Im Schatten des Wolfes. H.E. Otys

Читать онлайн.
Название Im Schatten des Wolfes
Автор произведения H.E. Otys
Жанр Современная зарубежная литература
Серия
Издательство Современная зарубежная литература
Год выпуска 0
isbn 9783964260468



Скачать книгу

oder eine Flucht zu wagen. Für den Moment ergab sie sich ihrem Schicksal und ließ die Dinge geschehen. Sie handelte weise, denn in ihrer Zurückhaltung gab sie den anderen Nordmännern nicht noch mehr Gründe, sie nicht zu mögen. Ihre Schweigsamkeit würde sich auch in der Halle auszahlen, wenn sie sie beibehielt. Und das würde sie.

      Als er sich abwandte, bemerkte Robyn, wie sich das Packpferd in Bewegung setzte. Es trottete den anderen hinterher, ohne geführt zu werden. Es fiel ihr nicht schwer, dem Pferd zu folgen. Es machte kurze, langsame Schritte, dem weichen Unterboden misstrauend. Robyn zog die Decke enger um sich, als sie den Wald betraten, und schaute vorsichtig um sich. Noch immer dampfte der Schnee um sie, die Tannen verloren unter dem leichten Wind Teile ihres weißen Kleides. Das Pferd erschreckte nicht einmal, als etwas davon auf seine Kruppe fiel. Der Tross zählte etwa fünfzehn Pferde, schwer beladen mit Kisten, Säcken, Körben und anderen unhandlichen Gegenständen. Die Nordmenschen gingen neben den Pferden, einige Frauen saßen auf den schweren Pferden der Heimkehrer, die in einiger Entfernung parallel zu ihnen den Wald durchritten. Die Pferde hatten keine Mühe, die doppelte Last zu tragen. Zu Robyns Erstaunen tauschten die Männer und die Frauen Vertraulichkeiten aus, flüsterten, lachten sogar leise.

      Dies waren keine Konkubinen. Keine Frauen für ein kurzes Vergnügen. Es waren Ehefrauen. Ehefrauen, die auf die Rückkehr ihrer Männer gewartet hatten. Sehnlichst gewartet hatten.

      Dann hörte sie das leise Tuscheln. Ihr rechtes Ohr fing es vor ihr auf. Unsichere Blicke gingen von den Nordmenschen zu ihr hin. Sie versuchte sie zu ignorieren, doch es fiel ihr schwer. Zudem fröstelte sie mehr als zuvor. Der Stoff um ihre Beine begann durchzunässen, der Wind nahm zu, je lichter der Wald wurde. Der Blick auf das Dorf der Nordmänner wurde frei. Einige Leute kamen ihnen aus dem Dorf entgegengelaufen, ältere Leute, für die der Weg zum Strand zu beschwerlich gewesen war.

      Um sich abzulenken, konzentrierte sich Robyn auf alle Einzelheiten der Menschen und ihres Dorfes. Die offensichtlichen Verteidigungsanlagen, Wälle, ein Graben mit Pfählen. Holz war das bevorzugte Baumaterial, der Wald gab ihnen genug davon. Ihre Häuser schienen stabiler als manch angelsächsisches Haus. Robyn hatte von der Kunstfertigkeit der Nordmänner gehört. Handwerker, Waffenschmiede, Schiffsbauer, nichts, was sie nicht herstellen konnten. Schmuck, eine Seltenheit unter angelsächsischen Frauen, den höhergestellten vorbehalten, trug hier nahezu jede Frau. Ketten, Armreifen, kunstvolle Fibeln, Haarschmuck. Robyn hatte, obwohl Ath ihr jeden Wunsch erfüllt hätte, nie viel davon gehalten. Gleichwohl beeindruckten sie die Kostbarkeiten.

      Der Weg zum Dorf führte eine kleine Erhebung hinauf. Wie weit das Dorf hinter dem Hügel fortlief, vermochte Robyn nicht zu sagen, nur dass es sich zu ihrer Linken im Wald fortsetzte.

      Die große, lang gestreckte Halle auf dem Bergkamm war nicht die erste dieser Art, die Robyn erblickte. Sie hatte ihren Vater stets auf seinen Reisen begleitet, sich im Hintergrund gehalten wie es sich für eine gute Tochter ziemte, seine Briefe und Rechungen und andere Papiere bearbeitet, seine Waren aufgelistet, ihrem Vater die Verhandlungen überlassen. Und sie hatte beobachtet und gelernt, Menschen einzuschätzen, ihre Sprachen zu sprechen, ihre Taktiken zu durchschauen, ihre Gepflogenheiten, ihren Glauben, ihre Medizin, ihre Bauweise, ihre Waffen, die sichtbaren und die unsichtbaren, mit denen man zuweilen mehr Schaden anrichten konnte als mit Schwertern und Äxten. Nordmänner beherrschten diese Waffe besonders gut. Respekt, Ehre, Wahrheit. Ihnen galten diese Wörter noch etwas. Wer sich nicht daran hielt, fiel in Ungnade und wurde bestraft mit Nichtachtung, Zorn und Zynismus. Ath hatte nie Probleme mit ihnen gehabt, umso freier hatten er und Robyn sich unter ihnen bewegen können. Sie hatten vorzügliche Geschäfte in Hedeby abgeschlossen. Und Robyn hatte ihre Hallen bewundern können, das ausgesuchte Holz, die Mächtigkeit dieser Bauten, ihre Ewigkeit, die geschickten Schnitzereien, innen und außen.

      So wie jene, vor der sie jetzt hielten. Während die Nordmenschen die Packpferde abluden, stand Robyn teilnahmslos daneben und versuchte, sich unauffällig zu verhalten. Die große Tür der Halle ließ etwas Licht ins Halbdunkel nach draußen fallen. Der Geräuschpegel der Menschen um sie war gesunken, fast wortlos arbeiteten sie, brachten die Güter ins Innere der Halle. Der Dunst vermischte sich mit ihrem Atem, nur vereinzeltes Flüstern war noch zu hören. Vor allem die Frauen beäugten sie nach wie vor misstrauisch. Robyn trat unauffällig von einem Fuß auf den anderen. Der Stoff war inzwischen vollkommen durchnässt, aber sie musste noch aushalten, musste erfahren, was mit ihr passieren würde, musste stark sein.

      Für einen Moment dachte sie an ihren Vater. Was mochte er gerade tun? Ob er sie suchen lassen würde?

      Nach all den Jahren hatten sich ihre Wege wieder getrennt. So abrupt wie sie einander begegnet waren, einander geliebt und geachtet hatten, so jäh waren sie wieder auseinandergerissen worden. Und nichts konnte sie wieder zusammenbringen. Robyn war sich während der Fahrt darüber klar geworden. Es gab kein Zurück. Wenn im Frühjahr wieder an eine Flucht zu denken war, würde man sie nicht mehr gehen lassen. Wenngleich sie keine Sklavin sein würde, sollte der Nordmann sein Wort halten, hatten die Nordmenschen hier Macht über sie. Einer Macht, der sie ausgeliefert war, jetzt und im Frühjahr.

       Ath, geliebter Vater.

      Robyn stieß leise den Atem aus.

      Ich werde dich nicht enttäuschen. Der Kreis schließt sich. Ich werde immer deine Tochter sein, aber vielleicht hat mich diese Reise dorthin geführt, wo ich wirklich herstamme.

      Einer der Nordmänner schob sie unsanft in die Halle. Robyn holte tief Atem, sie wusste, was sie drinnen erwarten würde. Abgestandene, von Rauch erfüllte Luft. Das Feuer in der Mitte der Halle brannte lichterloh und sie war dankbar für die Rauch durchzogene, warme Luft. Der Nordmann ließ irgendwann ihren Arm los. Sie stand inmitten der mitgebrachten Kisten, Körbe und Säcke. Die anderen Nordmenschen saßen auf Bänken oder standen um das große Feuer, hinter dem sich ein Thron und drei weitere aus feinstem Holz geschnitzte Sitzgelegenheiten befanden. Den Thron und die zwei Stühle daneben nahmen der König und seine beiden Söhne ein. Die Ähnlichkeit war unverkennbar, beide Söhne hatten das rote Haar des Königs, wenngleich es bei letzterem von grauen Fäden durchzogen ein derbes, wettergegerbtes Gesicht umrahmte. Robyn starrte ihn augenblicklang an, fing seinen Blick kurz auf, als er über seine Untergebenen und die Ladung des Schiffes hinwegsah. Sie schlug den Blick sofort nieder. Ihre Gänsehaut rührte nicht mehr nur von der Kälte. Sie mochte den König nicht, ohne ihn zu kennen, ohne ihn sprechen gehört zu haben.

      Wulf hatte ihre Reaktion beobachtet, während er seine Männer zum Thron führte und dort für einen Moment zähneknirschend ein Knie den Boden berühren ließ, während er den Kopf vor seinem König senkte.

      »Seit unserem letzten Wiedersehen sind keine Männer gefallen«, sagte er, als sie sich wieder erhoben hatten. »So kann ich dir die Leibgarde des Kaisers von Byzanz vollzählig übergeben, auf dass sie nun endgültig in deinen Diensten steht. Der Kaiser entsendet seine Grüße und dankt dir für den Schutz seiner Person, der durch deine Männer gewährleistet wurde. In diesem Moment sind wir entbunden von unserer Pflicht, einem fremden Herrscher zu dienen und kehren heim. Der Kaiser schickt dir diese Geschenke.« Wulf wies auf die Ladung. »Stoffe, Gewürze, Seide, Wein, Silber und erlesene Juwelen. Du sollst dich daran erfreuen und deinen alten Freund nicht vergessen. Er wird dich immer willkommen heißen.«

      Robyn schaute verstohlen auf die Männer, die vor dem König standen. Schaute auf ihren Retter. Die Leibgarde eines Kaisers. Durch ihr unbekannte Umstände an eine Pflicht gebunden, fern der Heimat zu dienen. Diese Männer hatten sie gerettet. Ihr Kommandant hatte sie gerettet. Sie musste den Blick erneut niederschlagen. In ihrem Kopf begann das quälende Hämmern, ihre Gedanken zu stören. Sie kniff die Augen zusammen, presste ihre Lippen aufeinander. Ihre Fäuste ballten sich unter der Decke, die Anspannung musste ihr helfen, sie musste dies hier durchstehen. Ohne sich innerlich zu lösen, lauschte sie den Worten des Königs.

      »Hab dank für deine Worte. Wir erwarteten euch bereits vor zwei Tagen. Die Jahre in Byzanz haben euer Seefahrerblut nicht verdünnen können, ich sehe, ihr habt den Sturm gut überstanden ...«

      Seine Stimme war quälend. Robyn verkrampfte sich noch mehr unter der Decke. Wärme, wo war die Wärme in seiner Stimme für jene Männer, die für ihn lange