Название | Wer bleibt Millionär? |
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Автор произведения | Tino Hemmann |
Жанр | Современная зарубежная литература |
Серия | |
Издательство | Современная зарубежная литература |
Год выпуска | 0 |
isbn | 9783960083443 |
»Ja. Mit wem spreche ich?«
»Ich habe gerade eine Seite im Internet entdeckt. Sie heißt wer minus bleibt minus millionaer dot com. Vielleicht weiß die Polizei von der Seite noch nichts. Dort finden Sie jedenfalls die verschwundenen Millionäre.«
»Okay. Ich habe das aufgenommen. Sagen Sie mir noch Ihren Namen?«
»Konrad. Ich heiße Konrad.« Eilig beendete der Junge das Gespräch und ließ angestaute Luft aus den Lungen.
Noch einmal fand sein Blick den Frame auf der linken Seite der zuerst geöffneten Website. Nun hielt die Statistik bereits 1.874 Beiträge fest! Der letzte Eintrag lautete: »Die ham des echt verdiend, elende Geldsaecke die«, unterzeichnet vom User »Netz-General«.
Wie es Konrad schien, war er nicht der Einzige, der diese Seite entdeckt hatte. Kurze Zeit später informierte er über seine Facebook-Seite rund neunhundert Freunde über die rätselhafte Website.
Wie ein Lauffeuer verbreitete sich die Information im weltweiten Netz. Allein auf Facebook wurde der bis dato untätige Live-Stream bis Mitternacht mehr als acht Millionen Mal verlinkt. Noch am gleichen Abend tauchten in den festen und mobilen Netzen die ersten Apps zu »Wer bleibt Millionär?« auf. Es schien kein anderes Thema mehr zu geben.
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Die Druckmaschinen der großen deutschen und internationalen Tageszeitungen ratterten die ganze Nacht hindurch, um das Volk mit Hiobsbotschaften zu bedienen. Einerseits wurde gejammert und geflucht, andererseits kosteten die Medien das gefundene Fressen aus. Auf nahezu allen privaten und öffentlichen Fernsehkanälen wurden Sondersendungen ausgestrahlt, die recht vernünftige Einschaltquoten erzielten. Am Ende des Tages kannten Millionen Menschen die intimsten Geheimnisse aller Kandidaten, einschließlich ihrer Familien, Kinder und Freunde. Das Medienmitleid kannte keine Grenzen. Und die Verursacher der Millionärskatastrophe – wie man die Ereignisse rasch zusammenfasste – wurden Erpresser, Gangster, Terroristen oder Verschwörer tituliert. Einige Medien veröffentlichten sogar Namen von Personen, die für das Grauen zuständig sein sollten.
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»Hier ist das Zweite Deutsche Fernsehen mit den Spätnachrichten. – Am heutigen Tag wurde ein neues Kapitel im Buch des Terrorismus geschrieben. Es nennt sich ›Die Millionärskatastrophe‹. Das Verschwinden von sechs vermögenden Personen hält Deutschland weiterhin in Atem. Wie offizielle Quellen mittlerweile verlauten ließen, sind die Entführten noch am Leben. Jedoch wird auf einer Internetseite, deren Speicherort auf einem ausländischen Server vermutet wird, von einem perfiden Spiel namens ›Wer bleibt Millionär?‹ berichtet, bei dem es angeblich um Leben und Tod der Entführten geht. Aus Polizeiinformationen geht hervor, dass es sich bei der Website, die in Kürze einen Livestream anbieten will, nicht um einen Trittbrettfahrer handelt, da die dort hochgeladenen Bilder der vermissten Personen, insbesondere deren Kleidung, darauf schließen lassen, dass die Fotografien tatsächlich vom heutigen Tag stammen. In Berlin wurde inzwischen ein Krisenstab gebildet, dem das Innenministerium, der Staatsschutz und die Kriminalpolizei angehören. Die ›Soko Millionär‹ wird morgen Vormittag eine Pressekonferenz geben. – Das Wetter für morgen: In den südlichen Gebirgen Bayerns und in Sachsen ab Mittag erhebliche Niederschläge, im restlichen Deutschland weitestgehend trocken und stark bewölkt. Nur an den Küsten im äußersten Norden wird sich hin und wieder die Sonne zeigen …«
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Innenminister Volker Gellert saß auf einem für ihn ungewohnt unbequemen Stuhl. Schweiß strömte über seine Stirn, der Binder vermisste seine korrekte Position und das Jackett roch, als würde es bereits seit vier Wochen seinen Oberkörper bedecken.
»Gewissermaßen quasi haben wir nichts! Wir haben unsere besten IT-Experten darauf angesetzt. – Nichts!« Er klopfte auf ein Blatt Papier, um seiner schlechten Laune Nachdruck zu verleihen. Gellerts Stuhl wackelte – im übertragenen Sinne. So ruhmreich und lukrativ es auch war: Führungskräfte einer Regierungspartei standen unter besonderer Beobachtung und waren stets von einer Amtsenthebung bedroht. Hier bahnte sich eindeutig eine Krise an. »Sechs einfache Menschen, Kinder, Hausfrauen, Arbeiter … Wären die verschwunden, keine Sau würde es interessieren! Aber sechs feste Bestandteile der deutschen Wirtschaft, sechs vermögende und damit sehr wichtige Personen, gewissermaßen quasi. Wir haben eine handfeste Krise!«
Krisen erforderten bekanntlich Bauernopfer. Und als solches fühlte sich Gellert bereits.
BND-Präsident Olaf Fahlzner, SPD-Mitglied und mit seinen knapp fünfzig Jahren fast fünfzehn Jahre jünger als der Innenminister, grinste arrogant. Seine Mimik war unverwechselbar. Wenn andere lachen würden, starrte er völlig ernst in die Welt. War die Lage dagegen ernst, dann grinste er ausgiebig – ein Dauergrinsen, das wie in sein barthaararmes Gesicht eingemeißelt wirkte. Selbst bei Begräbnissen soll er schon gegrinst haben, wie Zeitungsberichten einst zu entnehmen gewesen war.
»Keine IP-Adressen?«, fragte Fahlzner.
Rasch schnappte Gellerts Hand das Blatt Papier. »Keine? Kann man gewissermaßen quasi nicht sagen. Viel zu viele! Und sie stammen angeblich aus Ländern, deren Namen ich bis heute nicht gekannt habe!« Er las vor: »Die Bahamas, die Cook-, Kaiman- und Marshall-Inseln, Panama, Nauru, die Insel Niue, die Staaten St. Kitts und Nevis sowie St. Vincent und die Grenadinen, Zypern, Antigua und Barbuda, dann noch Barbados, Guernsey, die Isle of Man, Jersey, Mauritius, Belize, die Bermuda- und die Jungfern-Inseln, die Inseln St. Lucia und Samoa! Wer – Herr Gott noch mal – lässt es zu, dass solche Staaten überhaupt existieren dürfen?« Er schnappe nach Luft, dann ließ er das Schriftstück über die glatte Oberfläche der Tischplatte zu Deutschlands bekanntestem Geheimdienstmann gleiten.
Das Grinsen verschwand aus Fahlzners Gesicht. Er verspürte Lust, genau jetzt einen Spaß zu machen. »Was denn, Sie kennen Zypern nicht?« Da Gellert jedoch nicht zum Lachen zumute war, kehrte das Grinsen in Fahlzners Gesicht zurück. »Mal ganz im Ernst. Diese Staaten, die zum Teil kleiner sind als manch deutsche Kreisstadt, die sollten Sie als Innenminister wirklich kennen. Denn all diese Möchtegernnationen sind Finanzparadiese für illegale Gelder aus kriminellen Machenschaften. Dort wird verdammt viel Geld legalisiert.« Erneut trat etwas Ernsthaftigkeit in sein Gesicht. »Wo waschen Sie denn Ihr Schwarzgeld, Herr Innenminister?«
Gellert flüsterte scharf: »Ich kann mich auch selbst verarschen. Gewissermaßen quasi kann ich das ganz gut. Nun mal ernst!«
Fahlzner zeigte sein gewohntes Grinsen und erklärte: »Im Ernst? Der Gegner versucht, uns in die Irre zu führen. Nicht mehr und nicht weniger. Wir versuchen es schließlich auf die gleiche Art und Weise.«
»Was, bitte, versuchen wir?«
»Nun, es ist nicht leicht, einfache Worte zu finden, sodass selbst Sie verstehen, was ich meine. Nehmen Sie mal an, wir haben ein verdeckt arbeitendes Büro in Teheran und müssen über das öffentliche Netz Kontakt mit jemandem in Jerusalem aufnehmen. Es wäre nicht sonderlich klug, wenn die Gegenseite anhand der IP-Adresse erfahren könnte, dass unser Büro in Teheran ist. Also wird die Absenderadresse willkürlich geändert. Im Tausendstelsekundentakt.«
»Haben wir denn ein Büro in Teheran?«
»Eins? Sie stellen vielleicht Fragen! – Aber das tut nichts zur Sache. Die Datenpakete werden jedenfalls über Server in den unwichtigsten Staaten der Welt geleitet, bis ihre tatsächliche Herkunft nicht mehr ermittelt werden kann.«
Sechzig Sekunden benötigte Gellert, um seine Antwort zurechtzulegen: »Gewissermaßen quasi wollen Sie mir damit sagen, dass es sich bei den Entführern um moderne Terroristen handelt?«
»So ist es. Moderner Terrorismus.« Mit sehr ernstem Gesicht sagte der BND-Chef: »Auch sie haben es erfasst.«
Unruhig wischte sich der Innenminister Schweiß von der Stirn. »Und … Ist das gut oder schlecht?«
Grinsend zuckte Fahlzner mit den Schultern. »Kommt drauf an, aus welcher Sicht. Je besser ein Gegner auftritt, desto leichter lässt sich eine Niederlage verständlich erklären. Für die Entführten ist es wahrscheinlich kein Vorteil. Wobei … Ein moderner Terrorist erschießt sie mit einer modernen Waffe, ein altmodischer Terrorist