Böse Affen. Ilka Sokolowski

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Название Böse Affen
Автор произведения Ilka Sokolowski
Жанр Триллеры
Серия
Издательство Триллеры
Год выпуска 0
isbn 9783866741126



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kritzelte etwas in sein Notizbuch. Im Affenkäfig hatte sich die Lage ein wenig entspannt, obwohl oder weil die Parka-Frau |9|unablässig mit ruhiger Stimme auf die Tiere einredete.

      »Hanne Lenz«, stellte sie sich Leo vor. »Vom Deutschen Tierschutzbund.«

      Leo schüttelte die dargebotene Hand. Eigentlich wirkte die Affenflüsterin ganz sympathisch. Offener Blick, gesunde Gesichtsfarbe, zupackender Händedruck. Braune Haare mit erstem Grau darin, eine steile Sorgenfalte auf der Stirn, aber Lachfältchen in den Augenwinkeln; um die vierzig, schätzte Leo.

      »Ein anonymer Anrufer hat uns heute Morgen auf diesen Missstand hier aufmerksam gemacht«, sagte Hanne Lenz und fasste einen jungen Mann ins Auge, der eben herbeigeeilt kam. Es war Ken Zhang, der Assistent von Mister Kong.

      »Aber weshalb denn?«, fragte der junge Chinese in fast akzentfreiem Deutsch, nachdem er sich vorgestellt hatte. Er trug rote Sneaker zur schwarzen Anzughose, und sein Gesicht war fast so weiß wie sein Hemd. »Und warum gleich die Polizei?«

      Die Uniformierten bereiteten ihm offensichtliches Unbehagen. Hanne Lenz lächelte.

      »In einem Fall wie diesem ziehen wir es vor, nicht allein zu kommen. Außerdem gibt es da einiges zu klären, zum Beispiel …«

      »Ich werde alle Ihre Fragen beantworten«, fiel Ken Zhang ihr ins Wort. Angespannt sah er sich um, als fürchte er, Mister Kong würde jeden Moment auftauchen und eine große Szene machen. Unwillkürlich ließ sich Leo davon anstecken. Ihr Blick blieb bei einem Handwerker in einem grünem, mit einem Biber bedrucktem T-Shirt hängen, der sich ein paar |10|Stände weiter herumdrückte. Er schien vergessen zu haben, wozu der Hammer in seinen Händen sein sollte und sah mit einer Mischung aus Sorge und Genugtuung zu ihnen herüber, die Leo ziemlich verdächtig fand. Sie wäre jede Wette eingegangen, dass das der anonyme Anrufer war. Warum tat jemand so etwas? Hatte er mit dem jungen Chinesen irgendeine Rechnung offen, oder war er so eine Art Undercover-Tierschützer?

      »Ich wäre Ihnen wirklich dankbar, wenn wir das noch etwas verschieben könnten und die Affen vorerst hier blieben«, hörte sie Ken Zhang sagen.

      »Die Affen kommen mit«, beschied die Frau ihn knapp.

      »Und wenn Sie nicht jetzt gleich mit uns sprechen wollen, müssen Sie auf die Polizeistation kommen. Europaallee 7, Nordseite Halle 21, Sie wissen, wo das ist?« Der andere Beamte, der bis jetzt geschwiegen hatte, zog seine Atemschutzmaske ab. Ken Zhang nickte, als sei ihm alles recht, Hauptsache, die Leute hier verschwanden wieder, bevor sein Boss auftauchte. Der Polizist hatte jedoch keine Eile.

      »Unerlaubte Einfuhr von …« – er konsultierte einen Computerausdruck – »von Rhesusäffchen, im Falle eines Wildfangs eine geschützte Tierart. Umgehung von Quarantänebestimmungen, dazu kommt die nicht artgerechte Unterbringung …«

      »Wir werden Anzeige gegen diesen Herrn Kong erstatten«, ergänzte Hanne Lenz. Sie klang wütend. »Oder gegen Sie beide. Was haben Sie sich nur dabei gedacht?«

      »Schon mal in die Standbaubestimmungen geguckt?«, assistierte jetzt wieder der erste Polizist. »Anhang Hausordnung, Paragraph 3 a: Die Mitnahme von Tieren ist nicht gestattet. |11|Haben Sie eine Sonderregelung mit der Messeleitung getroffen?«

      Ken schüttelte den Kopf. »Ich … hatte noch keine Gelegenheit, das zu klären.«

      »Wir werden das alles sehr genau prüfen«, sagte Polizist zwei.

      Ken wurde noch bleicher, die Strähne schwarzen Haars, die ihm in die Stirn fiel, wirkte wie ein Tuschestrich auf einem weißen Blatt.

      »Es sollte doch nur ein Werbegag sein. Mister Kong hat manchmal sehr … spezielle Ideen.«

      »Ein Gag?« Die Stimme der Tierschützerin klang wie ein Fallbeil.

      Ken wand sich. »Wahrscheinlich kann man darüber unterschiedlicher Ansicht sein … Was geschieht denn jetzt mit den Affen?«

      »Sie werden tierärztlich untersucht, dann bringen wir sie auf eine Quarantänestation, wo sie eine Weile unter Beobachtung bleiben«, erwiderte Hanne Lenz.

      Ken Zhang biss sich auf die Lippen. »Und wohin kommen sie danach?«

      Die Tierschützerin musterte ihn kühl. »Darum müssen Sie sich keine Gedanken mehr machen. Das ist unsere Sache.«

      Auf ihr Zeichen packten die beiden Männer den Käfig, in dem schlagartig neues Kreischen und Toben begann. Nur der Affe mit dem türkisfarbenen Halsband blieb apathisch in seiner Ecke hocken.

      »Ähm … Moment«, meldete sich Leo. »Meine Schlüssel.«

      Hanne Lenz runzelte die Stirn. »Brauchen Sie die sofort? Ich würde den Affen von unserem Tierarzt lieber erst ein leichtes Beruhigungsmittel geben lassen.«

      |12|Zur allgemeinen Überraschung zog der junge Chinese eine Packung mit getrockneten Mangostückchen aus der Tasche, trat an den Käfig und warf, bevor die Männer ihn daran hindern konnten, kleine Bröckchen hinein. Der Schlüsseldieb musste sich entscheiden: Klimperkram oder Süßigkeit? Die Frage war einfach, die Schlüssel klirrten zu Boden, Zhang öffnete die Käfigtür, griff flink hinein und zog den Schlüsselbund heraus.

      »Banane mögen sie noch lieber«, sagte er.

      Hanne Lenz lächelte säuerlich. »Werde ich mir merken.«

      Als die Truppe wieder abgerückt war, dauerte es noch eine ganze Weile, bis die Arbeiter an den benachbarten Ständen nicht mehr herüberguckten, tuschelten und grinsten. Der Handwerker, der Leo aufgefallen war, sägte konzentriert an einer Pressholzplatte herum.

      »Was sollte das mit den Affen?«, wandte sich Leo an Ken Zhang, dem inzwischen Schweißperlen auf der Stirn standen. Er sah fast so elend aus wie dieser Primat mit dem türkisblauen Halsband.

      »Es würde zu lange dauern, das zu erklären. Hören Sie, Frau Heller, Sie müssen … oh, Mister Kong!«

      Was sie musste, erfuhr Leo nicht mehr, denn angesichts des chinesischen Geschäftsmannes, der wie aus dem Erdboden gewachsen vor ihnen stand, verstummte Ken Zhang, als hätte man ihm den Strom abgestellt. Mister Kong entpuppte sich als dicklicher älterer Herr im grauen Anzug, mit schwarz gefärbten Haaren, Goldrandbrille und multifunktionaler Uhr am Handgelenk. Und er spuckte Gift und Galle. Ein Schwall chinesischer Wörter wurde über Ken ausgekippt, es |13|klang wie Wasisthierlos-wosindmeineAffen-ichverlangeeineErklärung-daswirdFolgenhaben-Siesindentlassen. Ungeachtet seines Politbüro-Aussehens bestand kein Zweifel, wer jetzt das dominante Männchen war.

      Der junge Chinese versuchte Haltung zu bewahren. Mit zusammengebissenen Zähnen presste er eine Antwort hervor. Kong äußerte etwas im Befehlston, was sein Assistent mit einer steifen Verbeugung quittierte, und wandte sich um, ohne den noch ungefüllten Lotusteich, die Bambusstaude oder gar Leo eines Blickes zu würdigen. Er schien zu erwarten, dass sein Assistent ihm folgen würde, doch offenbar war Ken durch den Auftritt seines Chefs völlig aus dem Takt geraten. Er stieß gegen den Bambus, den Leo extra aus dem Weg geräumt hatte, und stürzte mit rudernden Armen mitten hinein. Ein hässliches Knirschen war zu hören, als der große Holzbottich umkippte und die Staude in der Mitte abknickte. Das Holz splitterte, schwarzbraune Erde ergoss sich über den Boden und in das leere Becken.

      Wunderbar. Das hatte ihr gerade noch gefehlt. Doch bevor Leo diesen Gedanken überhaupt zu Ende bringen konnte, hatte Ken unter Bambusgeraschel und tausend Entschuldigungen die ruinierte Pflanze schon notdürftig wieder aufgerichtet. Hektisch schaufelte er die Erde zurück in den kaputten Kübel.

      Mister Kongs Miene war unergründlich, als er sich umdrehte.

      »Lassen Sie, ich mache das schon«, sagte Leo hastig zu Ken.

      »Verzeihen Sie, ich bin wirklich so ungeschickt«, murmelte er, klopfte sich die Erde von den Händen und sah zu ihr auf. Ein leiser Seufzer entfuhr ihm, oder war es ein Wort? Huang? |14|Huah? Hue? Leo hatte den Eindruck, dass er ihr etwas sagen wollte, doch dazu kam es nicht. Mit einer stummen Kopfbewegung forderte Kong seinen Assistenten auf, ihm zu folgen. Kens Blick vermochte Leo nicht zu deuten. Sie atmete auf, als beide weg waren und sie sich