Wer bleibt Millionär?. Tino Hemmann

Читать онлайн.
Название Wer bleibt Millionär?
Автор произведения Tino Hemmann
Жанр Современная зарубежная литература
Серия
Издательство Современная зарубежная литература
Год выпуска 0
isbn 9783960083443



Скачать книгу

und verließ das Café. Als er in den zwei Kreuzungen weiter geparkten schwarzen Mercedes Vito stieg, wies sein Gesicht weder Schnauzer noch Brille auf, der Kopf ließ die Haare vermissen.

      Weitere dreißig Minuten später trat der alte Morgenstern aus der Galerie ins Freie, schaute sich lange um und ging schließlich kopfschüttelnd wieder hinein.

      Du solltest in keinen Brunnen spucken, denn in der Not könntest du daraus trinken müssen.

      »Hier ist das Erste Deutsche Fernsehen mit der Tagesschau.«

      Die allseits bekannte Eingangsmelodie erklang, während im Hintergrund sowohl einige Portraits in Großaufnahme als auch Fotos von getöteten Opfern – überwiegend Kinder und Frauen – aus umkämpften Gebieten im Nahen Osten und in Nordafrika über den Schirm schwebten.

      Klaus-Jan Oertler, ein grauhaariger und den meisten Zuschauern bekannter Moderator, griff nach einem Kugelschreiber, während zum Ende der Melodie auf ihn gezoomt wurde.

      »Guten Abend, meine Damen und Herren, ich begrüße Sie zur Tagesschau.«

      Im Hintergrund des virtuellen Studios tauchten die Porträtaufnahmen von fünf Personen auf.

      »Ist heute wieder so ein Tag, der ganz Deutschland in Angst und Schrecken versetzt? Das spektakuläre Verschwinden mehrerer Personen beschäftigt die Polizeibehörden in fünf Bundesländern. Spektakulär deshalb, weil mindestens vier von ihnen gewaltsam entführt wurden und weil alle fünf vermissten Personen durchaus bekannte und sehr reiche«, er betonte das Wort ›reiche‹, »Mitglieder unserer Gesellschaft sind. Vom Innenministerium in Berlin gibt es aus Rücksicht auf die laufenden Ermittlungen bisher keine offizielle Stellungnahme. Innenminister Volker Gellert, CDU, plant jedoch, morgen Vormittag eine Pressekonferenz einzuberufen. Aus dem Innenministerium wurde lediglich bekannt, dass momentan in alle Richtungen ermittelt werde.« Ein harter Schnitt folgte. Während eine Sprecherin laut und deutlich kommentierte, waren zunächst Filmmitschnitte der vermeintlichen Opfer zu sehen. »Die Täter kamen – wie es scheint – unvermutet und schlugen an völlig verschiedenen Orten zu. Es traf fünf Personen, die augenscheinlich nichts miteinander zu tun haben. Und doch treffen die Entführungen – und dass es sich um solche handelt, davon kann man ausgehen – Deutschland mitten ins Herz. Der bekannte Schauspieler Klaus van Boomerland wurde in einer Tiefgarage überwältigt. Gerade erst hatte er die Dreharbeiten zur vierzehnten Staffel von ›Eine deutsche Familie auf Mallorca‹ beendet.«

      Der vierundzwanzigjährige Francesco tauchte auf. Seine geschminkten Lippen waren verschmiert, das Make-up verwischt und die Hände zitterten. »Sie waren hart!«, rief er. »Sie waren brutal! Und ihr Auto war groß und schwarz! Sie haben ihn mir regelrecht entrissen!«

      Erneut folgte ein derber Schnitt und der Sprecher erklärte: »In München verschwand die Industrielle Sigrun Tamelroth am helllichten Tag. In Berlin wurde Bauunternehmer und Immobilieneigentümer Franz Schneidmann vor den Augen seines achtjährigen Sohnes entführt!«

      Villads erschien auf dem Bildschirm, von Kameras umringt, hinter unzähligen Mikrofonen verschwindend. »Ich weiß nicht. Es war ein großes schwarzes Auto …« Unzählige, gleichzeitig gestellte Fragen prasselten auf ihn nieder. Der Junge weinte und schwieg fortan beharrlich.

      Erneut ertönte die Stimme des Kommentators: »Der vierte Vermisste ist Theodor Fack, Inhaber von b&s, der zweitgrößten deutschen Einzelhandels-Ladenkette. Er verschwand in Stuttgart nach einem öffentlichen Auftritt.«

      Das Dekolleté der Marketingchefin von b&s ließ tiefe Einblicke zu. »Also, Fack, wissen Sie … Was soll ich sagen? Er war eben noch da. Und ohne ein Wort ist er plötzlich verschwunden. Leute wollen ein großes schwarzes Fahrzeug gesehen haben. Also, ich hab das nicht gesehen, aber … Ein großer Fuck sozusagen. Und gerade jetzt passiert das, wo wir doch endlich den Mindestlohn …« Harter Schnitt.

      »Weiterhin kehrte der Software-Entwickler Hannes Gartenleitner, Besitzer des millionenschweren Unternehmens Dragonblaze in Kassel, von einem Geschäftstermin nicht zurück.«, fuhr der Sprecher fort.

      Der vierundsechzigjährige Innenminister Volker Gellert stand in einem Flur des Bundestages. Er sprach langsam und wirkte ruhig, doch ein glänzender Schweißfilm zierte seine Stirn. »Es wäre derzeit übereilt, gewissermaßen quasi die falschen Schlussfolgerungen zu ziehen. Wir ermitteln in alle Richtungen. Am Ende des Tages werden wir vielleicht mehr wissen.«

      »Herr Innenminister, könnte es ein erneuter terroristischer Angriff sein, weil sich Deutschland nun aktiver an der Bekämpfung des IS in Syrien beteiligt?«

      »Wir ermitteln in alle Richtungen. Das sagte ich doch bereits.«

      Zurück im Studio. Tagesschau-Sprecher Klaus-Jan Oertler hielt sein ernstes, gefurchtes Gesicht in Kamera vier. »Soeben erreichte uns die Eilmeldung, dass es in Dresden einen weiteren Entführungsfall gegeben haben könnte. Dort verschwand die sechsundsechzigjährige Dr. Carola Blauschner, Gründerin der Carima Altenpflege Gesellschaft, wie die dpa soeben aus Leipzig meldete. – Ob es sich um die angedrohten Anschläge des IS nach dem deutschen Einstieg in die Kampfhandlungen in Syrien handelt, ist noch nicht erwiesen, jedoch durchaus denkbar.«

      Die direkte Überleitung zum nächsten Thema folgte. Fotos von toten Frauen und Kindern wurden im virtuellen Studio gezeigt.

      »Mitarbeiter von UN-Hilfsorganisationen haben im Irak und im Osten Syriens neue Gräueltaten der Terrororganisation Islamischer Staat entdeckt. Dabei soll es sich um mehrere hundert kurdische Frauen und Kinder handeln, die verstümmelt, teilweise auch geköpft wurden.«

      Der Filmbeitrag mit schrecklichen Bildern folgte.

      *

      Leipzig, Sachsen, Sonnenschein – draußen wenigstens. In einem abgeriegelten, düster wirkenden Besprechungsraum des Polizeipräsidiums saßen drei Männer an einem Tisch. Einer, der langjährige Kriminaloberkommissar Holger Hinrich, nippte an einem Kaffee und lauschte den Worten des königlichen Gesandten aus Dresden, einem in feinstem zivilen Zwirn steckenden, jungen Mann namens Tom Reuther, den der der CDU zugehörige Landespolizeichef höchstpersönlich geschickt haben soll.

      »Und was haben wir damit zu tun?«, fragte Hinrich zum wiederholten Male. »Aus Leipzig ist schließlich kein Millionär verschwunden. Haben wir überhaupt welche?«

      Der junge Mann blätterte erregt in seinen Unterlagen, ohne etwas finden zu wollen. »Berlin …, die Regierung … hat festgelegt, also der Herr Innenminister Gellert, der will …«

      »Ja. Rhetorik ist für Sie ein Fremdwort. Haben wir bemerkt.« Spöttisch lächelnd schaute Hinrich zu seinem Kollegen Hans Rattner, einem Leipziger Hauptkommissar, mit dem der alte Hinrich bislang nur selten zu tun gehabt hatte. »In Dresden verschwindet eine reiche Frau, in Berlin wird eine Soko gebildet und hier in Leipzig sollen wir was aufklären? Wer lässt sich denn solchen Irrsinn einfallen?«

      »Das …, das ist kein Irrsinn«, rechtfertigte sich der Abgesandte. »Hasso Kohl, das ist der Leiter dieser Soko in Berlin, will in Leipzig eine zweihundert Mann starke SEK-Sondereinheit in ständiger Bereitschaft haben. Und Sie beide sollen die Verbindung zwischen …«

      »Mal langsam.« Hinrich stellte die Tasse ab und erhob sich. »Haben die etwa keine Telefone?«

      Reuthers Gesicht färbte sich dunkelrot. »Wir müssen das nicht länger diskutieren.« Er schob einen Ordner mit wenigen Akten über den Tisch zu Rattner. »Sechs wichtige Leute sind verschwunden.«

      »Sechs reiche Leute«, warf Hinrich ein. »Ob sie wirklich wichtig sind, das muss erst beweisen werden.«

      »Berlin will die Suche in ganz Deutschland koordinieren. Und Sie …«

      »Wenn ich das schon höre!« Hinrich blieb stur. »Wir sind von der Mordkommission. In den letzten Jahren haben wir Personal ohne Ende eingebüßt. Soll ich Ihnen sagen, warum? Weil ›Berlin‹ das so wollte. Und nun sollen wir uns hier in Sachsen um preußischen Kram kümmern?«

      Etwas übereilt erhob sich der Dresdner. »Sachsens Innenminister