Wagners Antisemitismus. Dieter David Scholz

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Название Wagners Antisemitismus
Автор произведения Dieter David Scholz
Жанр Документальная литература
Серия
Издательство Документальная литература
Год выпуска 0
isbn 9783534736157



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der Kindheit, als da genannt werden: „Verlust- und Existenzangst“42, extrem „starke Mutterbindung“43, auch vom „vielfachen Einbruch des Todesschreckens“44 in das kindliche Leben ist die Rede, hätten „jene Funken in die Seele des Kindes gegraben, die das widersprüchliche Bild Richard Wagners mit prägten“45. Und mit Wagners Lebensangst, die in seiner Kindheit ihre Ursachen gehabt habe, wird schließlich Wagners Antisemitismus als eine Art verkappte Religion und Heilslehre entschuldigt.46 Gregor-Dellin betrachtet Wagners Antisemitismus als „Ersatzlösung für das unbewältigte Lebens- oder Gesellschaftsproblem“47. Auch wenn Gregor-Dellin auf Wagners Ressentiments gegen Meyerbeer und Mendelssohn, Wagners Hass gegen die Reichen, Wagners Vaterlosigkeit und Wagners „Wut aus schlechtem Gewissen“48 als Motive eines Judenhasses zu sprechen kommt, er löst leider nicht ein, was er als Postulat aufstellt: „Der Antisemitismus Wagners bedarf … einer eingehenderen Analyse, da sich in ihm Privates, Ökonomisches und Rassistisches zu einer gefährlichen Pseudo-Ideologie vermischten.“49 Nicht zuletzt Gregor-Dellins bis heute uneingelöste Aufforderung motivierte mich, dieses Buch zu schreiben.

      Um einen Überblick über den aktuellen Stand der Wagner-Forschung (hinsichtlich ihrer Behandlung des Antisemitismus Richard Wagners) und ihrer noch offenen Fragen und unbewältigten Probleme zu geben, versuche ich zunächst, einen systematisch orientierten, kritisch Bilanz ziehenden Abriss der in der Forschung noch immer kontrovers diskutierten Probleme zu geben. Ein chronologischer Abriss der Wagner-Forschung und ihres Niederschlags in der Literatur wäre so unsinnig wie unmöglich, weil, wie ich schon erwähnte, eben kein sukzessiver Erkenntniszuwachs, keine kontinuierliche, aufbauende Erforschung des Problems des Wagner’schen Judenhasses existiert. Stattdessen kennzeichnen Wiederholungen und Rückgriffe die Literatur zum Thema.

      Noch eine Vorbemerkung zur Auswahl der Literatur: Um dem Thema des Wagner’schen Antisemitismus in seiner Ernsthaftigkeit gerecht zu werden und es nicht unnötig zu verwässern, sind im Rahmen dieser Untersuchung in erster Linie wissenschaftliche Auseinandersetzungen berücksichtigt. Nur wo es aus forschungsgeschichtlichen Gründen geboten scheint, ist auch nichtwissenschaftliche Literatur einbezogen worden.

      Nach systematischer Durchsicht der Wagner-Literatur wird deutlich, dass es im Wesentlichen drei Problemfelder sind, in die die zur Debatte stehenden Fragen eingeteilt werden können – Problemfelder, denen jeweils spezielle Einzelfragen zuzuordnen sind. Dabei werden biographische Probleme, Konzeptionsprobleme und Rezeptionsprobleme scharf voneinander zu trennen sein. Leider ist eine solche Differenzierung in der Forschung bis heute nur in Einzelfällen und nur in Ansätzen vorgenommen worden. In der mangelnden Unterscheidung, ja zuweilen in der Verwechslung von Rezeptions- und Konzeptionsproblemen liegt sogar die Hauptursache der widersprüchlichen und diffusen Forschungslage.

      1. Vermeintlich jüdische Herkunft

      Eine der von Wagner-Verächtern am häufigsten nicht selten mit Häme benutzten Thesen zur Erklärung des Wagner’schen Antisemitismus erweist sich bei genauerem Hinsehen als bloßes Gerücht, allerdings als eines der anscheinend unausrottbaren Gerüchte der Wagner-Literatur: das von der vermeintlich jüdischen Abstammung Richard Wagners. Es ist geradezu kennzeichnend für die Wagner-Literatur, wie an dieser These, allen neueren Erkenntnissen zum Trotz, bis heute immer wieder und immer noch festgehalten wird.

      Das Gerücht von Wagners angeblich jüdischer Abstammung ist ja bereits von Zeitgenossen Wagners ausgestreut und verbreitet worden50, vor allem von einem der intimsten Wagner-Kenner, von Friedrich Nietzsche: „War Wagner überhaupt ein Deutscher? Man hat einige Gründe, so zu fragen. Es ist schwer, in ihm irgendeinen deutschen Zug ausfindig zu machen. Er hat, als der große Lerner, der er war, viel Deutsches nachmachen gelernt – das ist alles. … Sein Vater war ein Schauspieler Namens Geyer. Ein Geyer ist beinahe schon ein Adler …“51

      Eine medisante Unterstellung, die sich hartnäckig halten sollte, auch wenn bereits Julius Kapp52 in seiner populären Wagner-Biographie (1910) zu berichten wusste, dass die Vorfahren Ludwig Geyers, Wagners Stief- und, Spekulationen zufolge, möglicherweise auch Wagners leiblicher Vater, keinesfalls jüdischer, sondern protestantischer Abstammung gewesen seien. Doch die „Vaterschaftsfrage“53 Wagners hat dadurch nicht im

      Geringsten an Interesse verloren. Selbst Thomas Mann hat noch 1940 eine jüdische Abstammung Wagners für möglich gehalten, als er schrieb: „Nur aus deutschem Geist konnte dies Werk kommen. Vielleicht – nicht sicher – hat jüdisches Blut Anteil daran.“54 Die Wagner-Literatur ist voll von solchen und ähnlich pikanten Unterstellungen, Wagners Judenhass gründe sich im Tiefsten auf so etwas wie „jüdischen Selbsthass“55, der sich nähre durch die Angst Wagners, leiblicher Abstammung von seinem vermeintlich jüdischen Stiefvater Ludwig Geyer zu sein. (Dessen Vaterschaft reine Spekulation ist, wie zu zeigen sein wird.)

      Obwohl schließlich auch Ernest Newman56 in seiner bahnbrechenden, weil ersten kritischen, sich sachlich mit einem überwältigenden Faktenmaterial auseinandersetzenden Wagner-Biographie (1943–46) die Behauptung als fragwürdiges Gerücht darstellte, dass Wagners Stiefvater, Ludwig Geyer, jüdischer Abstammung sei, wird sie noch in jüngsten Publikationen immer wieder als unhinterfragte Argumentationsgrundlage benutzt. Noch immer wird mit der Hypothese von Wagners vermeintlich jüdischer Abstammung sein zuweilen aggressiv-affektgeladener Antisemitismus motiviert. Ein solchermaßen verinnerlichter Antisemitismus müsse schließlich als „Eckstein Wagnerschen Denkens über Kunst und Politik“57, wo nicht gar seines ganzen, also auch des musikdramatischen Werks, zu betrachten sein. Auch und gerade Theodor W. Adorno hat (im Zeichen aufklärerischer Vernunft) jenes Nietzsche’sche Vorurteil übernommen: Wagners Antisemitismus bekenne „sich als individuelle Idiosynkrasie, die verstockt aller Verhandlung sich entzieht“58. Adorno bekräftigt – mit den Worten Walter Benjamins übrigens – das lange gehegte Gerücht von der Angst Wagners, „vom ekelhaften Objekt als dessengleichen erkannt zu werden“59. Mit diesem Satz hat Adorno die Deutungsgeschichte Wagners festgeschrieben. Die Interpretation einiger Gestalten der Wagner’schen Musikdramen als Judenkarikaturen begründete Adorno mit vermeintlichem jüdischen Selbsthass Richard Wagners. Die Nachwelt sah sich dadurch legitimiert, Adorno nachzueifern.60 Bereitwillig wurde der Adorno’sche Ansatz seither immer wieder (und ungeprüft) paraphrasiert, in großem Stile zuletzt von Robert Gutman61 (1970). Radikalster Adept Adornos ist aber ohne Zweifel Hartmut Zelinsky, der geradezu so etwas wie eine postume Abstammungs-Diskreditierungs-Kampagne gegen Wagner startete. Im Jahre 1976 behauptete er, bei Wagner das „Bewusstsein“ zu bemerken, „ein oder wie ein Jude zu sein“. Dieses vermeintlich jüdische Bewusstsein Wagners ist für Zelinsky der „psychische Knotenpunkt seiner Existenz“62 und der Autor glaubt hieraus ableiten zu dürfen, „dass das Judenthema im Grunde Wagners einziges Thema überhaupt“63 sei.

      Des Weiteren leitet Zelinsky daraus eine zentrale antisemitische „Werkidee“, einen „präzisen und kalkulierten Lebens- und Werkplan“64 Wagners ab, der den Kerngehalt des gesamten theoretischen und musikdramatischen Werks bestimme und den es entsprechend dieser Gedankenkonstruktion des Autors zu dechiffrieren gelte. Gemäß solch jüdischem Selbsthass müsse dann, nach Zelinsky, „der Untergang der Juden“ als „die Hauptspur seines Denkens und seiner Werke“65 angesehen werden.

      Eine monumentale These, die sich auf eine einzige, unbeweisbare, ja allen sachlich überprüfbaren Erkenntnissen zufolge falsche Annahme stützt. Schon 1980 hat Martin Gregor-Dellin66 in seiner sich großer Popularität erfreuenden Wagner-Biographie die Erklärung von Wagners Antisemitismus durch vermeintlich jüdischen Selbsthass als „Unfug“67 abgetan. Dennoch ist auf einem internationalen Wagner-Symposium in Salzburg (1983) wiederum jene anscheinend unausrottbare These (leicht modifiziert) vorgetragen und als Ergebnis heutiger Wagner-Forschung vorgestellt worden: Richard, aber auch Cosima Wagners Antisemitismus sei auf nichts weiter als „einen veritablen Verfolgungswahn“68