Im Schatten des Wolfes. H.E. Otys

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Название Im Schatten des Wolfes
Автор произведения H.E. Otys
Жанр Современная зарубежная литература
Серия
Издательство Современная зарубежная литература
Год выпуска 0
isbn 9783964260468



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meinst, ich hätte sie nicht aus dem Wasser ziehen sollen?« Wulf klang ungläubig.

      »Nun, Wulf, ich glaube, du hast das richtige getan. Alles hat seinen Grund. Auch, dass du so empfindest und sie nicht hast ertrinken lassen, wie es deine Männer wahrscheinlich getan hätten.«

      Arnulf tauschte einen Blick mit Annija. Sie schien dem zuzustimmen.

      »Wulf«, meinte Arnulf eindringlich, »anders als die meisten Männer hier, jedoch auch deine eigenen Männer der Leibgarde, kennst du Mäßigung und Zurückhaltung. Du hast einer Frau mehr zu bieten. Deine erste Frau verstand das nicht, sie hat dafür bezahlt ...«

      »Arnulf«, sagte Annija leise, doch Arnulf ließ sich nicht beirren.

      »Nein, Annija, Dora war ein schlechter Mensch und hatte Wulf nicht verdient. Den Tod vielleicht nicht, aber verursacht hat sie ihn selbst, während sie im Kindsbett Wulf ihre Untreue offenbarte. Ein Knabe mit roten Haaren ...« Arnulf hätte ausspucken mögen. »Ich kann nicht sagen, dass mir Dora leidtut, der Knabe schon ... sein Fehler war es nicht ... aber vielleicht ist es gut so, dass sie beide dabei starben ...«

      »Arnulf«, sagte sie diesmal laut.

      »Annija«, beschwichtigte Wulf sie, »er hat Recht. Ich kann nicht sagen, dass es schmerzte, sie und den Knaben gehen zu sehen ... ich ...« Wulf blickte zurück ins Feuer. »Es ist nicht zu ändern, genauso fühle ich.«

      Arnulf hatte sich wieder beruhigt. »Wulf, sieh in ihr nicht Dora. Das hat sie vielleicht nicht verdient. Ändern werden wir nicht, dass sie ab jetzt deine Frau ist, aber du wirst stark genug sein, um Eilaf nicht wieder einen Grund zu geben, dich fortzuschicken.«

      »Ich wünschte, ich hätte einen Grund gehabt, nicht wiederzukehren. Ich wünschte, es wäre so.«

      »Sag so etwas nicht«, warf Annija aufgebracht ein.

      »Doch, Annija, es ist so. Oder ist es so, wie es ist, erträglich?«

      »Es ist der Prinz, der jetzt spricht«, meinte Arnulf.

      »Du weißt, wie wenig mir das bedeutet.«

      »Vielleicht mehr als deinen Brüdern und deinem Vater.« Arnulf studierte den wiederkehrenden bitteren Ausdruck in Wulfs Gesicht.

      »Er ist so wenig mein Vater wie Leif und Harold meine Brüder sind. Und er wird es mich spüren lassen, solange ich lebe. Ich hasse ihn dafür. Ich verfluche ihn. Er hätte mich damals in den Trümmern sterben lassen sollen. Warum hat er Mitleid für einen Jungen gezeigt, dessen Eltern und Geschwister durch sein Verschulden umgekommen waren? Warum, Arnulf, warum? Hast du dafür einen Grund? Einen Grund für diese grausame Tat?«

      »Eine grausame Tat?« Arnulf mühte sich, seine Beherrschung zu behalten. »Womöglich, Wulf, aber es wäre noch grausamer gewesen, hätte dieser in deinen Augen herrschsüchtige, ruchlose und ungezügelte Despot dich sterben lassen. Er tat es nicht!« Arnulfs Stimme drohte sich zu überschlagen. »Stattdessen nahm er dich als seinen eigenen Sohn an, mit allen Rechten, aber auch Pflichten ...«

      »Rechte, Arnulf?«

      »Bei den Göttern, Junge, wenn du nicht wie mein eigener Sohn wärst, würde ich dir am liebsten ins Gesicht schlagen.«

      Wulf verbiss sich einen weiteren Kommentar. Die klaren, ehrlichen Worte seines Freundes trafen ihn mehr, als er je zugeben würde.

      »Wenn du es wünschtest, Wulf, würdest du wie deine Brüder in der Halle leben können, wie es deinem Rang und Namen entspricht. Du entscheidest dich aber für die Einöde, für ein Randdasein, nicht nur wegen deines Handwerkes. Wir Schiffbauer werden immer anders sein durch unsere Einstellung. Aber bei den Göttern, Wulf, du treibst es seit Jahren auf die Spitze. Bist selten Gast am Tische deines Vaters, lehnst jegliche Einladung ab, es sei denn, es lässt sich nicht vermeiden ...« Arnulf holte kurz tief Luft. Es schien, als hätte er dieses Gespräch schon länger im Kopf gehabt. Trotzdem traf es ihn unvorbereitet, Wulf so kurz nach seiner langersehnten Wiederkehr die Meinung zu sagen.

      »Weißt du, warum dein Vater dich und nicht deine Brüder fortschickte? Hast du es dir je einmal wirklich durch den Kopf gehen lassen?«

      »Ich glaube noch immer, dass er mich loswerden wollte ...«, begann Wulf vorsichtig.

      Arnulf brummte vor sich hin. Er ging zum Feuer, legte Holz nach und sah im erwachenden Feuerschein in die Augen seines Ziehsohns.

      »Wulf.« Arnulf atmete erneut tief ein und aus. »Er schickte jenen Sohn fort, der die Dinge vielleicht wieder in Ordnung bringen kann. Er schickte dich fort, damit du lernst. Nicht das Kämpfen, sondern das Herrschen. Damit du andere Herrscher siehst und von ihnen lernst. Harold und Leif haben diese Möglichkeit nie gehabt. Sie sehen nur ihren despotischen Vater, folgen ihm und dem Chaos, das Eilaf vor so vielen Jahren angerichtet hat. Despot, Wulf, ja, aber er ließ seinen Leuten auch die Wahl. Und sie wählten den leichten Weg der Feindschaft. Eilaf richtete Unheil an, spielte seine eigenen Leute gegeneinander aus, so dass sie schließlich begannen, einander umzubringen. Er war nicht dumm, Wulf. Und die Gerüchte, Wulf, er sei verantwortlich für den Tod der Kinder seines Bruders ... was glaubst du?«

      »Ich habe nie behauptet, Eilaf sei dumm. Aber er ist auf eine gefährliche Art schlau und wusste um die wunden Punkte seiner Gegner.«

      »Ah, natürlich wusste er das. Nichts wird ändern können, dass Wiglifs Kinder in einer anderen Welt sind und das zuallererst Harold Thronerbe ist.«

      »Dann verstehe ich immer noch nicht, warum er mich fortschickte, wenn er mich für den fähigsten hielt.«

      »Wulf.« Arnulf wusste um die Gefahr, aber es musste gesagt werden. Das hier war wichtig für die nächsten Monate, deren lange Arme sich bereits nach ihnen ausstreckten und nichts Gutes verhießen, »Harold ist ein Säufer ...«

      »Arnulf, das ist kein Geheimnis.«

      »Wulf«, mischte sich nun Annija ein, »Harold ist im Begriff sich damit mehr oder weniger das Leben zu nehmen.«

      »Wie meinst du das?«

      Annija kaute kurz auf ihrer Unterlippe. Nur einen Moment zögerte sie, doch sie konnte Wulf vollends vertrauen.

      »Vor einigen Wochen«, begann sie unsicher, »schickte Harolds Frau einen Boten hierher. Des Nachts. Du weißt, die Heilerin in eurem Dorf ist nichts weiter als eine böse Zauberin. Sie versteht nichts von Kräutern und Tinkturen, nur von ihren Sprüchen und alten Knochen, von denen sie glaubt, dass sie alles heilen können. Nun, der Bote bat mich eindringlich mitzukommen. Es gehe um Leben und Tod des Thronerben. Ich ging mit ihm, wurde in die Halle geführt, so dass niemand etwas bemerkte, nicht einmal der König. Harold war in einem entsetzlichen Zustand. Ich habe noch nie gesehen, was Zügellosigkeit wirklich mit einem Menschen anrichten kann. Dein Bruder, Wulf, ist sehr, sehr krank. Ich konnte ihn in dieser Nacht retten, aber ich befürchte, wenn er nicht aufhört in dem Maße zu trinken, wie er es seit Jahren tut, wird irgendwann jede Hilfe zu spät kommen.«

      »Was ...« Wulf stockte kurz, er war sich nicht sicher, ob er mehr wissen wollte. »Was meinst du damit, was Zügellosigkeit anrichten kann

      Annija war es sichtlich peinlich, darüber zu sprechen. Sie räusperte sich kurz.

      »Er ... er erkannte nicht einmal mehr seine eigene Frau. Er hatte jegliche Kontrolle über seinen Körper verloren ... ich meine, er ... er erbrach sich, er ... nun ,..er schrie, wir mussten ihn knebeln, damit er niemanden weckte ...«

      Wulf strich sich kurz über das Gesicht. Doch Arnulf ließ ihn nicht zur Ruhe kommen.

      »Und Leif?«, fuhr er fort, »Leif ist ein guter Junge, aber ein König?«

      »Nicht, Arnulf, nicht Leif ...«

      »Doch, Junge, es muss gesagt werden. Er wäre ein schwacher König. Und das weißt du. Er würde nie richten können, was sein Vater verursachte. Eilaf akzeptierte die Trennung. Er musste sie akzeptieren. Das Königreich zerfiel, wir alle waren Zeuge, entschieden uns für eine der drei Seiten.