Böse Affen. Ilka Sokolowski

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Название Böse Affen
Автор произведения Ilka Sokolowski
Жанр Триллеры
Серия
Издательство Триллеры
Год выпуска 0
isbn 9783866741126



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ihren uniformierten Kollegen. »Gut. Wer hat den Toten gefunden?«

      Leos Handwerker trat vor.

      »Okay. Sie bleiben hier, alle anderen gehen bitte.« Ein ungeduldiges Handwedeln in Richtung der neugierigen Zuschauer.

      Leo machte sich an ihrer Wanne zu schaffen und sperrte die Ohren auf. Solange man sie nicht energischer davonscheuchte, wollte sie so viel wie möglich mitbekommen.

      »Haben Sie den Toten angefasst? Irgendwas verändert?«

      »Ich wollte ihn da rausholen … aber er war schon …«, stammelte der Handwerker.

      »Ist schon gut.« Die Kommissarin tätschelte ihm den Arm und schlug einen etwas sanfteren Ton an. »Der Arzt kann Ihnen etwas zur Beruhigung geben. Wir reden gleich noch.«

      Auf ein Zeichen ihres Kollegen wurde Ken Zhang aus dem Wasser gefischt und auf eine Folie gelegt. Der Handwerker gab erneut ein ersticktes Quieken von sich.

      |32|»Das hat er nicht verdient«, murmelte er vor sich hin. »Ich war das mit den Affen, ich hab den Anruf gemacht«, sagte er, als er Leos Blick auffing. Er sprach so leise, dass es niemand anderes hören konnte, aber offenbar drückte ihn sein Gewissen, und er musste sich dringend Erleichterung verschaffen. »Wegen der armen Affen, das war doch wirklich nicht in Ordnung, das müssen Sie doch zugeben, deshalb habe ich angerufen, aber das hier … das hier … wie schrecklich!« Er presste eine zitternde Hand auf den Mund.

      »Ja«, sagte Leo. »Sie haben recht. Mit beidem.«

      Vom Gang her näherte sich jemand mit festen kleinen Schritten und Leo wurde grob zur Seite geschoben. Mister Kong hatte den Ort des Geschehens erreicht, zückte seine Visitenkarte und verlangte Aufklärung. Anders als sein toter Assistent sprach er ein durch seinen starken Akzent nur schwer verständliches Deutsch, was ihn aber nicht daran hinderte, sehr selbstbewusst aufzutreten. Er wirkte eher erzürnt als bestürzt, als der Arzt sich über den schrecklich bleichen Ken Zhang beugte und die Kommissare ihrerseits begannen, Fragen zu stellen. Leo schnappte Satzfetzen auf, Wörter wie »Eröffnung«, »Zeitdruck«, »Katastrophe« schwirrten durch die Luft. Der jüngere Kollege der Kommissarin fragte nach etwaigen Überwachungskameras, dem Sicherheitsdienst, dem verantwortlichen Halleninspekteur. Es schien, dass alle draußen gewesen waren, nachdem die Halle wegen der Bombendrohung geräumt werden musste. Dann waren die Sprengstoffexperten mit ihren Hunden gekommen, sie hatten nichts Verdächtiges gefunden. Und als die ersten Arbeiter zurück in die Halle geströmt waren, hatte Ken Zhang bereits im Teich gelegen.

      |33|Mister Kongs Blick fiel auf Leo, die sich immer noch mit dem Lotus in der Wanne beschäftigte und die Pflanzen sinnlos, aber sorgfältig hin- und herrückte.

      »Wann kann sie hier weitermachen?«, fragte er mit einem Rucken seines Kinns in ihre Richtung. »Heute Abend muss alles fertig sein.«

      Er hatte sie also bemerkt und als Arbeitskraft eingeordnet. Leo stellte sich den anderen vor.

      Ein gleichmütiges Schulterzucken der Kommissarin war die Antwort. »Erst muss unsere Arbeit hier getan sein.«

      Der Arzt trat hinzu. »Auf den ersten Blick sieht alles nach Ertrinken aus«, sagte er.

      »Ich habe es gleich gesagt«, ereiferte sich der Vertreter der Messeleitung, »wir hätten das gar nicht zulassen dürfen, ein Wasserbecken hat hier nichts zu suchen!«

      Mit schneidender Stimme klärte Mister Kong ihn darüber auf, dass die ordnungsgemäß eingereichte Baubeschreibung für den Stand samt Bauantrag bewilligt worden sei, man habe sich an alle Richtlinien gehalten, und wozu denn die berühmte deutsche Gründlichkeit nütze sei, wenn einer dem anderen widerspräche? Die Wörter konnte er kaum aussprechen, aber die Grammatik gehorchte ihm. Und er kannte seine Rechte.

      Der Messemann verfärbte sich rot und setzte zu einer Entgegnung an, die Leo jedoch nicht mitbekam, weil ihre Aufmerksamkeit dem Arzt gehörte.

      »Ich sagte: Auf den ersten Blick«, präzisierte er. »Keine äußeren Anzeichen von Gewalteinwirkung. Aber das hier steckte in seiner Anzugjacke.«

      Er hielt ein Plastiktütchen mit dürrem graubraunen Kraut hoch; die Kommissarin griff danach.

      |34|»Cannabis?«

      Der Arzt nickte. »Möglicherweise ein Unfall unter Drogeneinfluss. Eine Tüte zu viel in der Nacht, heute Morgen dann sechs Füße und vor jedem ein kleiner See, und schwupps hineingestolpert in den einzigen echten. Vor maximal zwei Stunden, würde ich sagen. Die Leichenstarre hat noch nicht eingesetzt.«

      »Sechs Füße? Spricht hier jemand aus Erfahrung?«, knurrte die Kommissarin. »Trotzdem wäre ich dir dankbar, wenn du die Schlussfolgerungen uns überlassen würdest.«

      Schulterzuckend zupfte sich der Arzt die dünnen Latexhandschuhe von den Fingern. »Ich muss noch ein paar Tests machen, dann wissen wir es genau. Hier bin ich jedenfalls fertig.«

      »Bitte, da hören Sie es«, mischte sich Mister Kong ein. Doch trotz der Äußerung des Arztes verweigerte die Kommissarin vorläufig die Standeröffnung; Leo hatte den Eindruck, dass sie das vor allem tat, um Kong zu ärgern. Die sich daraus entwickelnde Debatte um Schädigung des Ansehens, Folgen für die wirtschaftliche Zusammenarbeit, den möglichen Schaden für die Messe AG und andere brisante Themen verfolgte sie nicht mehr, es wartete schließlich genug Arbeit auf sie, und außerdem musste sie dringend über etwas nachdenken. Mit der Anweisung, sich für Fragen zur Verfügung zu halten, wurde sie entlassen. Die Wanne mit dem Lotus durfte bleiben.

      Ken Zhang und Drogen? Wie absurd. Es wäre übertrieben gewesen zu behaupten, sie hätte den chinesischen Assistenten gut gekannt, aber Leo hatte ihn nie anders als sehr nüchtern |35|und intelligent erlebt; ein höflicher, ehrgeiziger junger Geschäftsmann, der es zu etwas bringen wollte.

      Irgendetwas war faul an der ganzen Geschichte.

      Und das Smartphone! Sie hatte es völlig vergessen. Leo tastete nach der Innentasche ihrer Jacke, in die sie das rätselhafte schicke Ding gesteckt hatte. Jetzt würde es keine Gelegenheit mehr geben, es Zhang zurückzugeben. Wenn es überhaupt ihm gehörte. Aber wem sonst?

      Sie sah noch einmal die gestrige Szene vor sich, wie Kong seinen Assistenten heruntergeputzt hatte und wie nervös der schon vorher die ganze Zeit gewesen war. Er hatte Angst gehabt.

      Vor Mister Kong konnte man sich auch fürchten. Vielleicht gab es so etwas wie ein Fieser-Chef-Gen. Falls ja, besaß Irene Sorghut es ebenfalls.

      Leo war gerade fertig mit den Konferenzräumen, als sie auftauchte.

      »Frau Heller. Wie kommen Sie dazu, sich einfach über alle Anweisungen hinwegzusetzen?«

      Wieso alle, dachte Leo. Es war doch nur eine?

      »Der Lieferwagen hat abends wieder auf dem Hof der Gärtnerei zu stehen, verstanden! Und die Sackkarre ist auch verschwunden, wie ich gehört habe. Glauben Sie, ich habe eine kleine Fabrik im Keller, um die Dinger auf Vorrat zu produzieren? Die Kosten für eine neue werde ich Ihnen selbstverständlich vom Lohn abziehen.«

      Oh. Na ja, das konnte ja hoffentlich nicht so viel sein.

      »Und jetzt die Autoschlüssel, wenn ich bitten dürfte.«

      Leo suchte noch nach einer einigermaßen passenden Antwort, als Irene Sorghut ihren letzten Schuss abfeuerte. »Im |36|Übrigen brauchen Sie morgen nicht wieder zum Dienst zu erscheinen.«

      Kommentarlos ließ Leo die Schlüssel in die ausgestreckte Hand fallen und blickte Irene Sorghut mit einer Mischung aus Schreck, Wut und Erleichterung hinterher. Sie versuchte sich damit zu trösten, dass eine diplomierte Gartenarchitektin reichlich überqualifiziert für diesen Job war. Aber immerhin war es Arbeit gewesen.

      Hoffentlich war der Lieferwagen vom Parkplatz verschwunden, bevor sie in Versuchung kam, einen der Reifen zu zerstechen.

      Leo brachte es nicht fertig, einfach zu verschwinden. Der Lotus konnte nichts dafür, dass er in der Gärtnerei dieses Giftzahns herangezüchtet worden war, er musste aus der Wanne raus und endlich ins Wasser. Sie ging