Mörderisches Taubertal. Heike Wolpert

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Название Mörderisches Taubertal
Автор произведения Heike Wolpert
Жанр Триллеры
Серия
Издательство Триллеры
Год выпуска 0
isbn 9783839269541



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seine Einsilbigkeit der Spaß an der Konversation.

      »Ich war auch verheiratet. Fast 50 Jahre lang, stellen Sie sich das mal vor.«

      Das wollte er lieber nicht. Bei ihm stand demnächst der 20. Hochzeitstag an. Er antwortete abermals mit einem kurzen »Hm.«

      »Ende 1967 haben wir uns kennengelernt. Da waren Sie wahrscheinlich noch nicht einmal geboren.« Sie musterte ihn neugierig von der Seite.

      Frank nickte. »Stimmt, ich bin Jahrgang 1970.«

      »Dann haben Sie ja noch fast ihr ganzes Leben vor sich. Haben Sie Kinder?«

      Frank seufzte. Seit einer knappen Woche waren er und seine Frau nun täglich mit ihren Freunden unterwegs, die aus Norddeutschland zu Besuch bei ihnen weilten. Das war zwar auf der einen Seite sehr schön, auf der anderen aber auch anstrengend, denn hier in Baden-Württemberg waren noch Sommerferien. Sie mussten also neben dem Programm für ihre Gäste auch für Unterhaltung ihrer Zwillinge Meike und Martha sorgen. Und es war nicht immer einfach, die verschiedenen Interessen unter einen Hut zu bekommen. Der Vorschlag eines Klosterbesuchs hier bei Wertheim war glücklicherweise bei allen auf Zustimmung gestoßen. Seine Frau hatte ihren Töchtern nämlich im Frühjahr eine kleine Ecke ihres heimischen Gartens zur Verfügung gestellt, welche die beiden seither mit großer Begeisterung bewirtschafteten. Ein Hinweis auf den Kräutergarten des Klosters und die Aussicht auf eine Führung hatte genügt. Für später war ein gemeinsames Essen im Restaurant in der Orangerie geplant. Da wäre Frank dann gerne wieder mit von der Partie und würde den munteren Gesellschafter mimen. Aber jetzt brauchte er einfach mal eine Pause.

      Die Oma neben ihm ließ jedoch nicht locker. »Oder hat es bis jetzt noch nicht geklappt mit dem Nachwuchs?«, setzte sie mit der Indiskretion nach, die manch älteren Herrschaften zu eigen ist.

      »Doch«, gab er schließlich zur Antwort. Und weil sie sogleich mit einem interessierten »Aha!« reagierte und es sowieso mit der Ruhe vorbei war, setzte er hinzu: »Zwei Mädchen, Zwillinge. Sieben Jahre alt.« Die Frage wäre sicher ohnehin gleich gekommen.

      »Oh, da ist ja einiges los bei Ihnen. Unser Sohn ist in Ihrem Alter. Der ist natürlich schon seit Jahren aus dem Haus. 1992 ist er ausgezogen. Er lebt in Kassel. Er ist nicht verheiratet und Enkel habe ich leider auch keine.« Sie seufzte.

      Frank trommelte mit seinen Fingern auf die Sitzfläche neben sich. Na und?, dachte er herzlos. Das war die übliche Geschichte, wahrscheinlich war es der Frau einfach langweilig. Der Sohn war weit weg und kümmerte sich vermutlich nicht um seine Eltern. Frank selber hatte sich auch schon lange nicht mehr bei seinen Erzeugern gemeldet. Und die wohnten in Wertheim, also quasi um die Ecke.

      Der Gedanke an die beiden alten Leutchen und sein damit verbundenes schlechtes Gewissen stimmten ihn gnädiger. »Und Ihr Mann?«, fragte er. Warum der Alten nicht ein bisschen die Zeit mit belanglosem Geplauder vertreiben?

      »Der ist tot.«

      Mist, Fettnäpfchen zielgenau getroffen. »Das tut mir leid«, antwortete er lahm.

      »Ach, das braucht es nicht. Ich bin froh, dass ich ihn loshabe. Er war ein Despot! Ein Tyrann!«

      Oha! Was für Töne aus dem Mund dieser reizenden älteren Dame? »Das tut mir leid«, fiel ihm auch darauf keine bessere Antwort ein.

      »Ach, mir tut es leid. Und zwar, dass ich mir das alles so lange habe gefallen lassen«, schlug die freundliche Seniorin selbstkritische Töne an. »Aber, wissen Sie …« Sie wandte sich zu ihm und legte ihre Hand auf seinen Arm. »Ich bin noch eine andere Generation als Sie. Da lässt man sich nicht gleich scheiden.« Ihre Knopfäuglein blickten geistesabwesend in die Ferne. »Tja, früher war nicht alles besser. Mein Vater wollte damals, dass ich Friedrich heirate. Wir hatten eine kleine Schreinerei. Familienbetrieb. Friedrichs Sippe war unser größter Lieferant. Die haben, oder besser gesagt hatten, riesige Grundstücke. Auch viel Wald. Friedrich war der einzige Sohn und handwerklich begabt. Der ideale Schwiegersohn.« Jetzt drehte sie sich wieder ihm zu und musterte ihn aufmerksam. »Meine Eltern hatten beide etwas dagegen, dass ich unseren Betrieb übernehme. Das sollte ihrer Meinung nach ein Mann machen. So waren die Zeiten damals. Eine unverheiratete Frau als Chefin in einem Schreinereibetrieb? Wer würde denn da Aufträge vergeben? Das hat mir mein Vater gleich klargemacht.« Sie ballte ihre runzeligen Hände zu Fäusten. »Ich sollte also heiraten und der passende Kandidat, Friedrich, war ja schon gefunden. Er war im richtigen Alter und brachte gleich Ländereien mit in die Ehe. Und – so schlecht sah er schließlich gar nicht aus – ›der könnte jede haben mit seinem Geld‹.« Sie atmete zitternd aus. »Das hat meine Mutter zu mir gesagt. Von wegen Solidarität unter Frauen!« Nun funkelten ihre dunklen Augen wütend. Ich hätte Nein sagen sollen. Einfach durchbrennen. Aber ich habe mich nicht getraut. Viel musste ich ja nicht tun, außer Ja sagen und möglichst bald für einen Stammhalter sorgen. Nun, wenigstens das ist mir dann gelungen.« Plötzlich klang sie, als sei sie den Tränen nahe.

      »Hm.« Mehr fiel Frank nicht dazu ein. Er fühlte sich nicht ganz wohl in seiner Haut. Hoffentlich fing die Frau jetzt nicht an zu heulen. Er sah zu der Touristengruppe hinüber, die sich langsam durch den Abteigarten bewegte. Ein Klostermitarbeiter erklärte wild gestikulierend die dort wachsenden Pflanzen.

      Der Blick der alten Dame folgte dem seinen, ihre Schultern strafften sich. »Ich hätte mein Schicksal viel früher in die eigene Hand nehmen sollen«, bedauerte sie, nun wieder mit festerer Stimme.

      Ein paar Meter entfernt zupfte der Führer im Klostergarten soeben eine Nadel von einem üppigen Rosmarinbusch, zerrieb sie zwischen seinen Fingern und schnupperte daran. Dann forderte er seine Schäfchen um sich herum auf, es ihm gleichzutun.

      Einen Moment schwiegen Frank und seine Sitznachbarin, während sie den Fortgang der Gartenführung beobachteten. Dann ging ein Ruck durch die Seniorin. »Wer hätte gedacht, dass das Kloster mit seinem wundervollen Garten die Lösung meines Problems sein könnte.«

      Frank räusperte sich. So ganz war ihm nicht klar, wo­rauf die Alte mit diesem Themenwechsel hinauswollte. War sie eben noch ein weinerliches Häufchen Elend gewesen, hörte sie sich nun sehr entschlossen an. Vielleicht war sie ja auch dement? Kam es da nicht immer wieder zu Stimmungsschwankungen? »Äh, sind Sie allein hier?«, fragte er nach. Womöglich war sie aus einem Pflegeheim ausgebüxt und wurde bereits verzweifelt gesucht!

      »Nein, nein. Mein Sohn hat mich gefahren. Sonst bin ich ja immer mit der Bahn hierhergekommen und das Stückchen vom Bahnhof gelaufen, aber ich bin nicht mehr die Jüngste.«

      »Und wo ist Ihr Sohn jetzt? Besichtigt er das Kloster?« Hoffentlich stimmte die Geschichte.

      »Ja, er wollte sich die Kirche anschauen und anschließend in den Klosterladen gehen. Wissen Sie, er lebt in Kassel und kommt nicht so oft dazu, hier einzukaufen.«

      Das mit Kassel hatte sie schon erwähnt.

      »Er ist der Letzte, der mir von der Familie geblieben ist. Meine Eltern und Schwiegereltern sind schon lange tot. Und mein Mann musste den Betrieb schließlich verkaufen, weil Friedrich junior ihn nicht übernehmen wollte. Tja, da hat ihm sein Stammhalter nichts genutzt. Er hat ihn mit seinem Jähzorn aus dem Haus getrieben.«

      Frank hatte inzwischen hinreichend mitbekommen, dass die Ehe der Dame wohl nicht glücklich gewesen war. Dann konnte sie ja froh sein, dass der werte Gatte das Zeitliche gesegnet hatte.

      »Ich bin erleichtert, dass er endlich tot ist«, erklärte sie prompt und musterte ihn abermals neugierig: »Sind Sie glücklich verheiratet?«

      Frank wand sich. »Was heißt schon glücklich …«

      »Sie können sich scheiden lassen. Oder eine Trennung auf Probe vollziehen. Heutzutage geht das alles viel einfacher. Nicht, dass es zu meiner Zeit gar nicht möglich gewesen wäre, aber ich habe da irgendwie den richtigen Zeitpunkt verpasst.« Sie seufzte erneut tief. »Irgendwann saß ich dann da. Mit einem unzufriedenen Ehemann, den ich nie geliebt habe und der aufgrund seiner Herzprobleme unseren Betrieb verkaufen musste, weil er vorher unseren Sohn als möglichen Nachfolger mit seiner Unbeherrschtheit vertrieben hatte.«

      Was sollte er dazu noch sagen?