen Schulskikurs zur Bewährungsprobe machen konnten, kamen auch noch zwei höchstpersönliche Schicksalsentscheidungen dazu: Welcher Gruppe wirst du zugeteilt? Und in welches Zimmer kommst du? Die Zimmerbesetzung wurde schon Wochen vor dem Skikurs heftig diskutiert.