Herr über Leben und Tod bist du. Olaf Müller

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Название Herr über Leben und Tod bist du
Автор произведения Olaf Müller
Жанр Триллеры
Серия
Издательство Триллеры
Год выпуска 0
isbn 9783839269183



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vorbei in Richtung Wohnzimmer. Die Kommissare schauten sich überrascht und erleichtert an. Dann stiegen sie mit gezogenen Waffen die Treppen hinunter. Der Kater hatte eine Weinflasche umgeworfen und mit der Flasche gespielt.

      »Im Keller nichts Neues«, sagte Fett und steckte die Waffe ein. »Sagen Sie der KTU, dass hier ein Kater rumläuft. Fall fürs Tierheim. Oder er haut ab in die freie Wildbahn. Auf zu Bauer Tyssen.«

      Schmelzer atmete tief durch. Auch ihm hatte die Überraschung zugesetzt. Und das alles auf leeren Magen.

      Kurz danach bogen sie in den Hof von Tyssen ein, und Fetts Erinnerungen an die Kindheit auf dem Bauernhof in Langerwehe waren sofort präsent, als er den Geruch von Stall, Futter, Jauchegrube wahrnahm.

      »Wen suchen Sie?« Ein vierschrötiger Mann um die 50 kam auf sie zu. Gummistiefel, grüne Arbeitshose, verschmutzte Joppe und auf dem Kopf etwas, das mal ein Hut gewesen sein konnte.

      »Fett, Schmelzer. Kripo Aachen. Sind Sie Lorenz Tyssen?«

      »Wer sonst?«

      »Sie könnten ein Knecht sein?«

      »Knechte gibt es nicht mehr. Nur Landwirtschaftshelfer.«

      »Wo waren Sie heute Morgen von 6 bis 10 Uhr, Herr Tyssen?«

      »Was ist los? Wurde eine Bäckerei ausgeraubt oder wieder ein Geldautomat gesprengt?«

      »Für Fragen sind wir zuständig.« Fett hatte ein ungutes Gefühl.

      »Lassen Sie mich meine Arbeit machen. Ich hatte Nachtschicht in Düren bei den ehemaligen Fordwerken. Bin um 6 Uhr zurückgekommen, hab die paar Kühe gefüttert und dann die Abrechnung für die Molkerei gemacht.«

      »Gibt es Zeugen dafür?«

      »Ja, neben Elli noch 30 andere Kühe.«

      »Dann werden wir die verhören.«

      »Was soll das?«

      »Eugen Kaltenbach ist tot.« Fett hielt Todesort und –art zurück.

      »Kaltenbach tot? Wenn Sie kommen, dann ist er kaum sanft entschlafen?«

      »Gut kombiniert. Also, haben Sie Zeugen?«

      »Meine Frau und die Kinder. Meine Frau hat mir um 6 Uhr das Frühstück gemacht, um 7 Uhr sind die Kinder zum Schulbus, um 7.30 Uhr kam der Milchwagen. Reicht das?« Tyssen wurde leicht aggressiv, auch wenn er eine gewisse Freude über den Tod von Kaltenbach nur schwer unterdrücken konnte.

      »Wir prüfen alle Angaben. Wie war denn Kaltenbach als Eigentümer?«

      »Ein Arschloch. Blutsauger. Wehe, wenn die Ernte mal schlecht ausfiel. Von Stundung der Pacht keine Rede. Der hetzte sofort Anwälte los. Wurde noch schlimmer, als seine Frau bei dem Autounfall gestorben ist. Wenn Kaltenbach stirbt, dann wird es in Bergstein besser. Das sagten alle. Wie ist es passiert?«

      »Erfahren Sie noch früh genug, Herr Tyssen.«

      »Was wird aus dem Hof?«

      »Es gibt bestimmt noch Verwandte der Ehefrau. Dauert. Vielleicht wird alles besser für Sie.«

      Tyssen nahm die undefinierbare Kopfbedeckung in die Hand, drehte sie hin und her. Er dachte nach. All die Auseinandersetzungen mit Kaltenbach, die Inkassotypen noch vor Heiligabend. Wenn Agatha Kaltenbach damals den Alten nicht aufgehalten hätte, dann wäre Familie Tyssen rausgeflogen. Warum musste sie diesen absurden Tod sterben?

      »War es das, Herr Kommissar? Ich muss mich hinlegen. Heute wieder Nachtschicht.«

      »Wem trauen Sie einen Mord an Kaltenbach zu?«

      »Gehasst wurde er von vielen. Mord? Hören Sie sich im Dorf um. Ich bin zu müde, um über Kaltenbachs Mörder nachzudenken. Wiedersehen.« Er stampfte in Richtung Küche und ließ Fett und Schmelzer auf dem Hof stehen.

      »Prüfen Sie das Alibi, Schmelzer. Jetzt ab ins Präsidium.«

      Schmelzer wird überwacht

      Sie waren spät dran. Keine warmen Speisen mehr am Buffet. Drei einsame Schüsselchen mit Vanillepudding und Himbeersirup. Fett zahlte für die drei, nahm zwei kalte Frikadellen und suchte mit Schmelzer einen Tisch mit Aussicht. Nur einige Kollegen von der Bereitschaft saßen in der Kantine.

      »Brauchen wir eine besondere Aufbauorganisation?« Schmelzer vertilgte Pudding Nummer eins. Die Frikadelle erledigte er mit zwei Bissen. Er hatte Fleischeslust. Wie immer.

      »Dafür fehlt das Personal. Da müssen wir beide ran und wieder in die Vergangenheit schauen.«

      Pudding zwei war an der Reihe, und Schmelzer blickte so intensiv auf die Verlaufsformen des Himbeersaftes, dass er den Mord vergaß. »In meiner Kindheit gab es oft Pudding mit Himbeersaft.«

      »Ja und Schokopudding mit selbstgemachter Sahne am Sonntag.« Fett hatte keine Lust auf diese Nahrungserinnerungsgespräche.

      »Ich mochte mehr Vanillepudding.« Schmelzer biss sich fest. Sein Lieblingsthema.

      »Was macht die vegetarische Küche von Anne?« Fett wusste, dass Schmelzer seit Freitag nur Gemüse, Tofu, salzlose Kost bekommen hatte.

      »Wird immer ideologischer. Wenn nur die Belehrungen nicht wären. Alles weiß sie besser. Alles. Aus dem Essen wird eine Wissenschaft. Die freudlose Küche. Justus und ich fahren heimlich zu Metzgereien. Sie macht sogar Kontrollanrufe. Ob ich Kunde bei Lemmen oder Brach sei. Fleischkonsumüberwachung.«

      »Nehmen Sie meine Frikadelle. Ich hab Bockwürstchen im Kühlschrank.«

      Schmelzers Laune besserte sich für wenige Minuten. Fett ging auf die Probleme nicht weiter ein. Er hatte genug für den Tag. Sie verabschiedeten sich freudlos.

      Fett verließ das Polizeipräsidium und stieg auf sein Klapprad. Trierer Straße und Adalbertsteinweg waren um die Uhrzeit dicht. Er zog die Gelbweste an, steckte Vorder- und Rücklicht an den Rahmen und legte das schwere Kettenschloss ins Körbchen. Seit dem Sommer fuhr er Rad. Den Alfa hatte er verkauft wegen Altersschwäche. Ein neuer Wagen war nicht in Sicht. Sein Vater hatte immer gesagt: »Auto fängt mit AU an und hört mit O auf.« Über VW-Käfer und einen Golf Diesel war Fetts Vater nie hinausgekommen. Reichte ihm für seine Fahrten zur Wache nach Düren und zur Bereitschaftspolizeiabteilung IV nach Linnich. Der Wind war frisch, kein Schnee, nasses Laub, spiegelnde Pfützen. Fett fuhr an der Lützow-Kaserne vorbei in Richtung Aachen-Arkaden. Ein Denkmal vergangener Konsumlust. Er passierte die Josefskirche und steuerte auf den Kaiserplatz zu, wo seit Jahren mit Drogen gehandelt wurde. Nichts hatte sich verbessert. Wahrscheinlich wurde in der Tiefgarage vom Aquis Plaza Einkaufszentrum gedealt. Über den Willy-Brandt-Platz, wo bei der Einweihung Willy mit zwei »i« falsch geschrieben worden war, radelte er, nach links abbiegend, am Parkhaus vorbei auf die Peterstraße zu. Hubert Moonen, Herren-Oberbekleidung, seit Jahren schon geschlossen. Er schob über die Fußgängerampel in Richtung Parkhaus Büchel. Der Weihnachtsmarkt. Er hatte den Weihnachtsmarkt vergessen. »Stille Nacht, heilige Nacht.« Die Musik umfing ihn bereits. Um die Uhrzeit könnte er sich noch mit dem Fahrrad durch die Besucher schlängeln. Reibekuchen tauchten vor seinem inneren Auge auf. Montagabend mit Reibekuchen. Der Kantinenpudding als Mittagessen reichte nicht. Sie waren spät aus Bergstein zurückgekehrt. Am Nachmittag die Besprechungen und Spurensuche. Eine große Mordkommission lehnte sein Chef Kosslowski ab. Er habe zu wenig Personal wegen Urlaub, Krankheit und den Einsätzen in Hambach. Fett war nicht unzufrieden mit der Entscheidung des Chefs. Das Gewimmel, die Unruhe, die Rennerei im Lagezentrum einer Besonderen Aufbauorganisation waren nichts für ihn. Klar, wenn das Kapitalverbrechen es erforderte, machte er mit. Ansonsten: allein zu zweit. Sein alter Spruch.

      Reibekuchen und Reflexionen

      Fett schob sein Klapprad an Hütte 16 und von Glühwein geröteten Gesichtern vorbei. Die Hütte stand wieder an der Ecke am Elisengarten. Um sie wurde heftig gestritten. Ausweitung der Kampfzone. Der Weihnachtsmarkt dehnte sich in den Park hinein aus. Auf dem Münsterplatz stand der Kommissar vor dem labyrinthischen Imbissgewirr Hexenhof. Einen Eingang konnte er kaum