.

Читать онлайн.
Название
Автор произведения
Жанр
Серия
Издательство
Год выпуска
isbn



Скачать книгу

Österreichs durch die internationalen Gesprächskontakte über das Clearing House Wien zu erhöhen – er strebte mehr Sicherheit durch langfristige Präsenz Internationaler Organisationen in Österreich an. Die Entscheidung, den dritten Amtssitz der UNO nach Wien zu holen, war vom Prinzip her bereits in der Zeit der ÖVP-Alleinregierung Klaus getroffen worden, aber von Kreisky gegen heftigen öffentlichen Widerstand umgesetzt worden.

      Selbst in Phase intensivster Entspannungspolitik als auch im 2. Kalten Krieg ab 1980/​1981 sollten aber die Kontakte mit Menschrechtsaktivisten und Oppositionellen im kommunistischen Blocksystem nicht abreißen, und Kreiskys intervenierte hinter den Kulissen, um Verfolgungsmaßnahmen zu lindern (so im Falle von Václav Havel oder Andrej Sacharow). Manchmal machte Kreisky seine Stimme auch öffentlich hörbar, etwa bei der Unterzeichnung der KSZE-Akte in Helsinki 1975. In der Nahost-Frage plante er früh, ohne je das Existenz-Rechts Israels, wo auch sein Bruder Paul lebte, in Frage zu stellen, Zugang zu arabischen Staaten zu finden und eine Politik der Äquidistanz – gute Kontakte ebenso zu Ägypten wie zu Israel – umzusetzen. Erst nach einer Fact Finding Mission der Sozialistischen Internationale 1974 ergriff Kreisky immer stärker die Initiative, um die PLO und deren Vorsitzenden Arafat als den zentralen Gesprächspartner Israels für eine friedliche Lösung des Nahost-Problems auch in Westeuropa und den USA einzuführen. Ein sichtbarer Erfolg war das Treffen zwischen Brandt, Arafat und Kreisky in Wien am 7. Juli 1979. Ein Jahr zuvor hatte Kreisky mit dem ägyptischen Präsidenten Sadat und Israels Oppositionsführer Shimon Peres sowie mit Brandt in Salzburg Lösungsmodelle diskutiert.

      Kreiskys Art zu denken und politische Visionen zu entwickeln, ist nach wie vor faszinierend. Bereits in den Sechzigerjahren reflektierte er über ein Europa, das den gesamten Kontinent umfassen sollte, wie sein Plädoyer für eine gesamteuropäische Integration, das er 1964 (!) schrieb, zeigt: »Bei Beurteilung dessen, was uns Europa gilt, stellt sich die Frage nach dem letzten Sinn der europäischen Einigung, denn die Einheit an sich muss noch nichts wirklich Großes und Bedeutungsvolles sein. Wir wollen ein hohes Maß an europäischer Integration im Wirtschaftlichen, im Kulturellen und im Politischen, weil wir – und das ist doch das erste – endgültig die kriegerischen Auseinandersetzungen verhindern wollen, die zweitausend Jahre lang diesen Kontinent durchtobten und zweimal die Ursache globaler Kriege waren. Wir wollen die wirtschaftliche Integration Europas, weil durch sie doch in Wirklichkeit die politischen Klammern geschaffen werden, die dieses Europa zusammenhalten und darüber hinaus die Voraussetzung dafür sind, dass dieses Europa immer reicher wird, immer besser seine gewaltigen personellen und materiellen Ressourcen auszunützen in der Lage ist. Wir brauchen diesen Reichtum Europas, um ein immer höheres Maß an sozialer Gerechtigkeit für seine Menschen zu verwirklichen.«

      Oliver Rathkolb, März 2007

      

       Schulausflug der 4. Klasse Volksschule mit Lehrer Michl, Mai 1921. Bruno Kreisky in der ersten Reihe, vierter von rechts.

      Begonnen hat es eigentlich mit meinem Großvater, Benedikt Kreisky. Genaugenommen mit dem alten österreichischen Reichsvolksschulgesetz aus dem Jahre 1869, in dem festgelegt war, dass man das sechste Lebensjahr vollendet haben musste, um eingeschult werden zu können. Ich wurde am 22. Jänner 1911 in Wien in Niederösterreich geboren, und so ereilte mich mein Schicksal am 1. September 1917 in der allgemeinen Volksschule Wien 6., Sonnenuhrgasse 3. Dass es eine allgemeine Volksschule war und nicht die vis-à-vis gelegene evangelische Privatschule, ist meinem Großvater zu verdanken.

      Meine Familie legte offenbar großen Wert darauf, die Gelegenheit meiner Einschulung wahrzunehmen und meine Begabung feststellen zu lassen. Mein Großvater als ehemaliger Oberlehrer und stellvertretender Direktor der Lehrerbildungsanstalt in Budweis hat sich den Buben angesehen und ihn in sachkundiger Weise auf seine Schulreife überprüft. Die Prozedur war recht quälend. Auf einem Blatt Papier hat er mir einen einfachen Satz aufgeschrieben, wobei jedes Wort eine neue Zeile bildete. »Jetzt machen wir eine schöne Satzanalyse«, hat er gesagt, »und wenn du brav bist, bekommst du aus meiner alten Schnupftabakdose ein Malzzuckerl.« Die Malzzuckerln waren recht »verpickt«, die Schnupftabakdose aber hatte die wunderbare Eigenschaft, beim Öffnen eine Melodie zu spielen: »Üb’ immer Treu und Redlichkeit bis an dein kühles Grab.« Offensichtlich gehörte die Schnupftabakdose zum pädagogischen Programm meines Großvaters, denn mit jedem Malzzuckerl hat er mir den Sinn des Liedes aufs Neue zu erklären versucht.

      In der Familie Kreisky, so weit sich das überblicken lässt, hat es niemanden gegeben, der einen schlechten Leumund gehabt hätte. Die fünf Brüder Kreisky und die beiden Schwestern waren der Inbegriff der Redlichkeit, und sie waren es mit einer solchen Selbstverständlichkeit, dass eigentlich Zweifel hierüber nie entstanden sind. Ein einziger von ihnen, der jüngste, war infolge seiner späten Heirat und seiner »Liederlichkeit«, was Damen betraf, ein wenig anrüchig geworden, aber irgendwie tolerierte man das beim Jüngsten und Lebensfreudigsten. Das gehobene Bürgertum, zu dem die Familie gehörte, war in seiner Mehrheit von gleicher moralischer Qualität.

      Mein Großvater mußte schon deshalb meine Erziehung in die Hand nehmen, weil mein Vater eingerückt war. Als der Krieg ausbrach, war ich dreieinhalb Jahre alt, und so verband ich kaum eine konkrete Erinnerung mit meinem Vater. Es hieß, dass er »im Felde« sei, aber was sollte ich mir darunter vorstellen? Ich genoss die kleinen Freiheiten, die mir meine Mutter gewährte und die bei meinem Vater wohl kaum denkbar gewesen wären. Aber eines Tages wurde mir bewusst, dass zwischen meinem Vater und diesem Krieg ein Zusammenhang besteht, und so erlangte der Krieg für mich eine sehr persönliche Dimension. Es ist eine Erinnerung, die mir heute noch so lebendig ist, dass sie mich quält.

      In der Mollardgasse, gegenüber dem Park, in dem ich als Kind fast täglich gespielt habe, lag die »k. k. Zentral-Lehranstalt für Frauengewerbe«, die spätere »Wiener Fortbildungsschule«, die seit Kriegsausbruch als Lazarett diente. Einen Kilometer entfernt war der Frachtenbahnhof der Südbahn, wo die Züge mit den Schwerverwundeten vom Isonzo eintrafen. Die Verwundeten wurden auf kleine Sanitätswagen mit eisenbeschlagenen Rädern geladen. So sind sie polternd den Gürtel hinuntergefahren, und bei vielen machte man sich nicht einmal die Mühe, sie zuzudecken.

      An der Straße sind wir Fünf- und Sechsjährigen gestanden und haben diesen täglichen Blutzoll mit unschuldigen Augen wahrnehmen müssen. Halbverstümmelte Männer, Männer ohne Beine, ohne Arme, mit verbundenen Köpfen zogen an uns vorüber, denn die Sanitätswagen haben nie ausgereicht. Das war für uns das Kriegserlebnis. Und da Kindheitserinnerungen aus Kriegszeiten viel einprägsamer sind als Kindheitserinnerungen aus Friedenszeiten, erinnere ich mich noch sehr gut, wie es mich eines Tages mit ganzer Wucht erfasst hat, dass einer von diesen Männern mein Vater sein könnte. Es war an einem bestimmten Tag, zu einer bestimmten Stunde, als mich grenzenlose Angst vor dem Krieg überkam.

      Er hatte etwas Unheimliches, Allgegenwärtiges. Einmal haben meine Mutter und ich meinen Vater nach einem kurzen Fronturlaub auf den Südbahnhof begleitet, wo der Soldatenzug abfuhr. Und das letzte, was meine Mutter meinem Vater zurief, war: »Pass auf dich auf!« Ich habe das ein bisschen komisch gefunden und meine Mutter auf dem Nachhauseweg gefragt, wie denn mein Vater eigentlich auf sich aufpassen könne. Die Kugeln passen ja nicht auf ihn auf, die schwirren um ihn herum, wie soll er sich da schützen können? Meine Fantasie erhielt natürlich durch die Nachrichten über die Gefallenen aus der Familie ständig neue Nahrung. Ein entfernter Verwandter, Alfred Kreisky, liegt als eines der ersten Opfer des Krieges auf dem Heldenfriedhof in Belgrad.

      Meinem Großvater oblag auch die Verwaltung des Vermögens einiger Brüder meines Vaters. Es waren junge, in der Regel gut verdienende Männer, und dank der einen oder anderen kleinen Erbschaft und Mitgift war ein wenig Kapital zusammengekommen. Als großer Patriot zeichnete mein Großvater Kriegsanleihen, was den Verlust des gesamten Vermögens der Kreiskys zur Folge hatte. Als ich meinen Großvater im Jänner 1926, wenige Tage vor seinem Tod, im Rudolfinerhaus besuchte, habe ich ihn gefragt, warum er das Geld seiner Söhne in Kriegsanleihen angelegt habe. 1866, im preußisch-österreichischen Krieg, war mein Großvater als Soldat bei Königgrätz gestanden,