Mörderisches Taubertal. Heike Wolpert

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Название Mörderisches Taubertal
Автор произведения Heike Wolpert
Жанр Триллеры
Серия
Издательство Триллеры
Год выпуска 0
isbn 9783839269541



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es mit dem Geschäft immer schlechter gelaufen war. Ihm selber lag eher die künstlerische Seite des Juwelierberufs, und eben leider nur die. Er entwarf exquisite Einzelstücke. Bedauerlicherweise waren die solventen Käufer dafür dünn gesät und würden nicht ausreichen, um ihn vor der drohenden Insolvenz zu bewahren. Die Tage seines Juwelierladens waren gezählt. Nicht mehr lange und er würde ein letztes Mal aus dessen Tür treten, sie abschließen und darauf warten, dass sich endlich das Gitter vor dem Eingang gesenkt hatte. Und dabei würde er ganz allein sein … Von wegen Freunde!

      *

      »Ein Freund, ein guter Freund, das ist das Schönste, was es gibt auf der Welt …«, schallte es aus dem Autoradio. Paul-Friedrich Osterwald sang dröhnend und vor allem falsch mit.

      »Mach das Gedudel aus und halt die Fresse, das kann man ja nicht mit anhören!«, blaffte sein Kumpel Alfred Haberstroh vom Rücksitz.

      »Och, Alfi!«

      Der bullige Mittdreißiger hasste es, »Alfi« genannt zu werden. Wenn man seinen Namen schon abkürzen musste, dann »Fred« oder seinetwegen auch »Alf«, aber keinesfalls, unter keinen Umständen »Alfi«! Da hörte die Freundschaft auf, die sein Kumpel Paul und die Comedian Harmonists weiterhin lautstark und unermüdlich besangen.

      »… und biiist du auch betrübt, weil dein Schatz dich nicht mehr liebt …«

      Sehnsüchtig betrachtete Alfred die beiden Waffen in dem aufgeklappten Aktenkoffer auf dem Rücksitz neben sich. Zwei Walther P5. Es juckte ihn in den Fingern, Paul eine davon an die spärlich behaarte Schläfe zu halten und ihn damit zur Ruhe zu zwingen. Aber er beherrschte sich. Paul-Friedrich war sowieso schon nicht der beste Autofahrer, da wollte er ihn nicht noch weiter aus dem Konzept bringen. Wie zur Bestätigung seiner Gedanken machte der Wagen einen unkontrollierten Schlenker auf die Gegenfahrbahn. Ein sich nähernder Lkw reagierte mit Lichtzeichen.

      »Ups!« Paul steuerte gegen und holperte kurz über den Grünstreifen neben dem rechten Fahrbahnrand. Beinahe hätte er einen Leitpfosten mitgenommen.

      Alfred Haberstrohs Hand fuhr unwillkürlich an den Haltegriff über der Seitenscheibe. »Pass doch auf!«

      Der Lastwagenfahrer passierte sie mit kreischender Hupe. Der Wagen schlingerte.

      »Und mach endlich das Gedudel aus!« Inzwischen umklammerte Fred den Griff mit beiden Händen.

      »Gute Freunde kann niemand trennen …«, verkündete Franz Beckenbauer derweil aus dem Rundfunkgerät.

      »Die haben heute das Thema Freundschaft auf Radio Te-Be-Be«, erklärte Paul. Überflüssigerweise. Anders war die eigenwillige Musikmischung seines Lieblingssenders nicht zu erklären.

      Fred stöhnte.

      »… gute Freunde sind nie allein …«, wusste der »Kaiser« weiter.

      Paul brachte den in die Jahre gekommenen Golf endlich wieder in die Spur und gab sogleich erneut Gas.

      Sie näherten sich dem Ortsschild von Tauberbischofsheim.

      »Fahr nicht so schnell! 50 sind hier erlaubt«, nörgelte Fred.

      Abrupt trat Paul auf die Bremse. Hinter ihnen setzte augenblicklich ein weiteres Hupkonzert ein.

      »… füreinander da zu sein!«, pries Beckenbauer unbeeindruckt die Vorteile der Freundschaft.

      Bei Alfred war es mit derselben gleich vorbei. »Jetzt stell endlich das Gejammere ab. Das grenzt ja an Körperverletzung!« Seine Hände, die er gerade vorsichtig vom Haltegriff zurückgezogen hatte, zuckten nun wieder in Richtung der beiden Handfeuerwaffen neben sich. Warum hatte er sich auch nicht beherrschen können? Er hatte es immer gewusst, dass Rauchen ungesund war. Trotzdem war er vorletzten Samstag noch mal spätabends losgefahren, um Zigaretten zu holen. Eigentlich hatte er schon lange damit aufgehört, also mit dem Rauchen. Aber nach ein paar Bierchen war er schwach geworden. Und dann hatte er es auf dem Rückweg gar nicht abwarten können: Er hatte sich gleich eine anzustecken versucht. Dabei war er ins Schlingern gekommen, hatte das Polizeifahrzeug zu spät gesehen und … jetzt hatte er keinen Führerschein mehr. Er ärgerte sich über seine Unbeherrschtheit, das hatte er nun davon. »Halt! Siehst du nicht, es ist rot!«, brüllte er seine Wut heraus.

      Mit quietschenden Reifen kamen sie zum Stehen. Der Motor erstarb.

      »… und scheiß auf ›Freunde bleiben‹«, zog im Radio Revolverheld jetzt andere Saiten auf, bevor Paul endlich ausschaltete.

      »Eine bunte Mischung, da ist für jeden was dabei«, lobte er den lokalen Sender unbeirrt.

      Die Ampel schaltete auf Grün. Paul nestelte am Zündschlüssel und würgte erneut den Motor ab. Hinter ihnen begann schon wieder jemand zu hupen.

      Endlich setzten sie sich in Bewegung. Im Schneckentempo fuhren sie nun durch die Straßen von Tauberbischofsheim. Der ungeduldige Verkehrsteilnehmer von eben zog, immer noch hupend, bei der nächsten Gelegenheit an ihnen vorbei und drohte mit der Faust.

      Fred ballte die seinen gleichfalls, allerdings im Schoß. »Was ist, findest du den zweiten Gang nicht?«, knirschte er.

      »Äh, ich dachte …«

      »Überlass das Denken mir!«, fuhr Fred ihm über den Mund. »Hier, jetzt rechts«, dirigierte er kurz darauf.

      Munter setzte Paul den Blinker und bog zügig nach links ab.

      Sein Kumpel schnaufte mühsam beherrscht durch. »Ich hätt’ es mir denken können«, murmelte er vor sich hin. »Das andere rechts«, sagte er laut. »Und jetzt mach hinne. Die schließen um sechs.«

      Es dauerte eine gefühlte Ewigkeit, bis Paul endlich gewendet hatte. Glücklicherweise war in dieser Gegend kein Verkehr mehr. Es waren Sommerferien, die Leute waren verreist oder tummelten sich in der Innenstadt. Die Grundschule, die sie kurz darauf passierten, lag wie ausgestorben da.

      »Weißt du noch, damals?«, schwelgte Paul-Friedrich mit Blick auf das Schulgebäude in Erinnerungen.

      »Hm«, brummte Alfred Haberstroh. Er wollte lieber nicht daran denken. Sie waren beide Außenseiter gewesen. Er als Wiederholer und Paul als der Neue mit dem komischen Dialekt, zugezogen aus Norddeutschland. Dabei war es geblieben, der vierschrötige Alfred legte keinen Wert auf den Kinderkram der anderen und Paul machte sich durch seine Tollpatschigkeit genauso wenig beliebt. Er ließ kein Fettnäpfchen aus und verriet, wenn auch zumeist unabsichtlich, jedes Geheimnis. Trotzdem hatte Fred ihn immer wieder für seine Zwecke eingespannt. Einfach deshalb, weil er der Einzige war, der seine Betrügereien mitmachte. So hatten sie sich mit vereinten Kräften durch die Schulzeit geschlagen, teilweise im wahrsten Sinne des Wortes, zumindest was Alfred betraf.

      Danach waren gemeinsame Aktivitäten seltener geworden. Paul gelang es, einen Ausbildungsplatz zum Landschaftsgärtner zu ergattern. Fred hielt sich mit Gelegenheitsjobs über Wasser. Man traf sich manchmal freitagnachts in der Kneipe. Paul berichtete dann immer von seinen diversen weiblichen Internetbekanntschaften. Keiner dieser Flirts hielt lange. Früher oder später kamen die Frauen dahinter, mit was für einem Chaoten sie ausgegangen waren, und beendeten die Beziehung. Und es dauerte ebenfalls nicht allzu lange, bis Pauls Arbeitgeber herausfand, dass der neue Azubi statt über einen grünen Daumen leider nur über zwei linke Hände verfügte, und sich deshalb nach Beendigung der Lehrzeit von ihm trennte.

      Die Treffen in der Kneipe nahmen daraufhin zu und Alfred bezog Paul wieder öfter in seine, zum Großteil kriminellen, Machenschaften mit ein. Der war willig, aber nach wie vor geschwätzig. Das brachte Fred schließlich einen sechsmonatigen Gefängnisaufenthalt, aber auch neue Kontakte ein. Und einer dieser neuen Bekannten hatte ihm den Tipp mit dem Juwelier am Schlossplatz gegeben. Der fertigte nämlich in seiner Werkstatt ausgesuchte Einzelstücke an und das Material dazu wurde jeweils montagnachmittags geliefert. Montags war der Inhaber außerdem allein im Laden und der Schlossplatz kaum besucht, da das namensgebende Kurmainzische Schloss samt des darin befindlichen Tauberfränkischen Landschaftsmuseums an diesem Tag für Besucher geschlossen war. Ebenso wie der anliegende Türmersturm, ein weiterer Bestandteil der ehemaligen Wasserburg.

      Als