Tatort Alpen. Michael Gerwien

Читать онлайн.
Название Tatort Alpen
Автор произведения Michael Gerwien
Жанр Триллеры
Серия
Издательство Триллеры
Год выпуска 0
isbn 9783734994869



Скачать книгу

die er, so beschloss er, stehenden Fußes versaufen würde.

      »Allein hätte ich das nicht geschafft, ich bin alt, seit über 60 Jahren wohne ich hier. Einmal – im Krieg war das noch – hatten wir Fliegeralarm. Und wir mussten uns im Keller verstecken. Können Sie sich das vorstellen?«

      »Nein, danke für den Schnaps.«

      »Sie sind jung. Seien Sie froh, dass Sie jung sind. Das Alter ist nicht schön, besonders nicht, wenn man einsam ist. Haben Sie eine Frau?«

      »Nein«, gab Birne zu.

      »Schauen Sie, dass Sie schnell zu einer kommen, Sie sind jung, Sie bekommen schon noch eine. Einsam ist scheiße.«

      Da hatte die Alte recht.

      »Manchmal läuft’s halt nicht so, wie’s soll.«

      »Das ist wahr. Wollen Sie noch einen Schnaps?«

      »Ein anderes Mal gern. Jetzt muss ich weiter, ich bin dringend verabredet.«

      »Ich versteh schon, die jungen Leute.«

      An der Tür drehte sich Birne noch mal um: »Sagen Sie mal, die Zeitung …«

      »Ja?«

      »Die kommt schon hierher, wenn man sie bestellt?«

      Frau Zulauf schaute ihn fest an, als ob etwas mit ihm nicht stimme. »Wieso?«

      »Weil sie mir heute Morgen gefehlt hat.«

      Frau Zulauf schaute apathisch ins Leere. »Komisch.«

      »Aber Sie wissen nichts?«

      »Nein. Aber Sie müssen unbedingt mal wieder vorbeischauen, ich hab noch ganz anderen Schnaps, den werden Sie mögen. Das war nicht das letzte Mal.« Sie lachte wie eine Hexe.

      Birne versprach wiederzukommen, ohne zu ahnen, dass es diesmal wirklich das letzte Mal bei ihr war, dass er tausend Mal leichter wieder ihren Likör getrunken hätte als den scheußlichen Kelch, den das Schicksal schon für ihn am Brauen war.

      Jetzt musste er sich um seinen eigenen Rausch kümmern.

      Birne bereute seine Zusage. Birne hatte Kopfweh, und schlecht war ihm auch. Birne hatte sich gedacht, gestern, wenn einsam, dann gescheit einsam und nicht mehr Wirtschaft und mit noch mehr Menschen verkehren. Er hatte sich einen Sixpack von der Tankstelle geholt und dabei den Zehner der Frau schon fast aufgebraucht. Ziemlich lustlos hatte er den weggetrunken und dann, leicht angesoffen vor einem witzigen Programm im Fernseher, beschlossen, noch mal rauszugehen und sich neues Bier und eine kleine Flasche Kräuterschnaps zu besorgen. Das war sein Fehler, und er sah ihn um 4 Uhr früh ein. Der Wecker klingelte, und Birne musste auf die Jagd mit Werner. Er hasste sich kurz, überlegte sich, ob er Werner anrufen und alles absagen sollte.

      Konnte er nicht, gleich am zweiten Tag.

      Zweiter Tag. Einen tollen Anfang legte er da hin. Wenn, dann musste er sofort raus, sonst würde er wieder einschlafen.

      Er stand auf, versuchte dabei, mit möglichst wenigen Gegenständen in Berührung zu kommen, die wären nur so gefallen.

      Er saß zehn Minuten später angezogen in seiner Küche und wartete.

      Er hätte nun 15 Minuten warten können. Frühstücken traute er sich nicht wegen der Gegenstände, wollte er auch nicht, es war ihm schlecht.

      Einen Kater hatte er nicht, dazu war er noch zu voll. Er nahm ein Glas aus dem Kasten, das nicht fiel und deswegen Birne gefiel. Am Schrank schlug er sich nicht an. Am Wasserhahn stellte er nicht aus Versehen das heiße Wasser an. Er riss eine Packung Aspirin auf, was nicht einwandfrei klappte, er fluchte aber nur wenig und leise, weil der Rest des Morgens relativ gut zu ihm war, den Umständen entsprechend.

      Die Tablette löste sich auf, er schaute zu. Dabei fiel ihm ein, dass er jetzt mal schauen könne, ob die Zeitung da war.

      Er zog sich nur ein paar Sandalen an und ging runter, fand, dass er auf den alten Stufen des Treppenhauses relativ viel Krach machte. Er bemühte sich, leiser zu sein. Er blieb kurz stehen, um zu hören, ob es ein Hintergrundrauschen gab, in dem er mit seinen eigenen Geräuschen hätte aufgehen können. Nichts. Dunkle Nacht. Weit weg ein Auto auf einer Straße. Der Bahnhof, ein dünnes Rauschen von Blättern im Wind. Eine schöne Stille.

      Die Zeitung war noch nicht da, um die Zeit musste sie das auch noch nicht, das war in Ordnung. Er ging wieder hoch, dabei ging das Licht im Treppenhaus aus. In seiner Wohnung hatte er vergessen das Licht im Gang anzumachen. Er stolperte so saublöd über seinen Telefontisch, dass es ihn hinhaute, der Länge nach. Das tat weh, der Kopf jetzt auch, er fluchte, sehr laut, sonst war es still, bis auf das Brausen der Aspirintablette, die sich endgültig in ihrem Glas Wasser in der Küche auflöste, wo das Licht an war. Birne hätte geweint als Kind.

      Werner war pünktlich.

      »Alles klar, Junger?«, wollte er wissen, als Birne in seinen roten, alten 3er BMW stieg. »Hast du dich warm eingepackt?«

      »Alles klar.«

      »Gefrühstückt wirst du schon haben.«

      »Ja, ja.« Aspirin halt.

      »Und wie war deine erste Nacht in Kempten? Du weißt, dass man sagt: ›Was man in der ersten Nacht in seiner neuen Wohnung träumt, das geht in Erfüllung.‹«

      Woher hatte der Mann in dieser Früh seine Redefreude her? »Das war nicht meine erste Nacht.«

      »Man sagt’s ja auch bloß.«

      Danach war Stille. Werner hatte gespürt, dass Birne nichts sagen wollte. Oder auch er stimmte sich schweigend auf die Jagd und die Natur da draußen ein.

      Sie fuhren ein Stück auf der Autobahn, bogen dann ab, kamen durch einen schlafenden Ort, fuhren von dort auf einen Feldweg und waren bald da.

      Birne braucht eine Weile, bis er wieder zur Ruhe fand, und nickte dann auf den letzten Kilometern ihrer Fahrt noch mal ein. Sein Arbeits- und Jagdkollege schaute grinsend zu ihm hinüber, freute sich, dass der andere nichts gewohnt war als Großstadtmensch.

      »Da sind wir.«

      Birne schlug die Augen auf und sah, dass sie neben einem Bauernhof geparkt hatten. Neben dem Silo führte ein wenig benutzter Feldweg einen Hang hinauf. Weiter konnte er nicht schauen, denn Werner stellte den Motor ab und mit ihm gingen auch die Scheinwerfer aus.

      »Wir müssen zu Fuß ein Stück, aber keine Panik, es ist nicht viel.«

      Birne war zu müde für Panik, er ließ sich von Werner behängen mit einem Fernglas und dem Gewehr, vor dem er zunächst schon Respekt hatte.

      »Da musst du keine Angst haben, es ist gesichert.«

      Gesichert? Werner konnte keine Ahnung davon haben, wie sehr die Dinge gegen ihn arbeiteten.

      Sie gingen den Hang hinauf, kamen auf eine Wiese, die sie überquerten. Im Hintergrund hob sich dunkel ein Berg ab. Sie stiegen über einen Elektrozaun, der nicht geladen war. Dazu durfte er Werner sein Gewehr zurückgeben und unbewaffnet drüber. Nun führte der Weg bergab über einen steileren Hang als den, den sie heraufgekommen waren. Vereinzelt standen hier Fichten. Etwa auf halber Höhe ließ Werner Birne anhalten. Der hatte, um nicht zu fallen, nur noch auf den Boden vor ihm geschaut.

      Sie waren an einem kleinen Jägerstand angekommen, der kaum Platz für sie beide bot. Das war ihnen egal, sie stiegen beide ein und waren leise.

      »Ihr Deutschen, leck mich.« Werners Atem dampfte.

      »Sag mal, ist das jetzt geladen?«, wollte Birne sicher sein.

      »Was denkst denn du?«, war die Antwort Werners. »Wir warten jetzt zehn Minuten, knallen den Fuchs und sind schon auf dem Weg zurück. Alles ganz schnell.«

      Birne bekam zurzeit selten die Gelegenheit, den Sonnenaufgang zu sehen. Die Sonne kam nun immer schon, bevor er die Zeitung holen ging. Bis vor ein paar Wochen hatte