Tödlicher Orient. Inka Claussen

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Название Tödlicher Orient
Автор произведения Inka Claussen
Жанр Документальная литература
Серия
Издательство Документальная литература
Год выпуска 0
isbn 9783960085683



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sie bereits schreiende Händler, die Melonen, Gurken, Tomaten, hartgekochte Eier, Brot und Wasser feilbieten. Einer versucht den anderen in der Lautstärke zu übertrumpfen. Ihre Laute gleichen einer Kakophonie, so jedenfalls kommt es Otto vor.

       Kapitel 3

      Nach einer kurzen Nacht in einer kleinen, aber immerhin einigermaßen sauberen Unterkunft besteigt Otto von Wesenheim am nächsten Morgen den schon wieder bereitstehenden Zug, der ihn zur vorläufigen Endstation der Bagadbahn nach Burgulu am Fuße des Taurusgebirges bringt. Für die zweihunderteinundneunzig Kilometer lange Strecke benötigt man geschlagene elf Stunden. Immer wieder windet und quält sich der Zug die steilen Höhen empor.

      Gerade hat sich Otto in seinen Sitz zurückgelehnt, als es plötzlich an seiner Abteiltür klopft. Zu seinem großen Erstaunen erblickt er durch das Fenster in der Tür die Dame, die anscheinend in letzter Minute in Haidarpaşa zugestiegen ist, die er aber schon wieder vergessen hat. Immer noch etwas verwirrt, öffnet Otto die Tür. Noch bevor er sie ganz aufgesperrt hat, hört er die Dame auch schon sagen: »Mein Herr, ich bitte Sie vielmals um Verzeihung und entschuldige mich schon jetzt für mein ganz und gar ungebührliches Verhalten. Aber ich halte es nicht länger aus. Ich musste Sie noch unbedingt vor dem Ende unserer Reise ansprechen.«

      Bevor Otto noch irgendetwas sagen kann, steht sie schon mitten in seinem Abteil.

      »Ich darf mich doch setzen, oder?«, fährt sie ohne Unterbrechung fort.

      Das kleine Taschengeld für den Zugbegleiter hat sich ausgezahlt. Nachdem sie ihm Otto von Wesenheim kurz beschrieben hatte, kam der Schaffner kurz darauf mit der Information, in welchem Abteil der gesuchte Herr zu finden sei, zurück. Gut, gut, denkt sie sich. Dann wollen wir mal sehen, wie es weitergeht.

      »Aber selbstverständlich, meine Dame«, vernimmt sie die Stimme eines sichtlich überraschten Otto von Wesenheim, der dazu die Stirn ob solcher Forschheit runzelt.

      »Gestern brachte ich in Erfahrung, dass ein Gelehrter des Orients aus Deutschland im Zuge sei. Ich konnte es vor Neugierde gar nicht mehr aushalten und fand schließlich heraus, dass es sich um Ihre Person handelt. Nun habe ich all meinen Mut zusammengenommen und Sie aufgesucht. Ich hoffe, Sie vergeben mir meine Aufdringlichkeit.« Dabei kommt ihr der letzte Satz fast aufreizend leise über ihre wohlgeformten Lippen.

      Es entsteht eine längere Pause.

      Mittlerweile hat Otto seine Haltung wiedergewonnen, kann sogar ihr Gesicht betrachten und stellt schnell fest, dass es nicht unbedingt als hübsch im klassischen Sinne durchgeht, aber für eine Europäerin eigentlich recht ansehnlich ist. Große blaugrüne Augen in einem schmalen, blassen Gesicht unter den rötlichen Haaren und dem spitzen Kinn, ein zartes Gesprenksel von Sommersprossen um die Nase. Ihr blassgrüner Rock schmiegt sich eng um ihre Hüfte. Dazu trägt sie eine weiße Bluse mit hohen Spitzenkragen.

      Ungewollt beeindruckt und mit viel weicherer Stimme als sonst, kommt es über Ottos Lippen: »Meine Dame, wie unhöflich von mir. Darf ich Ihnen etwas zu trinken anbieten? Wie wäre es mit einem Schluck ausgezeichneten Tee aus Rise am Schwarzen Meer? Ich habe ihn extra nach Konstantinopel schicken lassen. Eine Spezialität. Oder wie wäre es mit Mineralwasser der Marke »Friedrich«, direkt aus meiner Heimat importiert. Auch der Sultan liebt es.«

      »Wie außerordentlich freundlich von ihnen«, flötet die Dame. »Dann natürlich deutsches Mineralwasser.«

      Um ein Haar entgleitet ihrem Gesicht ein Grinsen.

      Mit dieser Antwort hat sie zielsicher Ottos Herz erreicht. Er läutet nach Ali, seinem Diener, der den Befehl seines Herrn nach Mineralwasser der Marke »Friedrich« sofort erfüllt. Mit einem dankbaren Blick führt sie das Glas an ihre Lippen und nippt von dem Wasser. Ohne den Blick von ihr zu wenden, nimmt auch Otto einen großen Schluck.

      »Meine Dame«, sagt Otto, »darf ich mich vorstellen? Otto von Wesenheim, Orientgelehrter der Humboldt-Universität zu Berlin.«

      »Sehr erfreut. Mein Name ist Margaret Morris, Archäologin der Universität Oxford.«

      Jetzt wird es Otto klar, was ihm die ganze Zeit schon im Unterbewusstsein aufgefallen ist. Ihre Aussprache hat einen leichten Akzent, den er aber nicht so richtig zuordnen konnte. Eine Engländerin also.

      »Ich bin außerordentlich erfreut, Ihre Bekanntschaft zu machen, Gnädigste«, sagt Otto galant und meint es auch tatsächlich so, obwohl sie Engländerin ist.

      Die folgende Stunde verfliegt wie im Nu. Beide unterhalten sich, tauschen sich über ihre Familien, ihre Berufe und das Leben im Reich des Sultans aus. Vollkommen unvermittelt ändert Margaret dann die Richtung des Gesprächs. Mit leicht erröteten Wangen sieht sie Otto unmittelbar in die Augen und sagt: »Lieber Herr von Wesenheim, es wäre mir eine große Ehre, wenn Sie mich Margaret nennen würden, jetzt nachdem wir uns so anregend unterhalten haben und Sie so … wie soll ich sagen … galant sind, wie ein echter englischer Gentleman.«

      Leicht verwirrt über das direkte Vorgehen, den Vergleich mit einem englischen Gentleman eigentlich missbilligend, dann aber doch geschmeichelt, antwortet Otto.

      »Die Ehre ist ganz auf meiner Seite, Gnädigste, äh Margaret. Bitte nennen Sie mich Otto.«

      »Ja, dann also«, räuspert sich Otto und schaut Margaret an: »Margaret, meine Teuerste, Sie wollen also zu Baron von Koppental nach Tel-Halaf in den Nordosten Syriens fahren, um den berühmten Ausgrabungen des Siedlungshügels aus assyrischer Zeit beizuwohnen? Ist das nicht zu gefährlich für eine Dame und dann noch ganz allein in diesem abgeschiedenen, unzivilisierten Teil der Welt?«

      In ihrem Element und voller Selbstbewusstsein antwortet Margaret: »Aber nein, ich kenne nicht nur Franz von Koppental schon seit längerer Zeit und schätze ihn als Archäologen sehr, sondern auch die arabische Welt. Wie ich Ihnen, lieber Otto, bei unserer Plauderei schon gesagt habe, habe ich einige Zeit in Kairo gelebt, bin der arabischen Sprache mächtig und kann mich in der männlich dominierten Welt des Orients behaupten – da können Sie ganz sicher sein!«, schiebt Margaret, eine kleine Pause einlegend und leicht die rechte Augenbraue hebend, nach.

      Letztere Äußerung glaubt Otto ihr aufs Wort. Mit neutralem Gesichtsausdruck, aber doch etwas enttäuscht bemerkt er: »Aber dann werden wir uns ja, nachdem wir Burgulu erreicht haben, trennen müssen. Weiter ist der Bau der Bagdadbahn nicht vorangeschritten. Das bedauere ich sehr.«

      Und meint damit beide Tatsachen.

      »Ja, verehrtester Otto, so wird es sein. Aber ich mag nun einmal Geheimnisse enthüllen und Rätsel der Vergangenheit lösen. Für mich ist das alles gar keine richtige Arbeit, sondern vielmehr wie ein Hobby und Vergnügen, ja geradezu eine Leidenschaft.«

      Bei diesen Worten schaut sie Otto mit etwas schrägem Kopf leicht von unten an und streicht eine rötliche Haarsträhne aus ihrem Gesicht.

      Wie kokett, denkt sich Otto. Oder geht seine Fantasie mit ihm durch? Das kennt er doch sonst nur von Ayşe. Apropos Ayşe, was macht sie wohl nur ohne ihn? Für kurze Augenblicke schießt ihm dabei der Morgen nach dem Erdbeben durch den Kopf, als er unangekündigt bei Ayşe auftauchte und dabei eine Frau einen Moment im Flur sah. Das rötliche Haar und dieses Gesicht. Irgendwie kommt ihm dabei etwas bekannt vor. Aber schnell verwirft er den Gedanken. Das kann doch nicht sein. So wenige Europäerinnen haben nun auch nicht rötliche Haare. Aber dennoch. Doch dann lenken ihn Margarets Worte von seinen Gedanken ab.

      »… Ihrer Reise?«, hört er Margaret fragen.

      »Verzeihen Sie bitte. Wie unhöflich von mir. Ich war kurze Zeit abwesend. Wie war Ihre Frage, bitte?«

      »Ich wollte nur wissen, was denn das Ziel Ihrer Reise ist.«

      »Ach so, ja.« Was soll er ihr nur sagen? Am besten die Wahrheit.

      »Ja, also ich beabsichtige nach Dschidda zu fahren.«

      »Oh, Dschidda! Welch ein ungewöhnliches Reiseziel und welch weiter und gefahrvoller Weg bis dorthin.«

      »Nun, unser Ingenieur Meißner Pascha, eigentlich Heinrich August mit Vornamen, hat