Hygienearzt in zwei Gesellschaften. Dietrich Loeff

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Название Hygienearzt in zwei Gesellschaften
Автор произведения Dietrich Loeff
Жанр Биографии и Мемуары
Серия
Издательство Биографии и Мемуары
Год выпуска 0
isbn 9783938555286



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Schönen Gruß an Herrn Schwabe. Alles klar?“ – „Ja“ konnte ich nur laut staunen.

      Das kollegiale Klima an der Erweiterten Goethe-Oberschule war gut. Es hatte nur einen Haken: die abendlichen pädagogischen Beratungen, deren Uhrzeiten sich oft nach Männern richteten. Wir hatten ein Theateranrecht auf Vorstellungen die monatlich einmal durch das Theater Greifswald in einer Schulaula stattfanden. Von den Veranstaltungen eines Jahres haben wir drei versäumt, weil ich Bereitschaftsdienste im Krankenhaus nicht verlegen konnte und fünf fielen Zusammenkünften des Pädagogischen Rates zum Opfer. Dagegen wurden bei den Terminen der pädagogischen Beratungen selbstverständlich die Fußballspiele im Fernsehen berücksichtigt. Die Anpassung an diese Situation kostete uns beide allerlei Nerven.

      Meine Freundin und ich waren uns im Frühsommer 1961 einig: Wir wollten uns im Sommer verloben und zu Weihnachten heiraten. Damals ging gerade die Zeit zu Ende, dass ein junger Mann bei den Brauteltern „um die Hand der Tochter anhielt“. Das kam uns schon reichlich antiquiert vor, schließlich waren wir volljährig. Aber meine Schwiegereltern in spe waren mit dicken Formfehlern sicher nicht zu gewinnen und am familiären Einvernehmen lag uns schon. Die Lösung war einfach. Wir schrieben einen gemeinsamen Brief an meine Mutter und an die Eltern meiner Freundin und teilten unseren Entschluss mit. Das kam gut an, der Termin im Sommer 1961 wurde festgemacht und wir bereiteten uns auf einige Tage Urlaub vor, denn gefeiert sollte in Großräschen (bei Senftenberg/Lausitz) werden, dem Heimatort meiner Braut.

      Meine Urlaubsvorbereitung war von besonderer Art. Ich musste etliche künftig für mich geplante Nacht-Bereitschaftsdienste vorziehen. So verbrachte ich vier oder sechs Nächte hintereinander im Krankenhaus und war pro Nacht mindestens vier Stunden auf den Beinen. Ich kannte dann fast alle Patienten aller internistischen Stationen genau, konnte sicher entscheiden und geriet fast in eine Art nächtlicher Arbeitseuphorie. Danach reisten wir gemeinsam nach Großräschen ab. Und nun kam der Hammer: Sicher war es eine schöne Feier, sicher hatten wir in der gesamten Familie viel Freude daran, sicher waren liebe Gäste anwesend. Nur: Ich weiß davon nichts! Ohne nennenswerten Alkoholgenuss habe ich für diesen Zeitraum von der Anreise bis zum Ende nach mehreren Tagen einen kompletten Filmriss.

      Warum berichte ich das? Noch heute streiten Ärzteverbände, Arbeitsgerichte, Krankenhausträger, Juristen und Politiker – meist Menschen, die solchen Schlafentzug nie selbst erlebt haben – ob Nacht-Bereitschaftsdienste als Arbeitszeit zählen, wie sie zu vergüten sind und wo das Geld dafür herkommen soll. Ich habe am eigenen Leibe erlebt, wie mehrere Tage Schlafdefizit wirken können. Zwar sind mir Behandlungsfehler nicht unterlaufen, aber ich wünsche niemanden, von einem Arzt behandelt zu werden, der hinterher derartige Gedächtnislücken hat. Verweise auf das ärztliche Berufsethos, die oft als Antwort auf ärztliche Forderungen kommen, sind zwar allgemein richtig, beheben aber keine Erschöpfungszustände. Die Gehälter der Ärzte ermöglichen ihnen sicher ein paar Tassen Bohnenkaffee zusätzlich, aber Gesundheitsschäden des Arztes verhindern sie so wenig wie Missgriffe am Patienten. „Rationalisierungsmaßnahmen“ im Krankenhaus, die selten mit Vernunft (ratio) aber viel mit Einsparungen zu tun haben, bringen kaum noch Nutzen für den Patienten, denn mit dem medizinischen Fortschritt steigen die diagnostischen Möglichkeiten und die Erwartungen an Sorgfalt, Wissen und Können des gesamten medizinischen Personals. Die zusätzlichen Beschäftigten für angemessene Ruhefristen der Nachtdiensthabenden und erträgliche Arbeitszeiten der Mitarbeiter aller medizinischen Berufe müssen einfach gefunden und natürlich auch adäquat bezahlt werden. Alles Andere ist unverantwortlich!

      Nun waren wir also verlobt und ich werde hier nicht mehr von meiner Freundin reden, sondern von Brunhilde, meiner ehemaligen Verlobten und seit dem 23.12.1961 meiner ersten, einzigen und immer noch Ehefrau.

      Im Krankenhaus gratulierten mir nicht nur die Ärzte und Schwestern. Bei der nächsten Visite stand mir an einem Krankenbett die Stationsschwester ziemlich im Weg. Erst als ich mit dieser jungen Patientin fertig war, kam die Überraschung. Unter dem Beifall des Vierbettzimmers überreichte diese junge Frau mir im Namen der Patienten einen herrlichen Blumenstrauß, den sie hinter den Rücken der Stationsschwester gehalten hatte. Mein freudiger Dank machte sie glücklich. Nach der Visite gab mir die mitverschworene Stationsschwester Aufklärung. Ihr feines Gefühl hatte ihr längst verraten, dass sich diese junge Patientin in mich verknallt hatte. Ich selbst hatte das gar nicht bemerkt, denn Liebesgeschichten zwischen Arzt und Patient soll man generell vermeiden. Diese Patientin hatte sich auch in meiner Abwesenheit ausbedungen, mir die Blumen zu überreichen, was jede andere Patientin ja auch gekonnt hätte. Es war wohl ein wenig Abschied von ihrem flüchtigen Traum dabei und das auf eine hochanständige Art und Weise. Ihren Namen und ihr Gesicht habe ich vergessen, aber ich wünsche ihr noch heute, dass sie ihre große Liebe fürs Leben gefunden hat.

      Ein paar Entscheidungen ergaben sich aus dem Verlöbnis. Brunhilde und ich waren evangelisch-christlich getauft, eingesegnet und nie unter denjenigen Spöttern, die Religionen nur lächerlich finden. Aber eine glatte Übernahme des tradierten Glaubens war uns nicht mehr möglich. Zusätzlich bot das Verhalten einzelner Pfarrer Kritikpunkte. Beide waren wir, noch ehe wir uns kannten, aber noch nicht aus der Kirche ausgetreten, weil wir auf einen noch unbekannten Ehepartner in diesem sensiblen Punkt Rücksicht nehmen wollten. Nun jedoch war alles klar und beide beendeten wir unsere Mitgliedschaft in der evangelischen Kirche offiziell und schriftlich.

      Mit der FDJ verfuhren wir weniger untadelig. Kein Mensch in Demmin wusste, ob wir je da drin waren und so ließen wir die Mitgliedschaft einfach einschlafen, indem wir uns an keinen FDJ-Funktionär wendeten. Es kam auch keiner zu uns, um uns zu fragen oder zu werben. Diese Art, aus Organisationen heraus zu kommen war damals weit verbreitet und ist wohl auch heute nicht unüblich, was dieses Verhalten aber nicht gerade korrekter macht.

      Die Spannungen um Berlin spitzten sich im Sommer 1961 zu. Politische Diskussionen gewannen an Schärfe. Ich schrie einen jungen, hospitierenden Armeearzt an, dass er auf unsere Kosten privilegiert sei. Spionage gegen die DDR wurde aus Westberlin eh und je betrieben, wo und wie es nur ging. Ökonomische Probleme wuchsen. In Ostberlin gab es kaum Reinigungskräfte. Sie arbeiteten in Westberlin gegen niedrige Westlöhne und tauschten dann zum Wechselkurs von 1:4 bis 1:5 in Ostgeld um. So konnten sie gut leben, während in der Charité und anderen Krankenhäusern Studenten und medizinisches Personal mit Schrubber und Eimer unterwegs sein mussten. Selbst ostdeutsche Prostituierte boten ihre Dienste in Westberlin an, so lange sie nicht von den dortigen „Revierfürstinnen“ vertrieben wurden. Schon vorher hatten Westberliner ihre Lebensmittel und anderen Bedarf im Osten gekauft. In der DDR produzierte Waren wurden auf dem Schwarzmarkt weiter verschoben. Ferngläser von Carl Zeiss Jena wanderten bis Finnland. Die Regierung der DDR musste schließlich anordnen, dass bei Käufen im Einzelhandel generell der DDR-Personalausweis vorzuzeigen ist. Das schliff sich bei