Schnee von gestern. Florian Asamer

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Название Schnee von gestern
Автор произведения Florian Asamer
Жанр Биографии и Мемуары
Серия
Издательство Биографии и Мемуары
Год выпуска 0
isbn 9783990403327



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In Hohlwegen konnte man wie in einer Bobbahn Kurven in der Waagrechten ausfahren, Waldwege waren ein einziger Hindernisparcours. Wenn wir darüber nachdenken, was wir alles gemacht haben, sind wir vielleicht doch froh, dass unsere Kinder ihre Nachmittage vor der Xbox verbringen. Nein, eigentlich sind wir das nicht.

      Der beste Teil am Skifahren ist – heute wie damals – das Danach. Nichts von dem, was gemeinhin als Après-Ski beschrieben wird, fühlt sich so gut an, wie das Ausziehen der Skischuhe nach der letzten Abfahrt. Das Kribbeln der Beine, die langsam wieder ausreichend durchblutet werden. Der Schmerz in den Zehen, wenn sich die Kälte langsam zurückzieht und das Gefühl zurückkehrt. Die ersten Minuten irgendwo im Warmen, wenn die Heizung zu wirken beginnt und man sich aus dem feuchten Anorak schälen kann und die Wangen zu glühen beginnen. Der große Appetit auf Schokoriegel und Traubenzucker, die nie so gut schmeckten wie nach einem langen Skitag. Daran hat sich wenig geändert.

      Das echte Après-Ski, also in Hütten, Bars und Discos in Skischuhen zu tanzen (wenigstens konnte einem niemand auf die Zehen treten) und so lange der Wodka-Feige zuzusprechen, bis der nächste Skitag erst nach Mittag beginnen konnte, blieb uns noch verwehrt.

      Ein richtiger Skitag begann mit einem opulenten Frühstück. Im Skiurlaub stimmte der Spruch von der wichtigsten Mahlzeit des Tages, der uns während der Schulzeit das flaue Gefühl im Magen nicht nehmen konnte. Wir aßen, was wir kriegen konnten. Eier in allen Zubereitungsformen und dazu frische, aber meist zähe Semmeln. Marmelade war entweder sehr orange oder sehr rot, sehr süß, und in ihr war kein einziges Fruchtstückchen zu finden. Manchmal sehnen wir uns heute noch nach dieser durch und durch künstlichen Marmelade, während uns ein Cranberry-Wacholder-Weichsel-Aufstrich mit ganzen Fruchtstücken und garantiert ohne Geschmacksverstärker serviert wird.

      Der Zeit nach dem Skifahren kam große Bedeutung zu, weil es einen großen Teil des Tages betraf. Denn selbst wenn wir die Liftkarten ausgefahren, die Punktekarte bis auf den letzten Punkt ausgequetscht und mit der letzten Gondelbergfahrt noch einmal ganz hinauf gefahren waren: Es blieb noch jede Menge Tag übrig. Wo heute in jedem Hotel ein Wellnessbereich auf seine Gäste wartet, mussten wir uns, wenn überhaupt, mit dem örtlichen Hallenbad behelfen. Manchmal zogen wir, während sich die Eltern vor dem Abendessen noch einmal hingelegt hatten, unsere Moonboots an – das glatte Gegenteil von Skischuhen, warm und weich und unendlich bequem und noch nicht von Hansi Hinterseer unmöglich gemacht – und spazierten in der Dämmerung durch den Ort. Wir kletterten in den hohen Schneehaufen, die von riesigen Baggern den Winter über aufgetürmt worden waren, um Straßen und Parkplätze freizubekommen. Doch die eigentliche Faszination unserer Skiferienabende lag unter der Erde. Dort war so gut wie immer der Skikeller untergebracht. Da wurden abends noch von fachkundigen Einheimischen die Ski gewachst, von einem alten Bügeleisen tropfte da rosafarbenes oder gelbes Wachs auf die Skier – den Geruch haben wir noch heute in der Nase. Manchmal durften wir beim Abziehen helfen. Und schauten dann noch einmal zu, wie der Besitzer des Hotels die Kanten der Skier schliff. Vor dem alles entscheidenden Abschlussrennen des Skikurses wurde unseren Skiern diese Spezialbehandlung auch zuteil. Wir haben uns wahnsinnig schnell gefühlt, gewonnen haben wir dann trotzdem nicht.

      Neben dem Skikeller gab es meist einen Aufenthaltsraum. Je nach Größe der Pension oder des Hotels standen dort nur ein paar Tische und Regale mit diversen Brett- und Kartenspielen, manchmal sogar ein Tischtennis- oder ein Billardtisch. Dort unten verbrachten wir jede freie Minute, quasi als Ausgleich zur vielen frischen Bergluft, die wir tagsüber abbekamen. Unser Highlight waren die ersten Videospielautomaten. Da gab es etwa das legendäre Teletennis, einen schwarz-weißen Fernseher, der in einen Tisch eingelassen war, mit zwei kleinen weißen Strichen, die man mit zwei Knöpfen nach links und rechts lenken konnte. Dazwischen zischte ein winziger weißer Pixelball hin und her. Wir konnten uns, selbst wenn wir nur zuschauen durften, wie andere spielten, kaum losreißen. Später dann gab es auch die ersten Pacman-Spiele, sogar schon mit verschiedenen Farben. So verbrachten wir unsere Tage wechselweise ganz weit oben oder tief unten im Keller.

      Skifahren früher, das war viel kälter. Der Wunderstoff Goretex war zwar Ende der 1970er-Jahre schon erfunden, aber es dauerte noch lange, ehe er die Sportbekleidung revolutionierte. Die Finger waren klamm in nassen Handschuhen, man fror im Skianzug, der schon nach wenigen Stürzen feucht war und nie mehr trocknete. Skifahren früher, das hieß auch, endlose Schichten an „Untendrunter“ zu tragen. Wir, die Kinder der 70er, haben damals den Zwiebellook erfunden, aber der war nicht leicht und schick, es war ein Gewurschtel, kratzig, und schnürte einem die Luft ab.

      Die Skischuhe waren wie Schraubstöcke. Entweder man ließ die Schnallen auf Stufe eins und rutschte im Schuh herum. Oder man zog die Schnallen an, dann war der Schmerz nach kurzer Zeit zwar vorbei, aber nur deshalb, weil wir die Füße gar nicht mehr spürten. Die Skischuhe waren noch so bockig und steif, dass man die Schnallen, wenn man sie einmal unvorsichtigerweise öffnete, weil man sich kurze Erleichterung erhoffte, nicht mehr schließen konnte. Und obwohl wir teilweise zwei Paar Skisocken übereinander trugen, froren wir uns die Zehen blau. Neidisch schauten wir auf die paar wenigen Privilegierten, die geschäumte Skischuhe trugen. Was wir nicht wussten: Wenn sich der Fuß zum Beispiel wegen einer Schwellung während eines Skiurlaubes geringfügig änderte oder es im Frühling sehr warm wurde, drückte nichts mehr als diese Luxusmaßanfertigung.

      Bei den Skischuhen galt übrigens: je mehr Schnallen, desto besser. Fünf Schnallen waren zum Beispiel ähnlich attraktiv wie acht Zylinder bei einem Auto. Dann irgendwann kamen einschnallige Skischuhe mit dem sogenannten Heckeinstieg auf den Markt. Die Einschnaller waren ein Zeit lang sehr gefragt: Man konnte mit ihnen hervorragend gehen, aber mangels Halt leider nicht Ski fahren. Der sportliche Aspekt besiegte schließlich die Bequemlichkeit, die Schnallen kehrten zurück.

      Auch eine andere kurzzeitig dominierende Erscheinung entpuppte sich als Eintagsfliege: die Parablacks. Vor allem Skifahrer aus dem Osten des Landes befestigten die zwei Aufsätze hinter den Skispitzen und glaubten das Versprechen, damit das Überkreuzen der Skier zu verhindern – man fuhr ja so eng wie möglich. Die Idee der Parablacks war gewinnend, leider scheiterte es an der Umsetzung. Hatte man die Skier einmal überkreuzt, blieben sie dank Parablacks für immer überkreuzt. Die Bindung war natürlich immer möglichst so eingestellt, dass sie beim nun unvermeidlichen Sturz keinesfalls aufging.

      Wie man Ski fährt, ist eine Stilfrage, somit geschmacksabhängig. Wobei – eigentlich nicht so ganz. Der Westösterreicher erkannte den Ostösterreicher auf den ersten Blick, speziell den Wintersportler aus Wien: an seinem verkrampften Bemühen, die Beine zusammenzuhalten. Der Parallelschwung war das Maß aller Dinge, aber nicht alle beherrschten ihn. Dieses Kurzschwingen um jeden Preis, egal wie Gelände und Schnee auch beschaffen waren, galt dem Pistenkönig aus dem Osten als Ausweis seiner Meisterschaft, für die Einheimischen war es ein Grund zum Lachen. Genauso wie eine Plakette vom bevorzugten Skiurlaubsort am Autoheck. Die Ost-Wedler wedelten in erster Linie mit den Schultern und dem Hintern, an den Skiern konnte man kaum mehr eine Richtungsänderung wahrnehmen. Aber auch sie lernten dazu. Nach der Jahrtausendwende haben wir diese Form des Skifahrens schließlich noch einmal gesehen, als der damalige Bundeskanzler Wolfgang Schüssel seine Wedelkünste vor der Kamera an die Wähler bringen wollte.

      Auch hier müssen wir neidlos zugestehen, dass Carvingskier die Wende zum Besseren brachten und dem guten alten Riesentorlaufschwung, der immer schon der König der Schwünge war, zum Durchbruch verhalfen. Hermann Maier gilt bis heute noch als Vorbild für die Frage, wie das gute Skifahren auszusehen hat. Der Richtungsstreit wurde zugunsten von breitbeinig entschieden. Nur ein paar Verklemmte klemmen immer noch die Beine zusammen.

      Zum Skifahren gab es damals grundsätzlich nicht so viele Alternativen. Im Sommer ging man Rad fahren und schwimmen, im Winter rodeln und Ski fahren. Langlaufen war für uns Spazierengehen mit Skiern an den Füßen. Und mit Spazierengehen konnte man uns jagen. Sonst spielten weder die Verlockungen von Computerkonsolen noch die Alternativen