Herr über Leben und Tod bist du. Olaf Müller

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Название Herr über Leben und Tod bist du
Автор произведения Olaf Müller
Жанр Триллеры
Серия
Издательство Триллеры
Год выпуска 0
isbn 9783839269183



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am Burgberg durch Stefan Hoven. Beigesetzt auf dem amerikanischen Soldatenfriedhof Neupre (Neuville-en-Condroze) in Belgien. Möge er in Frieden ruhen.«

      Die amerikanische Spur

      und das Monster

      Fett beugte sich hinunter zu den drei Kerzen vor dem Gedenkkreuz, von denen eine brannte. Er stutzte, nahm einen kleinen Zweig und spießte etwas auf: eine Patronenhülse. Die Hülse war nicht verrostet, sie glänzte, er hielt sie an seine große Nase. Die Patronenhülse roch nach Pulver. Vorsichtig legte Fett sie wieder vor das Kreuz, zog sein Handy aus der Jackentasche und rief Elke Unsleber an.

      »Ich hab hier was. Kommen Sie 50 Meter den steilen Weg runter.«

      »Nichts berühren«, warnte die Kollegin, als sie Fett erreichte. »Die Hülse liegt noch nicht lange da. Guter Blick, Kollege Fett. Kaliber 7,62 Millimeter Springfield. Sieht mir nach amerikanischer Munition für das M1 aus.«

      »Geht es etwas genauer?«

      »Standardgewehr der US-Streitkräfte im Zweiten Weltkrieg. Halbautomatisch. Bestimmt liegt hinten im Museum Hürtgenwald ein Exemplar.«

      »Das geht mir zu schnell. Sie meinen, die Kugel wurde aus einem amerikanischen Karabiner abgefeuert, der im Zweiten Weltkrieg hier zum Einsatz kam. Und drüben, im Museum in Vossenack, da liegt so ein Teil?«

      »Ich vermute. Den Rest nach der ballistischen Auswertung. Einen Reim müssen Sie sich darauf machen. Ich liefere Daten und Fakten. Wie immer, lieber Herr Fett.«

      »Der liebe Herr Fett hat da oben einen Toten mit Kopfschuss, sieben Messerstichen und hier, an dem Kreuz für den Private First Class Peternell, der im Dezember 1944 am Burgberg vermisst wurde, eine frische Patronenhülse. Nicht zufällig. Davon gehe ich aus.«

      »Würde ich auch so sehen. Viel Erfolg bei den Ermittlungen.« Elke Unsleber steckte eine Markierung in den Boden, rief den Kollegen Sonanini auf dem Krawutschketurm an und gab die Untersuchung der Bodenstelle in Auftrag.

      Schwer atmend stiegen Schmelzer, Holz und Dillinger, von den Anwohnern kommend, den steilen Weg hoch zum Kreuz von Peternell.

      »Und?« Fett schaute die Kollegen erwartungsvoll an.

      »Käse. Nichts. Die unmittelbaren Nachbarn haben das Gebell von Rocky gehört. Eugen Kaltenbach, der wanderte an jedem Tag morgens hoch zum Krawutschketurm. War wohl sein Sportprogramm. Beliebt war der nicht. Eigenbrötler und schnell mit dem Anwalt zur Hand wenn es Streit gab. Von Trauer keine Spur. Eher Erleichterung. Mit dem Rest können wir nichts anfangen.«

      Fett zeigte den Kollegen die Patronenhülse: »Haben wir an dem Kreuz gefunden. Amerikanischer Karabiner aus dem Zweiten Weltkrieg. Heute Morgen abgefeuert.«

      Schmelzer schaute überrascht. »Schon wieder eine alte Geschichte. Ich krieg die Motten. Wieder Zweiter Weltkrieg, Verbrechen, Krieg. Hört das denn nie auf? Vor 75 Jahren war die Hölle los im Hürtgenwald. Jetzt bekommen wir wieder Vergangenheit serviert. Das macht mich kirre. Herr Fett, da soll Kollegin Lövenich von den Kapitalverbrechen ermitteln. Ich bin zu. Mir reicht das. All dieser Nazikram, diese unendliche Geschichte, diese Netzwerke und Seilschaften.« Es platzte aus Schmelzer heraus. Er hatte genug Fälle erlebt, die tief mit der Geschichte des Dritten Reiches verbunden waren. »Zu allem Überfluss wird es auch mysteriös, Chef. Hier geht ein Monster um.« Schmelzer machte eine Kunstpause. »Sürches Mossel.«

      »Schmelzer, lenken Sie nicht ab von dem Schlamassel. Lassen Sie alle Kameras auswerten, Hotels und Pensionen abklappern, Museum Hürtgenwald checken, den Toten lebendig machen mit seiner Vita.«

      »Die Anwohner glauben, dass es der Überfall eines Offiziers der Truppen Karls V. war. Der spuke hier seit dem 16. Jahrhundert, und in jedem Jahr falle ihm ein Mensch zum Opfer.«

      »Zu viel Stephen King gelesen?«

      »Ich lese lieber Regionalkrimis, wissen Sie ja. Hier gab es in den letzten Jahren ungeklärte Unfälle von Wanderern, ab und an einen Überfall. Vor ungefähr 20 Jahren soll ein Wanderer aus Nonnenbach so erschreckt worden sein, dass er durchdrehte. Der wurde in die Landesklinik nach Düren gebracht. Er soll etwas von einem Wolf mit Messer gefaselt haben. So, halten Sie sich fest. Drüben, vor der Kirche, da ist ein kleiner Platz. Dort steht eine Skulptur von diesem Untoten.«

      »Schmelzer, ich ermahne Sie. Wenn Sie nicht sofort die Aufträge rausgeben, gibt es ein Diszi und eine Woche Verbot von Fleischwurstbrötchen mit dicker Scheibe.«

      »Die Skulptur zeigt einen Menschen mit Wolfskostüm und Krummmesser.«

      »Schreiben Sie es auf. Nachher im Büro. Erinnert mich an einen französischen Film. Nicht die Purpurnen Flüsse, sondern, ich komm drauf, ich komm drauf. Pakt der Wölfe oder so ähnlich. Schöne Geschichte. Taugt für einen Lokalkrimi aus Bergstein. Nicht für uns.«

      »Und wenn es ein Ritualmord war?«, grübelte Schmelzer. »Spuren ablenken mit amerikanischem Gewehr und so. Dann hat es nichts mit dem Krieg zu schaffen, sondern mit einem Psychopathen aus der Nordeifel.« Schmelzer wollte seine Theorie nicht über den Haufen oder vom Burgberg werfen. »Ich lese Ihnen vor, was auf der Infotafel steht, habe ich mit dem Handy abfotografiert: ›Während des Krieges zwischen Karl V. und Wilhelm V. von Jülich im Jahr 1542 lagen Truppen Karls in Bergstein und sollten auf Befehl Karls die Burg Nideggen einnehmen. Der Anführer der Truppen wollte die Nideggener überlisten und hüllte sich in ein Hundefell. So verkleidet schlich er sich an die Stadt Nideggen heran. Mit seinen Truppen hatte er vereinbart, dass sie ihm auf ein geheimes Zeichen hin folgen sollten, sobald der richtige Zeitpunkt gekommen war. Für den Fall, dass sie kein Zeichen von ihm erhalten würden, sollten sie davon ausgehen, dass er gefangen genommen oder getötet worden war. Sollte dies geschehen, so hatte er sich geschworen, wollte er jahrhundertelang sein Unwesen in der Gegend treiben. Der Anführer der Truppen wurde bei seiner List vom Grazias-Turm der Burg Nideggen erschossen. Seitdem soll er jede Nacht den Weg von Bergstein bis Nideggen und zurück stöhnend und ächzend in Gestalt eines Hundes zurücklegen. Auf seinem Weg soll er Menschen, die ihm begegnen, zwischen die Beine laufen, sie ein Stück weit forttragen und schließlich unsanft abwerfen.‹«

      »Unsanft abwerfen, Schmelzer, nicht töten, erstechen oder erschießen.«

      »Die Anwohner munkelten, dass sich das Wesen radikalisiert habe.«

      »Jede Nacht.«

      »Nein, einmal im Jahr. Zu einem besonderen Anlass wie Weihnachten, Ostern, Christi Himmelfahrt, Mariä Himmelfahrt, Michaeli oder zu historischen Daten erwischt es in der Regel Männer, aber niemand glaubt den Bewohnern.«

      »Jetzt haben die ja einen Gutgläubigen gefunden: Kommissar Schmelzer, Geisterjäger, Assistent von John Sinclair. Mann, Schmelzer. Das ist Mist. Schreiben Sie es von mir aus im Büro in eine Datei und befolgen Sie endlich meine Anordnungen. Ich geh nochmal hoch auf den Turm. Wir treffen uns am Wagen.«

      Der längste Tag

      Fett kochte. Er ärgerte sich über Schmelzer, darüber, dass ihre Abteilung immer die Fälle mit Geschichte bekam, immer diese Vergangenheit, der Zweite Weltkrieg. Es hörte nicht auf, es hörte nie auf. Nun kam die Enkelgeneration, und auch die hatte offene Rechnungen. Eugen Kaltenbach, 75 Jahre, alleinstehend, klettert im Dunkeln auf den Krawutschketurm, geht jeden Morgen hinauf. Kann ein Täter rausfinden. Kaltenbach schaut in den Westen, steht am Rand der Brüstung, peng, Kopfschuss, sofort tot. Schütze steigt hinterher, sticht sieben Mal zu und verschwindet. Muss ein guter Schütze gewesen sein. Schmelzer sollte prüfen, wer aus Bergstein Scharfschütze bei der Bundeswehr war. Wer war der beste Schütze im Schießverein, hat Bergstein einen Schießverein oder eine Schützenbruderschaft? Fett ging die gesammelten Fakten durch. Die Patrone am Grab des amerikanischen Gefreiten Peternell. Ablenkung, Zeichen, Rätsel? Das war kein Krieg zwischen zwei verfeindeten Nachbarn. Der Fall reichte vermutlich zurück in die Geschichte. Wer war Eugen Kaltenbach? Wer war sein Vater, seine Mutter, Geschwister?

      Fett erreichte die oberste Plattform. Das Blut auf den Holzbrettern war dunkler geworden, ein paar Spritzer auf der Infotafel, die Richtung Vossenack aufgestellt war. Der nächste Regen würde