Lernen im Sekundentakt. Kerri Milyko

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Название Lernen im Sekundentakt
Автор произведения Kerri Milyko
Жанр Документальная литература
Серия
Издательство Документальная литература
Год выпуска 0
isbn 9783170337749



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gemeistert beurteilt werden. Dieses automatische Verhalten entspricht dem Kriterium des Könnens in ABA-Therapien (Richling & Williams, 2017).

      Das typische Zähneputzen erfolgt schnell und ohne viel darüber nachzudenken. Wahrscheinlich schaut man, wenn man hierin kompetent ist, nicht einmal auf die Zahnpastatube oder die Zahnbürste, sondern sieht in den Spiegel oder unterhält sich mit einer anderen Person. Wenn das Verhalten automatisch und mühelos erfolgt, wird es als flüssig angesehen.

      Das wichtigste Ziel beim Präzisionslernen ist die flüssige Durchführung von Verhaltensweisen (Binder, 1996). Wenn ich bei meinen Vortragsreisen über das Konzept »Flüssigkeit« rede, zeige ich verschiedene Video-Clips von Schülern, die unterschiedliche Verhaltensweisen lernen. In fast jedem Fall können die Zuhörer das flüssige Verhalten deutlich von dem nicht flüssigen Verhalten unterscheiden, denn es ist oft visuell und akustisch klar erkennbar.

Images

      Abb. 2.1: Bereits mit 3 Jahren hat Kailin Spaß daran, in kurzer Zeit so viele Punkte wie durch Zahlen vorgegeben in die Kreise zu malen.

      Da PL eine wissenschaftliche Grundlage hat, reicht eine visuelle Inspektion der Lerndaten nicht aus, sondern wir brauchen objektive Berechnungen. Das Verhalten gilt erst als flüssig, wenn es verschiedenen Kriterien entspricht. Dazu gehören Stabilität, Generalisation, Ausdauer, Anwendung und Generativität (Generativität ist die Kombination von erworbenen Fähigkeiten, um ein unbekanntes Problem zu lösen) (Johnson & Street, 2013). Wenn die angestrebte Fähigkeit diesen Kriterien genügt, gilt sie als flüssig.

      2.1 Ergebnisse flüssigen Verhaltens

      Stabilität, oder wie man früher auch in Veröffentlichungen gesagt hat: »Merkfähigkeit« ist ein Ergebnis von Flüssigkeitsübungen. Es misst die Leistung in einem Zeitraum ohne Übungen oder Trainingseinheiten (Johnson & Street, 2013). Damit ein Verhalten stabil ist, zeigt der Lernende auch bei späteren Tests ein ähnliches Leistungsniveau wie am Ende des ursprünglichen Trainings.

      Ein klassisches Beispiel für stabile Fähigkeiten sind Tests nach den Sommerferien. Die Schüler üben möglicherweise ihre mathematischen Fähigkeiten nicht während der Ferien, werden jedoch zu Beginn des neuen Schuljahres erneut darin getestet. Wenn sie ein ähnliches Leistungsniveau haben wie vor Beginn der Ferien, so gilt die Fähigkeit als stabil.

      Ein weiteres Ergebnis flüssigen Lernens ist die Ausdauer. Ähnlich wie die körperliche Leistung bei einem Sportler wird bei Lernenden auf ausdauernde schulische Fähigkeiten abgezielt. Beim PL müssen dabei Fähigkeiten über einen längeren Zeitraum mit den gleichen Leistungsniveaus gezeigt werden wie beim ursprünglichen Training (Binder, 1996). In der Regel wird ein Ausdauer-Training 4x so lang durchgeführt wie das Übungsintervall. Wenn also ein Schüler 30 Sekunden lang Buchstaben vorliest, würde seine Fähigkeit durch Ausdauertraining zwei Minuten lang überprüft.

      Tatsächlich gibt es eine Menge natürlicher »Ausdauertests« im Leben eines Schülers. Diese Tests dauern in der Regel sehr viel länger als die Übungssituation. Wenn man zum Beispiel in der Übungssituation lernt, sich bei einem Gespräch abzuwechseln, kann ein Gespräch mit einer anderen Person als dem Therapeuten als Beweis für eine anhaltende, generalisierte Fähigkeit gelten. Man kann das mit Läufern vergleichen, die an Ausdauertests teilnehmen: Sie trainieren nicht für einen Marathon, indem sie die volle Marathonstrecke laufen. Stattdessen trainieren sie, indem sie kürzere Strecken laufen und sich so auf den Langstreckenlauf vorbereiten.

      Gelerntes Verhalten muss auch bei Ablenkung und Schwankungen stabil sein. Wenn der Schüler eine Leistung auch bei Ablenkung auf einem ähnlichen Niveau wie beim ursprünglichen Training bewältigt, gilt das Verhalten als stabil (Johnson & Street, 2013). Auch hier gibt es im Alltag viele natürliche »Stabilitätstests«. Wenn zum Beispiel ein Elternteil durch den Raum geht und der Lernende dennoch aufmerksam bleibt, ist sein Verhalten stabil.

      Das Verhalten eines Lernenden kann auch als stabil bezeichnet werden, wenn er seine Hausaufgaben schnell und präzise erledigt während der Fernseher läuft. Stabilität kann auch auf Grund einer geringen Variabilität der Daten erörtert werden.

      Verhalten muss auch im Alltag angewandt werden können, wobei dieses Flüssigkeitskriterium weniger direkt ist als die oben erwähnten Kriterien. »Anwendung« gilt als eine Voraussetzung für die Bewältigung von höheren Fähigkeiten (Binder, 1996). So muss man zunächst den Namen »Melissa« aussprechen können, um dann auf die Frage »Wie heißt Du?« antworten zu können? Auch sollte man die Zahlen »zwei« und »vier« kennen, um »2+4« addieren zu können.

      Geübtes Verhalten, wie »Melissa« zu sagen oder die Zahlen »2« und »4« zu kennen, generalisiert, wenn sich Verbesserungen im Alltag einstellen. Man kann das mit Schwimmern vergleichen, die ein Trittbrett verwenden, um verschiedene Tritte zu verstärken und ihr Schwimmen zu perfektionieren. Zum Trainieren des Oberkörpers wird ein Schaumstoffkeil zwischen die Beine geklemmt und man bewegt sich nur durch Armbewegung vorwärts. Ohne die sonst übliche Unterstützung durch die Beinbewegung werden die Arme gestärkt. Die zwei Komponenten – Arme und Beine – werden also vereinzelt trainiert, so dass sich die Zeit beim nächsten Wettkampf verbessert. Auch hier wird das Endziel des schnelleren Schwimmens durch gezieltes Training der einzelnen Komponenten verbessert.

      Zum Schluss gilt »Generativität« als ultimatives Kriterium für flüssiges Verhalten. Wenn gelernte Fähigkeiten zum ersten Mal auf neuartige Weise kombiniert werden, wird von Generativität gesprochen (Johnson & Street, 2013). So lernen Kinder oft Farben und Formen durch entsprechende Spielsteine. Wenn nun das Kind eines Tages einen blauen Luftballon, der wie ein Stern aussieht, als »blauen Stern« benennt, ist Generativität eingetreten. Offensichtlich werden hier zwei zuvor gelernte Konzepte erstmals miteinander kombiniert und damit ein neuartiges Objekt – der blaue Sternballon – benannt. Jedes nachfolgende Auftreten der Bezeichnung »blauer Stern« stellt keine Generativität mehr dar.

      2.2 Flüssiges Verhalten messen

      Es gibt zwei Möglichkeiten, Ziele zu bestimmen. Der erste und wissenschaftlichste Weg ist es, die Enddaten aller Schüler zu sammeln, die erfolgreich die Flüssigkeitstests bewältigt haben. Dies erfordert jedoch Zeit und Sorgfalt und hilft dem Lehrer nicht dabei, die Geschwindigkeit zu schätzen (z. B. ist das Ziel etwa 20 pro Minute oder 80 pro Minute?). Die zweite Methode, um optimale Flüssigkeitsziele zu bestimmen, ist die normative Auswahl kompetenter Lernender. Diese Methode wird häufiger bevorzugt, wenn zum ersten Mal ein Ziel trainiert wird, für das noch keine umfangreiche Datenbank mit Endleistungen erstellt wurde.

      Um kompetente Lernende zu testen, sollte am besten eine Stichprobe derselben demografischen Gruppe genommen werden, mit der man arbeitet bzw. auf die man abzielt. Wenn beispielsweise mit einem dreijährigen Kind mit Autismus gearbeitet wird, können Leistungen von einem normal entwickelten Dreijährigen als Vergleich zugrunde gelegt werden.

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      Abb. 2.2: 15 Sekunden lang soll das Kind die Bären zu den richtigen Farben sortieren. Um eine Variation mit einzubringen, kann die Reihenfolge der Farben verändert werden oder die Position der Bären (z. B. alle in eine Richtung gucken lassen). Stellen Sie sicher, dass es in dem Beispiel genug Bären gibt, damit es für die vorgegebene Zeitdauer reicht.